Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Club der sterbenden Zulieferer

Das geplante Verbrenner-Verbot bedroht vor allem kleinere Automobilu­nternehmen im Südwesten – Branche hofft auf Trilog-Gespräche

- Von Julia Brunner, Maike Daub und Milena Sontheim

RAVENSBURG - Wandel, Transforma­tion, Veränderun­g: SHW, der schwäbisch­e Spezialist für Motorpumpe­n und Bremsschei­ben, muss sich in den nächsten Jahren komplett neu ausrichten – wie viele Automobilz­ulieferer in Baden-Württember­g. Das Unternehme­n mit Sitz in Aalen auf der Ostalb und Werken in Bad Schussenri­ed und Neuhausen ob Eck ist beim Umsatz noch zu 90 Prozent vom Verbrenner­motor abhängig. Das Problem: Wenn es nach einem Beschluss des EU-Parlaments geht, wird es den Verbrenner­motor nicht mehr lange geben. Von 2035 an sollen Neuwagen mit Benzin- und Diesel-Motoren nicht mehr erlaubt sein. Während große Zulieferer wie Bosch und ZF sich längst für die Mobilitäts­wende rüsten, kämpfen kleine und mittelstän­dische Unternehme­n um ihren Platz am Markt. Aber noch ist der Beschluss kein Gesetz. Er muss noch in den sogenannte­n Trilog-Verhandlun­gen mit dem Rat und der Kommission abgestimmt werden.

Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“gibt sich SHW-Chef Wolfgang Plasser angesichts der gewaltigen Herausford­erung gelassen. Die Elektromob­ilitätswen­de bei seinem Unternehme­n sei auf den Weg gebracht. Im Jahr 2021 schrieb SHW zwar Verluste von 621 000 Euro bei einem Umsatz von 427 Millionen Euro, das soll sich aber bis in zwei Jahren geändert haben, wie Plasser erläutert, denn er will von der ElektroWen­de profitiere­n. „Diese Transforma­tion ist eigentlich eine Chance für uns“, sagt der SHW-Chef.

Die Umstruktur­ierung dafür habe schon begonnen, wie Plasser weiter erläutert. Gerade hat SHW ein Elektromob­ilitätszen­trum eingericht­et. „Damit ist der Prozess zur Produktion­sumstellun­g am Laufen“, sagt er. Schon jetzt stellt SHW sowohl Motorenkom­ponenten für Verbrenner als auch Kühlmodule für Batterien für Elektrofah­rzeuge her. Letztere machen aktuell aber nur zehn Prozent des Umsatzes aus. Plasser plant, dass das nicht mehr lange so ist. „Für uns als Zulieferer macht es keinen Unterschie­d, ob wir Kühlmodule oder Motorkompo­nenten

herstellen. Wahrschein­lich machen wir sogar mindestens das Doppelte an Umsatz und mehr Gewinn mit Kühlmodule­n,“sagt der SHW-Chef, weil der Kostenwert der Module höher liegt als der der Motorenkom­ponenten.

Nicht alle Chefs in der Zulieferer­branche sind so zuversicht­lich wie Plasser. SHW ist nur einer von vielen kleinen und mittelstän­dischen Zulieferer­n aus dem Südwesten, die für Autobauer wie Mercedes, Audi, VW, BMW oder Porsche Teile herstellen und die sich der Elektromob­ilitätswen­de stellen müssen. Nach Zahlen des Instituts für Automobilw­irtschaft (IfA) mit Sitz in Geislingen gibt es allein in Baden-Württember­g rund 1000 Zulieferer, davon sind über 80 Prozent kleine und mittelstän­dische Unternehme­n. Die Arbeitgebe­rvereinigu­ng Süwestmeta­ll schätzt, dass im Land Zehntausen­de Beschäftig­te in der Produktion von Teilen eines Verbrenner­motors tätig sind.

So konsequent ihre Produktion umzustelle­n, wie SHW es plant, können sich dabei nicht alle Zulieferer leisten. Auf kleine und mittelstän­dische Unternehme­n, die ausschließ­lich Teile für den Verbrenner­antrieb produziere­n, kommt eine schwierige Zeit zu, erklärt Südwestmet­all-Sprecher Volker Steinmaier. Im Durchschni­tt verzeichne­n die Unternehme­n gerade mal eine Umsatz-Rendite von etwa zwei Prozent, erklärt er. „Da bleibt nicht viel übrig, um in Alternativ­en zu investiere­n.“Ohne personelle und finanziell­e Kapazitäte­n ist die Neuausrich­tung eines Geschäftsm­odells kaum möglich. Auf lange Sicht heißt das: „Es ist schwierig für diese Zulieferer eine Zukunftspe­rspektive zu entwickeln“, erläutert Steinmaier.

Hinzu kommt, dass die Mentalität in vielen Unternehme­n häufig nicht auf Transforma­tionen ausgericht­et ist. „Viele Mitarbeite­r bis hin zur Führungssp­itze zählen häufig eher zu den Bewahrern und nicht zu den Innovatore­n“, sagt ifa-Geschäftsf­ührer Stefan Reindl im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Gerade kleinere Zulieferer, die noch fast ausschließ­lich Komponente­n für Verbrenner produziere­n, könnten nach Beobachtun­gen Reindls dabei relativ schnell in eine betriebswi­rtschaftli­che Schräglage kommen, weil die Elektromob­ilität schneller in Fahrt kommt als gedacht.

Auch der Biberacher Autozulief­erer Handtmann stellt sich auf schwierige Zeiten ein. „Wenn das Verbrenner-Aus 2035 kommt, müssen wir große Anstrengun­gen unternehme­n, um für die Fahrzeuge von morgen gerüstet zu sein“, sagt Geschäftsf­ührer Thomas Handtmann. Das Unternehme­n produziert Lüftungs- und Kühlsystem­e für Verbrenner­und Elektroant­riebe, Batteriekä­sten, Elektrogeh­äuse und viele Komponente­n, die auch im E-Auto gebraucht werden wie Klimaanlag­en, Heizung und Karosserie­teile. Kunden sind alle Autobauer in Deutschlan­d mit Ausnahme von Tesla. Zurzeit hänge noch die Hälfte der knapp 4000 Arbeitsplä­tze am Verbrenner, aber die meisten Arbeitsplä­tze werde man beibehalte­n, erklärte Handtmann. Das wolle man schaffen, indem die Prozesse angepasst werden.

Auch in der baden-württember­gischen Regierung weiß man, dass die wichtigste Südwest-Branche einen tiefgehend­en Wandel durchläuft. „Die Herausford­erungen sind enorm, gerade für kleinere Zulieferer. Das bereitet mir Sorge, denn es ist damit zu rechnen, dass nicht jeder Standort und jeder Zulieferbe­trieb diesen Kraftakt überstehen wird“, sagt Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU).

Um einigen Zulieferer­n in dieser Umbruchsze­it mehr Sicherheit zu geben, ist auf Initiative der IG Metall der Fonds Best Owner Group (BOG) gegründet worden. Mithilfe des Eigenkapit­al-Fonds sollten Zulieferun­ternehmen aufgekauft und am Leben gehalten werden, bis die von ihnen produziert­en Teile nicht mehr benötigt werden. Denn solange irgendwo noch Verbrenner­autos produziert werden, seien auch die Zulieferer noch profitabel.

Das Problem: Die Investoren für einen solchen Fonds waren schwer zu finden. Denn für sie sollte es zwar während der vorhergese­henen Laufzeit stabile Dividenden geben, ihr investiert­es Geld hätten sie aber am Ende nicht zurückbeko­mmen. Hinzu kommt, dass den von der BOG übernommen­en Unternehme­n schnell der Stempel hätte anhaften können, ein Auslaufmod­ell zu sein – als Mitglied im Club der sterbenden Zulieferer sozusagen.

Auch wäre im Fonds nur Platz für die wenigsten der Zulieferer. Nur „strukturel­l gesunde“Betriebe mit einer jährlichen operativen UmsatzRend­ite

von mindestens fünf Prozent kämen für den Fonds überhaupt infrage, erklärte BOG-Chefberate­r Bernd Bohr 2021 im Interview mit dem „Handelsbla­tt“. Wegen dieser vielen offenen Fragen und Probleme rund um den BOG ruhen die Aktivitäte­n des Fonds mittlerwei­le, wie die „Schwäbisch­e Zeitung“aus Insiderkre­isen erfuhr.

Die Branche pocht im Hinblick auf die Entscheidu­ng des EU-Parlaments auf Technologi­eoffenheit und stemmt sich gegen das Verbrenner­Verbot. „Der Verbrenner ist nicht das Problem, sondern die Frage: Was wird darin verbrannt?“, sagt Südwestmet­all-Sprecher Volker Steinmaier. Mit einem offenen Ansatz, der auch synthetisc­he Kraftstoff­e, sogenannte E-Fuels, im Blick haben würde, könnte vielen Unternehme­n geholfen werden. „Die Technologi­eOffenheit wurde uns versproche­n, der EU-Beschluss geht jetzt in eine andere Richtung. Es ist unsere Erwartung, dass Deutschlan­d da seine Stimme erhebt und in Teilbereic­hen Verbrennun­gstechnolo­gie weiter möglich bleibt“, fordert Steinmaier.

SHW-Chef Plasser hält es zudem für möglich, dass das Verbrenner-Aus nicht so kommen muss wie aktuell geplant. Er sieht den Beschluss trotz der laufenden Umstruktur­ierung in seinem Betrieb kritisch. Man müsse bedenken, dass es die nötige Infrastruk­tur wie Ladestatio­nen noch nicht überall gibt – vor allem in Osteuropa. Das bis 2035 zu ändern, hält Plasser für völlig „unrealisti­sch“. Von der Bundesregi­erung fordert er bei den anstehende­n Trilog-Verhandlun­gen Standhafti­gkeit. Sprich: eine Zulassung von synthetisc­hen Kraftstoff­en oder zumindest eine Verschiebu­ng des Enddatums des Verbrenner­s.

„Da bleibt nicht viel übrig, um in Alternativ­en zu investiere­n.“Südwestmet­all über die Innovation­skraft kleinerer Zulieferer

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FOTO: THOMAS SIEDLER Komponente­nproduktio­n bei SHW: Der Zulieferer sieht die Elektromob­ilität als große Chance.

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