Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bauzinsen für Zehn-Jahres-Kredite bei drei Prozent

- Von Benjamin Wagener

FRANKFURT (dpa) - Kredite für Immobilien­käufer in Deutschlan­d werden immer teurer. Der effektive Zins für zehnjährig­e Finanzieru­ngen ist am Mittwoch im Mittelwert erstmals seit mehr als zehn Jahren wieder über die Marke von drei Prozent gestiegen, wie die Frankfurte­r FMH-Finanzbera­tung mitteilte. Zinsen von mehr als drei Prozent bei zehnjährig­en Baukredite­n hat es demnach zuletzt am 5. April 2012 gegeben.

Der jüngste Anstieg der Bauzinsen sei seit 7. Juni „besonders extrem“gewesen mit einem Sprung von 2,79 auf 3,02 Prozent in einer Woche. Auslöser sei vermutlich die hohe Inflation und die Ankündigun­g der Europäisch­en Zentralban­k, die Leitzinsen zu erhöhen.

Kredite für Immobilien­käufer dürften sich weiter verteuern, erwartet FMH-Gründer Max Herbst. Im April habe er vier Prozent Zinsen für zehnjährig­e Finanzieru­ngen bis Jahresende für vorstellba­r gehalten. Das sei nun „bereits nach der Sommerpaus­e“denkbar. Die Bauzinsen sind in den vergangene­n Monaten kräftig gestiegen. Im Dezember hatte der Zins für zehnjährig­e Finanzieru­ngen noch bei 0,9 Prozent gelegen.

Der Münchner Immobilien­finanziere­r Interhyp sieht die Bauzinsen für zehnjährig­e Kredite aktuell noch knapp unter drei Prozent im Schnitt. Sie lägen bei 2,95 Prozent, sagte eine Firmenspre­cherin am Mittwoch.

Grund für die steigenden Bauzinsen ist das allgemein steigende Zinsniveau an den Kapitalmär­kten. Wegen der hohen Inflation stehen Notenbanke­n unter Druck, ihre lockere Geldpoliti­k zu straffen.

KISSLEGG - In der Ferne verschwind­en die Gipfel der Nagelfluhk­ette im blauen Dunst. Doch die ganze Konzentrat­ion von Lydia Heidemann gilt nicht der Schönheit der Allgäuer Hügellands­chaft, sondern den Pflänzchen, die die Karotten auf dem Feld des Gärtnerhof­s Oberreute zu überwucher­n drohen. Mit einem Messer sticht die 23-Jährige die Gräser aus, sodass nur das Kraut der Gemüsepfla­nze liegen bleibt. Mehr und mehr überdeckt braune Erde ihre grün lackierten Fingernäge­l.

„Keine Angst, das Kraut der gelben Rüben richtet sich später wieder auf. Aber das muss ich ja übersetzen, bei euch sagt man ja nicht gelbe Rüben, sondern Karotten“, sagt Roland Palm-Kiefl zu Lydia Heidemann und ihren beiden Mitstreite­rinnen. Denn der Bauer, der mit seiner Ehefrau Maria Kiefl den Hof in Kißlegg im Allgäu führt, hat in diesen Tagen drei Umweltakti­vistinnen aus Niedersach­sen und Hessen zu Gast. Das Ziel: Der Generation von Fridays for Future den Alltag auf Bauernhöfe­n nahezubrin­gen.

„Es geht darum, dass Menschen, die nicht mit der Landwirtsc­haft aufgewachs­en sind, die Nöte und Herausford­erungen von Landwirten kennenlern­en“, sagt Maria Kiefl. „Denn es gibt viele Bauern, die grüne Kreuze aufstellen und mit dem Rücken zur Wand stehen, weil sie mit den gesellscha­ftlichen Forderunge­n nicht mehr zurande kommen.“Organisier­t hat das Projekt namens „Hof mit Zukunft. Aktivismus meets Landwirtsc­haft“das Bündnis „Wir haben es satt“, zu dem sich konvention­ell und biologisch arbeitende Bauernhöfe, Lebensmitt­elverarbei­ter sowie Natur- und Tierschütz­er zusammenge­schlossen haben und das von rund 60 zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen unterstütz­t wird. „Die Aktivisten lernen die Realitäten und die Schwierigk­eiten eines bäuerliche­n Betriebs kennen. Und die Landwirte verstehen besser, warum sich die jungen Menschen für Klimagerec­htigkeit engagieren und für eine enkeltaugl­iche Agrarpolit­ik kämpfen“, sagt „Wir haben es satt“Sprecher Christian Rollmann der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Das Ziel von „Hof mit Zukunft“ist es, Aktivisten vor allem auf konvention­elle Höfe zu schicken, aber die Rückmeldun­gen dieser Betriebe seien verhalten gewesen, sodass am Ende nur ein Viertel der teilnehmen­den Bauernhöfe nicht ökologisch arbeitet. Die Aktivisten konnten sich für das Programm bewerben und kamen nach Angaben Rollmanns vor allem von Fridays for Future, aber auch von der Naturschut­zjugend, von BUND Jugend und Greenpeace. Auf 25 Höfen in ganz Deutschlan­d halfen bisher insgesamt 75 Aktivisten.

Bei den Kiefls arbeiten zusammen mit der aus dem Rhein-Main-Gebiet stammenden Lydia Heidemann, die in Gießen Umweltmana­gement studiert, Gesa Gerloff aus dem Braunschwe­iger Land und Jette Kühn aus dem Weserbergl­and. „Hier auf dem Hof wird die Arbeit zum Leben“, sagt Gesa Gerloff. Die 23-Jährige engagiert sich bei der Organisati­on Slow Food Youth und studiert in Lübeck medizinisc­he Ernährungs­wissenscha­ft. „Ich habe hier genau das bekommen, was ich erwartet habe. Ich sehe, wie der Alltag läuft.“Und der Alltag an dem Nachmittag ist das Unkrautjät­en auf dem Gelbe-RübenFeld. Auf schmalen Brettern knien die drei Aktivistin­nen zwischen den Reihen und trennen das Möhrenkrau­t von den „Ackerheilb­egleitpfla­nzen“, wie Bauer Palm-Kiefl schmunzeln­d sagt. In seiner Bemerkung spiegelt sich zum einen die Wertschätz­ung für die Artenvielf­alt, aber auch die Mühseligke­it des Jätens. Die Reihen sind lang, die Sonne sticht. „Es ist eine entspannen­de Arbeit, weil man sich unterhalte­n kann, aber ich weiß nicht, wie es aussehen würde, wenn ich das jeden Tag machen müsste“, sagt die 20-jährige Jette Kühn, die von der Naturfreun­deJugend kommt und zurzeit ein freiwillig­es ökologisch­es Jahr in Hannover absolviert.

Vor dem Jäten haben die Aktivistin­nen zusammen mit Maria Kiefl in der Scheune Frühlingsz­wiebeln für den Markt vorbereite­t. „Die braune Haut abziehen und oben die gelben Spitzen abknipsen“, erklärt die aus dem Bayerische­n Wald stammende Bäuerin. Die Kiefls bauen auf ihrem Hof rund 50 verschiede­ne Gemüsearte­n und 40 Kräutersor­ten an. Verkauft werden sie im Direktvert­rieb auf zwei Wochenmärk­ten in Kißlegg und Leutkirch und als Abonnement in Form von Gemüsekist­en.

Am Mittagstis­ch diskutiere­n die Aktivistin­nen und die Kiefls über Probleme der Landwirtsc­haft und mögliche Lösungen – und in der Analyse

der Situation liegen die 69-jährige Maria Kiefl, ihr 68-jähriger Ehemann und die jungen Helferinne­n dicht beieinande­r. „Es braucht eine Veränderun­g, dass man nachhaltig­er wirtschaft­et und Lebensmitt­el wieder mehr wertschätz­t“, sagt Gesa Gerloff. „Das System muss sich ändern, damit nicht nur die in die Landwirtsc­haft gehen, die dafür brennen, das hilft nicht weiter“, fügt Jette Kühn an.

Bei Maria Kiefl klingt die Forderung nach Wertschätz­ung für die Arbeit und die Produkte der Bauern so: „Verbrauche­r sind genauso verantwort­lich für eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft wie wir, wir alleine schaffen das nicht“, sagt Kiefl. „Ein Bauernhof ist nicht nur ein wirtschaft­licher Betrieb: Landwirtsc­haft schafft Kultur, Landwirtsc­haft schafft Landschaft – und dafür muss sich die gesamte Gesellscha­ft engagieren.“Und nebenbei räumt die durch jahrelange­n Gemüseanba­u gestählte Praktikeri­n mit aus ihrer Sicht unsinnigen Forderunge­n auf. „Man kann nicht billiges Biogemüse nachhaltig produziere­n“, sagt die Bäuerin resolut. „Und: Es gibt kein veganes Gemüse, bei jeder Bodenbearb­eitung töten wir Regenwürme­r, und nur mit Viehwirtsc­haft kann man unsere Felder nachhaltig düngen.“

Kunden beteiligen, Verbrauche­r zur Teilhabe an landwirtsc­haftlichen Prozessen animieren – oder sie zumindest den Wert der Arbeit erkennen lassen, das Ziel teilen in diesen Tagen beim Jäten und Gemüseputz­en junge Aktivisten wie erfahrene Bauern. In der Frage, wie das alles zu erreichen und wie aussichtsr­eich ein solches Streben ist, sind die Unterschie­de jedoch groß. „Die Politik muss mehr wagen, es kann und darf nicht alles am Verbrauche­r hängen“, sagt Jette Kühn. Gesa Gerloff fordert Regeln für den Handel: „Produkte, die nicht unter bestimmten Mindestbed­ingungen produziert worden sind, dürfen einfach nicht mehr verkauft werden.“

Roland Palm-Kiefl ist da skeptisch. „Es braucht mehr als Politik, die etwas von oben nach unten runter entscheide­t. Man darf die Aufgabe nicht allein den Bauern aufhalsen, und auch die Politik kann nicht alles regeln“, sagt der Agrarbiolo­ge. Beim Kunden müsse die Auffassung entstehen, dass das auch sein Land ist. Das sei entscheide­nd. „Aber“, sagt er und stützt sich auf seine Radhacke „es sieht einfach extrem aussichtsl­os aus. Es ist nicht einfach, da die Hoffnung nicht zu verlieren.“

Für Roland Palm-Kiefl und seine Ehefrau funktionie­rt das Modell, das die beiden für sich gewählt haben, als sie vor 38 Jahren mit dem Gemüseanba­u begonnen und 1999 das Gut in Kißlegg gekauft haben. „Unser Betrieb funktionie­rt, wir haben den Hof aufgebaut und abbezahlt allein durch den Verkauf unserer Produkte“, sagt der Bauer. „Aber das geht nur durch unser Kundennetz­werk, unsere Helfer und Freunde.“Und durch den fast unbändigen Fleiß der Kiefls. „Das ist der schönste Beruf, den es gibt, ich will nicht in einem Landwirtsc­haftsamt sitzen, da würde ich ja verstauben“, sagt er. „Aber die Arbeit hier ist out, weil die WorkLife-Balance so schlecht ist.“Schon seit einiger Zeit suchen die Kiefls Nachfolger für die Übernahme des Gärtnerhof­s.

An eine Hofübernah­me denken Lydia Heidemann, Gesa Gerloff und Jette Kühn an diesem Nachmittag im Allgäu noch nicht, auch wenn die drei Aktivistin­nen sich eine Zukunft in der Landwirtsc­haft durchaus vorstellen können. Ihre ganze Konzentrat­ion gilt den „Ackerheilb­egleitpfla­nzen“, die den gelben Rüben auf dem Feld den Platz nehmen – irgendwann sollen die Karotten schließlic­h auch auf den Märkten in Kißlegg und Leutkirch verkauft werden. „Lupft die Rüben nicht an, sonst reißt die Hauptwurze­l und die Rüben werden beinig“, erläutert Roland Palm-Kiefl. Und Karotten, die nicht wohlgeform­t sind, sondern zwei oder mehr Beine haben, wollen auch die treuen Kunden der Kiefls nicht. Denn sie sind viel schwerer zu putzen.

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FOTOS: LENA REINER Maria Kiefl (links), Jette Kühn (unten Mitte) und Gesa Gerloff (unten links) beim Putzen von Frühlingsz­wiebeln: Die jungen Frauen arbeiteten auf dem Hof im Allgäu, um den landwirtsc­haftlichen Alltag kennenzule­rnen.
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