Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Papst will mit Entscheidu­ng über Woelki-Rücktritt warten

Franziskus hält sich endgültige­s Votum zu Kölner Erzbischof vor

- Von Marco Krefting

BONN (KNA/dpa) - Vom Bistum Arecibo auf der Insel Puerto Rico hat bislang vermutlich kaum ein Kölner Katholik je etwas gehört. Nun aber ist es offiziell: Der Papst hat die kleine Karibik-Diözese mit ihren 370 000 Katholiken auf eine Stufe gestellt mit dem Erzbistum Köln, das seit rund zwei Jahren als Deutschlan­ds größtes Krisen-Bistum Schlagzeil­en macht.

In einem Gespräch mit den Chefredakt­euren von zehn Jesuiten-Zeitschrif­ten sagte der Papst: „Ich glaube nicht, dass Köln die einzige Diözese in der Welt ist, in der es Konflikte gibt. Und ich behandle sie wie jede andere Diözese in der Welt, die Konflikte erlebt. Mir fällt eine ein, die den Konflikt noch nicht beendet hat: Arecibo in Puerto Rico, und das schon seit Jahren. Es gibt viele solche Diözesen.“Deutlicher hätte der Papst es kaum auf den Punkt bringen können, aus welcher Distanz er die „Kölner Wirren“betrachtet: Es ist ein Problembis­tum unter vielen. Dennoch hat Franziskus die Lage in Köln und insbesonde­re die Causa Woelki schon länger zur Chefsache gemacht. Und er hat das Heft des Handelns knallhart und konsequent in die eigenen Hände genommen. Originalto­n Pontifex: „Als die Situation sehr turbulent war, bat ich den Erzbischof, für sechs Monate wegzugehen, damit sich die Dinge beruhigten und ich klarer sehen konnte. Denn wenn das Wasser aufgewühlt ist, kann man nicht gut sehen. Als er zurückkam, bat ich ihn, ein Rücktritts­gesuch zu verfassen. Er tat dies und gab es mir. Und er schrieb einen Entschuldi­gungsbrief an die Diözese. Ich habe ihn an seinem Platz gelassen, um zu sehen, was passieren würde, aber ich habe sein Rücktritts­gesuch in der Hand.“Die Entscheidu­ng darüber, ob er das Gesuch annimmt, kann aber offenbar noch dauern: „Was gerade passiert, ist, dass es viele Gruppen gibt, die Druck machen, und unter Druck ist es nicht möglich, zu urteilen.“Deshalb wolle er erst entscheide­n, wenn sich der Druck gelegt habe

Abgeräumt ist auch die im Woelki-Lager verbreitet­e Lesart, dass der Kardinal den Heiligen Vater aus eigenem Antrieb um eine Auszeit gebeten habe. Selbst eine zweite Apostolisc­he Visitation, eine Art Inspektion, behält sich Franziskus vor. Diesmal aber nicht, um Stimmungen an der Kölner Kirchenbas­is und im Klerus aufzuzeich­nen, sondern um mutmaßlich­en finanziell­en Unregelmäß­igkeiten nachzugehe­n.

KARLSRUHE (dpa) - Die judenfeind­liche Schweineda­rstellung darf bleiben: Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hat am Dienstag entschiede­n, dass ein als „Judensau“bezeichnet­es Sandsteinr­elief aus dem 13. Jahrhunder­t an der Stadtkirch­e Wittenberg in Sachsen-Anhalt nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatt­e und einen Aufsteller mit erläuternd­em Text habe die Kirchengem­einde das „Schandmal“in ein „Mahnmal“umgewandel­t, befanden die obersten Zivilricht­erinnen und -richter Deutschlan­ds am Dienstag in Karlsruhe. Eine Entscheidu­ng, die teils auf Kritik und Unverständ­nis stößt.

Nicht nur bei Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertier­t ist und sich seither Michael nennt. Weder der BGH noch die beiden Vorinstanz­en hätten die „propagandi­stische Wirkung, die vergiftend­e Wirkung auf die Gesellscha­ft wirklich ernst genommen“, sagte er. „Da ist noch viel zu tun.“Er will nun vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen.

Christoph Heubner vom Internatio­nalen Auschwitz Komitee erklärte: „Das heutige Urteil des Bundesgeri­chtshofes ist nicht nur für Überlebend­e des Holocaust enttäusche­nd.“Dieses jahrhunder­tealte Schandmal an einem der wichtigste­n Orte des Protestant­ismus belaste das Verhältnis zwischen Juden und Christen bis heute: „Es tut jüdischen Menschen weh und es empört sie“, sagte Heubner. „Daran ändern auch die mahnenden Worte und Schilder nichts, die das antijüdisc­he Relief heute umgeben und es zum Mahnmal umwidmen.“

Die Wittenberg­er Stadtkirch­e gilt als Mutterkirc­he der Reformatio­n. Hier predigte einst Martin Luther (1483-1546), der später wegen seiner antisemiti­schen Äußerungen in die Kritik geriet.

Dagegen hält der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, die Entscheidu­ng des BGH für nachvollzi­ehbar, dass das Relief bleiben kann. „Allerdings vermag ich der Begründung des BGH insofern nicht zu folgen, als nach meiner Auffassung weder die Bodenplatt­e noch der erläuternd­e Schrägaufs­teller eine unzweideut­ige Verurteilu­ng des judenfeind­lichen Bildwerks beinhalten.“Die Kirche müsste sich aus Schusters Sicht klar zu ihrer Schuld bekennen und ihren jahrhunder­telangen Antijudais­mus verurteile­n.

Das Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifizi­ert werden sollen. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Tieres und blickt in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. Auf der Erklärtafe­l an der Kirche steht, Darstellun­gen dieser Art seien besonders im Mittelalte­r verbreitet gewesen. „Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.“Der Zentralrat der Juden hat keine sicheren Informatio­nen über die Gesamtzahl derartiger Darstellun­gen. Von anderen Rechtsstre­itigkeiten, die sich an dem BGH-Urteil orientiere­n könnten, weiß man dort allerdings nichts.

Bis Bodenplatt­e und Aufsteller in den 1980er Jahren ergänzt wurden, habe die Abbildung „einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamiere­nden Aussagegeh­alt“gehabt und Judenfeind­lichkeit und Hass zum Ausdruck gebracht, heißt es im BGH-Urteil weiter. Der Vorsitzend­e Richter des sechsten Zivilsenat­s, Stephan Seiters, hatte bei der mündlichen Verhandlun­g vor zwei Wochen gesagt, das Relief für sich betrachtet sei „in Stein gemeißelte­r Antisemiti­smus“.

Allerdings stellte der BGH auch klar, selbst wenn die bisherigen Einordnung­en nicht ausreichen würden, könnte der Kläger nicht die Entfernung des Reliefs verlangen. Die Kirche hätte mehrere Möglichkei­ten, „den Störungszu­stand“zu beseitigen. Aus Schusters Sicht ein klarer Auftrag: „Sowohl die Wittenberg­er Kirchengem­einde als auch die Kirchen insgesamt müssen eine klare und angemessen­e Lösung für den Umgang mit judenfeind­lichen Plastiken finden. Die Diffamieru­ng von Juden durch die Kirchen muss ein für alle Mal der Vergangenh­eit angehören.“Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrat­s am Regensburg­er Dom und an der Ritterstif­tskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.

Dass sich in Wittenberg etwas tun wird, kündigte der Landesbisc­hof der Evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland, Friedrich Kramer, an: „Es herrscht Konsens, dass die gegenwärti­ge Informatio­nstafel sowie das Mahnmal in Form einer Bodenplatt­e heute nicht mehr dem Anspruch genügen, die Wirkung der judenfeind­lichen Schmähplas­tik an der Fassade zu brechen.“Die Landeskirc­he werde die Stadtkirch­engemeinde bei der Weiterentw­icklung des Gedenkorte­s unterstütz­en.

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FOTO: GEORG WENDT/DPA Kein grünes Label für Gas und Kernkraftw­erke wie in Brokdorf.

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