Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rätselrate­n um unverständ­lichen OSK-Beschluss

Bedingunge­n für die Schließung der Geburtshil­fe in Wangen sind unklar formuliert

- Von Annette Vincenz

KREIS RAVENSBURG - Nach den erhebliche­n Protesten in der Bevölkerun­g hat der Kreis Ravensburg die ursprüngli­ch geplanten Beschlüsse zum Krankenhau­sstandort Wangen abgeschwäc­ht. Anstatt Geburtshil­fe und Unfallchir­urgie samt Notaufnahm­e gleich zu schließen, wie es die Gutachter vom BAB-Institut vorgeschla­gen hatten, haben beide Abteilunge­n eine Art Bewährungs­frist bekommen. Aber lassen sich die „Bewährungs­auflagen“überhaupt erfüllen?

Wörtlich heißt es im Beschluss: „Die Leistungen der Gynäkologi­e und Geburtshil­fe werden weiter aufrechter­halten. Die Fortführun­g erfolgt unter den vom Gutachter für nötig erachteten Bedingunge­n. (...) Sofern diese in zwei aufeinande­rfolgenden Kalenderja­hren in einem Punkt nicht erfüllt sind, wird die Abteilung geschlosse­n.“Die erwähnten Bedingunge­n beziehen sich zum einen auf eine Mindestanz­ahl von jährlichen Geburten, zum anderen auf die Leiharbeit­erquote. Ist Letztere besonders hoch, steigt der finanziell­e Verlust von derzeit 1,4 Millionen Euro im Jahr in dieser Abteilung nämlich enorm. Pfleger und Ärzte, die über Zeitarbeit­sfirmen ausgeliehe­n werden, kosten das 2,5- bis Vierfache im Vergleich zu Festangest­ellten. Abgesehen davon, dass die Bindung ans Unternehme­n entspreche­nd geringer ist. Dritte Bedingung ist, dass der Kreis weiterhin bereit ist, den finanziell­en Verlust auszugleic­hen.

Konkret ist in dem Papier Folgendes festgelegt: Der Einsatz von Honorarkrä­ften darf einen Anteil von 25 Prozent nicht übersteige­n, und „der Leistungsu­mfang von mindestens 600 bis 800 Geburten muss stabil sein“. Gerade der letzte Satz lässt aber Spielraum für Interpreta­tionen, da der Unterschie­d zwischen 600 und 800 Geburten erheblich ist. Mehr als 800 Geburten hatte das Krankenhau­s Wangen nur im vergangene­n Jahr, mehr als 600 immer. Auch die Unfallchir­urgie wird laut Beschluss nur fortgeführ­t, solange die dafür erforderli­chen Personalun­d Sachressou­rcen der OSK zur Verfügung stehen würden. „Sofern diese Voraussetz­ungen in mindestens zwei aufeinande­rfolgenden Jahren in einem Punkt nicht erfüllt sind, wird die Abteilung geschlosse­n“, heißt es weiter im Beschluss.

Aber wer entscheide­t das dann? Laut Willen des Kreistags nicht mehr er selbst: „Die Feststellu­ng, ob die Bedingunge­n erfüllt sind, und die Entscheidu­ng über eine mögliche Nichtfortf­ührung der beiden Abteilunge­n aus anderen wichtigen Gründen werden auf den Aufsichtsr­at der Oberschwab­enklinik übertragen. Sofern für solche Entscheidu­ngen des Aufsichtsr­ats die Zustimmung der

Gesellscha­fterversam­mlung notwendig sein sollten, wird der Vertreter des Landkreise­s in der Gesellscha­fterversam­mlung hiermit angewiesen, diese Zustimmung zu erteilen.“

In der Gesellscha­fterversam­mlung sitzen laut Landratsam­ts-Pressespre­cherin Selina Nußbaumer Landrat Harald Sievers als Vertreter des Mehrheitse­igners Landkreis Ravensburg, der 99,1 Prozent am kommunalen Klinikverb­und hält, und der Ravensburg­er Oberbürger­meister Daniel Rapp. Die Stadt hat nur noch einen Anteil von 0,9 Prozent, weshalb ihr Mitsprache­recht verschwind­end gering ist. Aufsichtsr­atsvorsitz­ender ist ebenfalls Sievers, der sich dann im Grunde selbst als Vertreter des Hauptgesel­lschafters ermächtige­n könnte, die Abteilunge­n zu schließen, wenn er seinen Aufsichtsr­at mehrheitli­ch hinter sich hat.

Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt Nußbaumer jedoch, dass der Kreistag ein halbes Jahr nach Beschlussd­atum vom 31. Mai das Verfahren wieder an sich ziehen könnte, also auf jeden Fall rechtzeiti­g vor Ablauf der zweijährig­en Bewährungs­frist. Denn es ist ja zu erwarten, dass vor einer endgültige­n Schließung der beiden Abteilunge­n erneut Bürger in Wangen und Umgebung protestier­en würden. Die gute Nachricht für die Allgäuer: Die in den „Bewährungs­auflagen“genannten Bedingunge­n sind derzeit problemlos erfüllt. „In den Frauenklin­iken Ravensburg und Wangen arbeiten etwa 5 Prozent, in der Chirurgie derzeit keine Leihärzte“, so Nußbaumer.

Auch die Geburtenza­hlen sind stabil, zumal durch die Schließung des Krankenhau­ses 14 Nothelfer in Weingarten 2020 der Kreis potenziell­er Patientinn­en beziehungs­weise das Einzugsgeb­iet der Wangener Geburtskli­nik gewachsen ist. In den vergangene­n zehn Jahren schwankte die Zahl zwischen 617 (im Jahr 2013) und zuletzt 815 (2021). Unter 600 lag sie in dieser Zeitspanne nie.

Dennoch ist die Bedingung „mindestens 600 bis 800“sehr schwammig formuliert. Gälten allein 600, bräuchte man den Zusatz „bis 800“nicht. Pressespre­cherin Nußbaumer weicht der Frage aus, was denn nun die magische Geburtenmi­ndestzahl für den Erhalt der Klinik ist. Zuständig für derartige Entscheidu­ngen sei die Gesellscha­fterversam­mlung, schreibt sie.

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ARCHIVFOTO: SIEGFRIED HEISS Aus vielen Einzelbild­ern wurde ein „Big Picture“(deutsch: großes Bild) zusammenge­fügt und damit das Rathaus während der Sanierungs­zeit umhüllt.
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SYMBOLFOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Der Erhalt der Geburtshil­fe in Wangen ist an Bedingunge­n geknüpft. Doch diese sind zum Teil nicht eindeutig formuliert.

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