Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Frust bei DLRG-Wasserrettern wächst
Im Landkreis gibt es eine jährliche Deckungslücke von mindestens 30 000 Euro
WANGEN/KREIS RAVENSBURG - Der Frust wächst. Nicht nur bei Oliver Bolz, stellvertretender Einsatzleiter des DLRG-Bezirks Ravensburg, der für den gesamten Landkreis mit seinen 39 Städten und Gemeinden zuständig ist. Seit Jahren sei es dasselbe Spiel: Trotz der steigenden Anforderungen an Ausbildung, Ausrüstung oder Fahrzeuge und den damit verbundenen Ausgaben verschlechtere sich die Situation der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) stetig. Eine Folge der mangelhaften Zuschüsse und der praktisch nicht vorhandenen Unterhaltsfinanzierung sei, dass die ehrenamtlich Tätigen auch noch ihre Einsätze und teilweise die Ausstattung selbst finanzieren. „Mit der Motivation wird es immer schwieriger“, sagt Bolz.
Das Auto eines Familienernährers wird an einem Weiher leer aufgefunden. Es gibt Hinweise auf einen Suizid. Der Sucheinsatz gemeinsam mit der Polizei endet nach mehreren Stunden. Mit keinem guten Ende, die Rettungskräfte können den Vermissten nur noch tot bergen. Von einem Passanten wird die Polizei über die Rettungsleitstelle informiert, dass sich ein Angler aufgrund eines herannahenden Gewitters in Bedrängnis befindet. Die herbeieilenden Rettungskräfte, einschließlich DLRG, ernten am vermeintlichen Rettungsort Kopfschütteln und Unverständnis. Andernorts wird an einem Baggersee ein hochwertiges Mountainbike samt Handy und Schlüssel am Ufer entdeckt. Die Suche nach dem vermeintlich Vermissten beginnt und erstreckt sich über Stunden. Irgendwann ist die Identität der Person bekannt, wird sie zu Hause aufgesucht. In einer Notlage befindet sie sich nicht, hat einen Notfall aber eventuell absichtlich vorgetäuscht. Bolz: „Sie war psychisch auffällig und alkoholisiert.“Und irgendwann war auch klar: „Da ist finanziell nichts zu holen.“Es sind drei von jährlich rund 25 Einsätzen im Landkreis. Drei, für die die DLRG nicht einen Cent sieht und sehen wird.
Voraussetzung, dass es, so ist es im Sozialgesetzbuch geregelt, von den Krankenkassen Gelder gibt, ist laut Bolz, dass Gerettete nach der Rettungsaktion vom Rettungsdienst in ein Krankenhaus transportiert werden. Naturgemäß kommt dies bei Ertrinkungsunfällen nur selten vor. Dann erhält der DLRG-Bezirk eine Pauschale von knapp 280 Euro – unabhängig davon, was der Einsatz tatsächlich kostete. Wie hoch die Kosten wirklich sind, lässt sich laut Bolz pauschal nur schwer beziffern: „Das hängt davon ab, wie lange der Einsatz dauerte, wie viele Personen, Fahrzeuge und Boote im Einsatz waren, wie weit weg der Einsatzort ist und so weiter.“Annehmen könne man aber durchaus durchschnittliche Kosten in Höhe von 3000 bis 5000 Euro. „Mehr als fünf Krankenhaus-Transporte und damit eine Pauschale für uns im Jahr gibt es bei uns nicht“, sagt Oliver Bolz.
Einen hat er vor drei Jahren in Altshausen erlebt, als zwei Personen ins Eis eingebrochen sind, gerettet werden konnten und überlebten. In der Regel generiert der DLRG-Bezirk Ravensburg jährliche Einnahmen zwischen 500 und 1500 Euro aus Rettungsdiensteinsätzen, sagt Bolz. Darüber hinaus bleibt er jährlich auf „mindestens 30 000 Euro“sitzen. Auch deshalb, weil Kosten in den seltensten Fällen privat abgerechnet werden können. Bolz: „Wir stellen
Rechnungen in der Hoffnung, dass diese bezahlt werden können. Betrifft es Angehörige von Verstorbenen, ist das ein Stück weit auch pietätlos und endete auch schon mal beim Rechtsanwalt.“In etwa einem Drittel aller Fälle werden die Rechnungen zurückgezogen: „Einfach, weil die Hinterbliebenen nicht in der Lage sind, diese zu begleichen.“
Unterm Strich kommt somit jedes DLRG-Mitglied der elf Ortsgruppen im Landkreis indirekt für die Wasserrettung zur ehrenamtlichen Tätigkeit hinaus auch finanziell noch selbst auf. Etwa die Hälfte der Mitgliedsbeiträge fließt an den Bundes- und Landesverband sowie an den Bezirk. Letzterer finanziert dann aus seinem Budget die Wasserrettung. Hinzu kommt der beträchtliche Investitions-Antragsstau im Landesverband von mehreren Millionen Euro. Bolz: „Wir haben uns 2021 zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder eine einheitliche Einsatzkleidung leisten können, die den aktuellen Vorschriften entspricht. Davor sind viele privat und selbst dafür geradegestanden.“Im Gegensatz zur Feuerwehr erhalten die DLRG-Helfer auch keine Aufwandsentschädigung, verlassen Mitglieder also gegebenenfalls den Arbeitsplatz auf eigene Kosten. Bolz: „Und dann kümmerst du dich am nächsten Feierabend um die Verwaltung, darum, dass die Organisation eventuell an die Erstattung ihrer Aufwendungen kommt. Das ist insgesamt echt frustrierend.“
Bolz spricht auch in einem anderen Bereich von „enormen Herausforderungen, die noch nicht absehbar sind“. Die Nachwuchsgewinnung sei „extrem schwierig“. Die Ortsgruppe Vogt mit einst über 300 Mitgliedern habe sich nach der Hallenbadschließung 2008 aufgelöst. „Da können wir in Wangen noch froh sein, dass wir hier noch die Wasserrettung haben und unseren 200 Mitgliedern Perspektiven wie Bootfahren, Strömungsrettung, Tauchen oder anderes bieten können“, so Bolz weiter. Hoffnung setzt er auch in den noch in dieser Woche beginnenden Bau der Rettungswache am Wangener Freibad. Er gibt dem Verein DLRG endlich eine Heimat – und die Möglichkeit zu mehr Geselligkeit und „normalem“Vereinsleben.