Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Papst will mit Entscheidung über Woelki-Rücktritt warten
Franziskus hält sich endgültiges Votum zu Kölner Erzbischof vor
BONN (KNA/dpa) - Vom Bistum Arecibo auf der Insel Puerto Rico hat bislang vermutlich kaum ein Kölner Katholik je etwas gehört. Nun aber ist es offiziell: Der Papst hat die kleine Karibik-Diözese mit ihren 370 000 Katholiken auf eine Stufe gestellt mit dem Erzbistum Köln, das seit rund zwei Jahren als Deutschlands größtes Krisen-Bistum Schlagzeilen macht.
In einem Gespräch mit den Chefredakteuren von zehn Jesuiten-Zeitschriften sagte der Papst: „Ich glaube nicht, dass Köln die einzige Diözese in der Welt ist, in der es Konflikte gibt. Und ich behandle sie wie jede andere Diözese in der Welt, die Konflikte erlebt. Mir fällt eine ein, die den Konflikt noch nicht beendet hat: Arecibo in Puerto Rico, und das schon seit Jahren. Es gibt viele solche Diözesen.“Deutlicher hätte der Papst es kaum auf den Punkt bringen können, aus welcher Distanz er die „Kölner Wirren“betrachtet: Es ist ein Problembistum unter vielen. Dennoch hat Franziskus die Lage in Köln und insbesondere die Causa Woelki schon länger zur Chefsache gemacht. Und er hat das Heft des Handelns knallhart und konsequent in die eigenen Hände genommen. Originalton Pontifex: „Als die Situation sehr turbulent war, bat ich den Erzbischof, für sechs Monate wegzugehen, damit sich die Dinge beruhigten und ich klarer sehen konnte. Denn wenn das Wasser aufgewühlt ist, kann man nicht gut sehen. Als er zurückkam, bat ich ihn, ein Rücktrittsgesuch zu verfassen. Er tat dies und gab es mir. Und er schrieb einen Entschuldigungsbrief an die Diözese. Ich habe ihn an seinem Platz gelassen, um zu sehen, was passieren würde, aber ich habe sein Rücktrittsgesuch in der Hand.“Die Entscheidung darüber, ob er das Gesuch annimmt, kann aber offenbar noch dauern: „Was gerade passiert, ist, dass es viele Gruppen gibt, die Druck machen, und unter Druck ist es nicht möglich, zu urteilen.“Deshalb wolle er erst entscheiden, wenn sich der Druck gelegt habe
Abgeräumt ist auch die im Woelki-Lager verbreitete Lesart, dass der Kardinal den Heiligen Vater aus eigenem Antrieb um eine Auszeit gebeten habe. Selbst eine zweite Apostolische Visitation, eine Art Inspektion, behält sich Franziskus vor. Diesmal aber nicht, um Stimmungen an der Kölner Kirchenbasis und im Klerus aufzuzeichnen, sondern um mutmaßlichen finanziellen Unregelmäßigkeiten nachzugehen.
KARLSRUHE (dpa) - Die judenfeindliche Schweinedarstellung darf bleiben: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Dienstag entschieden, dass ein als „Judensau“bezeichnetes Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller mit erläuterndem Text habe die Kirchengemeinde das „Schandmal“in ein „Mahnmal“umgewandelt, befanden die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands am Dienstag in Karlsruhe. Eine Entscheidung, die teils auf Kritik und Unverständnis stößt.
Nicht nur bei Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt. Weder der BGH noch die beiden Vorinstanzen hätten die „propagandistische Wirkung, die vergiftende Wirkung auf die Gesellschaft wirklich ernst genommen“, sagte er. „Da ist noch viel zu tun.“Er will nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee erklärte: „Das heutige Urteil des Bundesgerichtshofes ist nicht nur für Überlebende des Holocaust enttäuschend.“Dieses jahrhundertealte Schandmal an einem der wichtigsten Orte des Protestantismus belaste das Verhältnis zwischen Juden und Christen bis heute: „Es tut jüdischen Menschen weh und es empört sie“, sagte Heubner. „Daran ändern auch die mahnenden Worte und Schilder nichts, die das antijüdische Relief heute umgeben und es zum Mahnmal umwidmen.“
Die Wittenberger Stadtkirche gilt als Mutterkirche der Reformation. Hier predigte einst Martin Luther (1483-1546), der später wegen seiner antisemitischen Äußerungen in die Kritik geriet.
Dagegen hält der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Entscheidung des BGH für nachvollziehbar, dass das Relief bleiben kann. „Allerdings vermag ich der Begründung des BGH insofern nicht zu folgen, als nach meiner Auffassung weder die Bodenplatte noch der erläuternde Schrägaufsteller eine unzweideutige Verurteilung des judenfeindlichen Bildwerks beinhalten.“Die Kirche müsste sich aus Schusters Sicht klar zu ihrer Schuld bekennen und ihren jahrhundertelangen Antijudaismus verurteilen.
Das Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Tieres und blickt in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. Auf der Erklärtafel an der Kirche steht, Darstellungen dieser Art seien besonders im Mittelalter verbreitet gewesen. „Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.“Der Zentralrat der Juden hat keine sicheren Informationen über die Gesamtzahl derartiger Darstellungen. Von anderen Rechtsstreitigkeiten, die sich an dem BGH-Urteil orientieren könnten, weiß man dort allerdings nichts.
Bis Bodenplatte und Aufsteller in den 1980er Jahren ergänzt wurden, habe die Abbildung „einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt“gehabt und Judenfeindlichkeit und Hass zum Ausdruck gebracht, heißt es im BGH-Urteil weiter. Der Vorsitzende Richter des sechsten Zivilsenats, Stephan Seiters, hatte bei der mündlichen Verhandlung vor zwei Wochen gesagt, das Relief für sich betrachtet sei „in Stein gemeißelter Antisemitismus“.
Allerdings stellte der BGH auch klar, selbst wenn die bisherigen Einordnungen nicht ausreichen würden, könnte der Kläger nicht die Entfernung des Reliefs verlangen. Die Kirche hätte mehrere Möglichkeiten, „den Störungszustand“zu beseitigen. Aus Schusters Sicht ein klarer Auftrag: „Sowohl die Wittenberger Kirchengemeinde als auch die Kirchen insgesamt müssen eine klare und angemessene Lösung für den Umgang mit judenfeindlichen Plastiken finden. Die Diffamierung von Juden durch die Kirchen muss ein für alle Mal der Vergangenheit angehören.“Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.
Dass sich in Wittenberg etwas tun wird, kündigte der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, an: „Es herrscht Konsens, dass die gegenwärtige Informationstafel sowie das Mahnmal in Form einer Bodenplatte heute nicht mehr dem Anspruch genügen, die Wirkung der judenfeindlichen Schmähplastik an der Fassade zu brechen.“Die Landeskirche werde die Stadtkirchengemeinde bei der Weiterentwicklung des Gedenkortes unterstützen.