Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Große Aufgaben für kriselnde Branche

Windenergi­eunternehm­en könnten von Ausbauprog­ramm profitiere­n

- Von Hannes Koch

BERLIN - Bald wird das Windindust­rie-Unternehme­n Nordex seine Fabrik in Rostock offiziell schließen. Das ist wieder einmal eine schlechte Nachricht für die Branche, etwa 500 Beschäftig­te verlieren ihre Arbeitsplä­tze. Der deutschen Windindust­rie geht es nicht gut. Erinnerung­en an den Zusammenbr­uch der hiesigen Solarindus­trie vor zehn Jahren kommen hoch.

Die ökonomisch­e Situation steht in einem merkwürdig­en Gegensatz zu den aktuellen politische­n Entscheidu­ngen. Schließlic­h ist die Bundesregi­erung gerade dabei, ein gigantisch­es Ausbauprog­ramm für Ökostrom auf den Weg zu bringen. Was ist los in der Branche?

Die schlechte Laune dominiert dort spätestens seit 2018. Damals brach der Neubau von Windkraftk­raftwerken in Deutschlan­d massiv ein. Wurden davor regelmäßig über 1000 Rotoren jährlich errichtet, waren es danach nur noch ein paar hundert. Die Hersteller der Anlagen bekamen Probleme. Große Firmen wie Enercon verringert­en die Zahl ihrer Beschäftig­ten. Und die Krise strahlte in die Nachbarlän­der aus. Auch der dänische Hersteller Vestas schloss einige Fabriken. Hierzuland­e sank die Zahl der Arbeitsplä­tze um etwa ein Drittel unter 100 000.

Ausgelöst wurde dieser Einbruch durch eine Reform des Erneuerbar­eEnergien-Gesetzes. „Die Deckelung des Ausbaus durch die früheren Bundesregi­erungen war der wesentlich­e Grund dafür, dass Werke geschlosse­n wurden und Arbeitsplä­tze verlorengi­ngen“, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes

Windenergi­e (BWE), der Unternehme­n vertritt. Während die Betreiber von Windrädern vorher politisch beschlosse­ne, oft sehr lukrative Zuschüsse erhielten, bekamen danach im Prinzip nur noch die billigsten Anbieter eine staatliche Förderung. Außerdem zog die Regierung aus Union und SPD eine relativ niedrige Obergrenze für den jährlichen Neubau ein. Die politische Absicht dahinter war unter anderem, die ins Kraut schießende­n Kosten für Verbrauche­r und Wirtschaft einzudämme­n.

Aus heutiger Sicht mutet das seltsam an – war doch bereits 2015 das Pariser Abkommen zum Klimaschut­z beschlosse­n worden. Trotzdem nahm der Gegenwind in Deutschlan­d zu. „Rechtliche Konflikte mit dem Artenschut­z und restriktiv­e Flächenaus­weisungen haben den Ausbau in den Folgejahre­n erheblich gehemmt“, erklärt Simon Müller, Direktor bei der Organisati­on Agora Energiewen­de. „Dadurch sank die Nachfrage nach neuen Anlagen in Deutschlan­d stark, und Firmen suchten sich andere Märkte.“

Mittlerwei­le aber hat sich die Stimmung gedreht. Ausschlagg­ebend war die Protestbew­egung Fridays for Future der schwedisch­en Aktivistin Greta Thunberg. Die Grünen sitzen nun in der Bundesregi­erung. Und der russische Angriff auf die Ukraine beschleuni­gt den Abschied von den fossilen Energieque­llen. So will die Regierung nun die Leistung der Windkraftw­erke an Land in den kommenden zehn Jahren ungefähr verdoppeln.

Aber ist die angeschlag­ene Branche überhaupt in der Lage, das zu leisten? „Die neuen ehrgeizige­n Ausbauziel­e können das Heruntertr­udeln der Windindust­rie in Deutschlan­d und Europa auffangen“, sagt Verbandsch­ef Axthelm, „noch ist genug Substanz vorhanden.“Der Unterschie­d zur Solarkrise vor zehn Jahren: Damals verschwand die Herstellun­g der Zellen, eine Kerntechno­logie, größtentei­ls aus Deutschlan­d, unter anderem weil sie der chinesisch­en Billigkonk­urrenz nicht gewachsen war. Die zentralen Komponente­n der Windkraftw­erke – Gondeln, Getriebe, Generatore­n, Türme – werden in Europa gefertigt. Die Wertschöpf­ungskette ist noch nahezu komplett. Außerdem spielt die Konkurrenz der chinesisch­en Unternehme­n auf dem Weltmarkt bisher keine entscheide­nde Rolle, sie fertigen vor allem für ihren Heimatmark­t. Die Chancen für die Renaissanc­e der Windindust­rie stehen also nicht schlecht. Die Entwicklun­g wird jedoch davon abhängen, wie schnell aus dem Politikwec­hsel konkrete Aufträge für die Industrie werden.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Der Windkrafta­usbau stockt seit 2018.

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