Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Klamme Kassen brauchen Milliarden
Die gesetzlichen Krankenversicherungen erwarten ein Finanzloch – Wie Minister Lauterbach es stopfen könnte
BERLIN - Das für 2023 zu erwartende Finanzloch der gesetzlichen Krankenversicherung wird gewaltig: Das Bundesgesundheitsministerium und der Spitzenverband der 97 Kassen gehen von 17 Milliarden Euro aus. Einzelne Krankenkassen rechnen sogar mit 20 Milliarden Euro Defizit, das Institut für Gesundheitsökonomik sogar mit 25 Milliarden. Was kann Minister Karl Lauterbach (SPD) tun?
Die Leistungen kürzen
Dass Politiker die Leistungen der Kassen kürzen, um Kosten zu senken, hat es immer wieder gegeben. So wurden einst die Zuschüsse zu Brillen oder Zahnersatz minimiert und Zuzahlungen zu Medikamenten erhöht. Vielen noch gut in Erinnerung: 2004 wurden Entbindungsund Sterbegeld gestrichen und die Praxisgebühr eingeführt – letztere verschwand 2013 aber wieder. Karl Lauterbach hält jedoch bisher daran fest: Mit ihm werde es keine Leistungskürzungen geben.
Den Steuerzuschuss erhöhen Eigentlich gilt seit 2017 ein Bundeszuschuss von jährlich 14,5 Milliarden Euro. Dann kam Corona: 2020 flossen zunächst 18 Milliarden, 2021 19,8 Milliarden und in diesem Jahr sogar 28,8 Milliarden aus Steuermitteln, um für Beitragsstabilität zu sorgen. Von solchen Summen aber will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) herunter.
Das Gesundheitsministerium hatte ursprünglich 19,5 Milliarden für 2023 veranschlagt, musste diese Idee wegen Lindner aber schnell wieder zurückziehen. Die Kassen selbst wollen über Umwege an zusätzliches Steuergeld kommen: Etwa an sechs Milliarden Euro durch die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent. Sogar zehn Milliarden Euro soll die vollständige Kostenübernahme der Behandlungskosten von HartzIV-Empfängern durch den Bund bringen.
Die Beiträge erhöhen
Die Beiträge um einen Prozentpunkt zu erhöhen, bringt laut Kassenverband 16 Milliarden Euro. Bleibt es bei einem Loch von 17 Milliarden und gibt es keine anderen Maßnahmen, müssten die durchschnittlichen Zusatzbeiträge von 1,3 auf 2,4 Prozent steigen. Die Zusatzbeiträge werden von jeder Kasse individuell festgelegt und zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent erhoben. Der Gesamtbeitrag wird dann je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer entrichtet. Beträgt das Loch 25 Milliarden, sind bereits 1,6 Prozentpunkte mehr, also 2,9 Prozent, fällig. Wer 3500 Euro im Monat verdient, müsste dann im Jahr 336 Euro mehr zahlen. Wer an der Beitragsbemessungsgrenze (4837,50 Euro) oder darüber verdient, käme auf 464 Euro zusätzlich im Jahr.
Entgegen mehrerer Ankündigungen hat Karl Lauterbach noch immer keinen Gesetzentwurf zur Stabilisierung der Kassen vorgelegt. Bisher kündigte er lediglich an, es solle „mehr Effizienz“geben und der Steuerzuschuss steigen, die Finanzreserven der Kassen sollten abgeschmolzen und die Beitragssätze erhöht werden.