Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Club der sterbenden Zulieferer
Das geplante Verbrenner-Verbot bedroht vor allem kleinere Automobilunternehmen im Südwesten – Branche hofft auf Trilog-Gespräche
RAVENSBURG - Wandel, Transformation, Veränderung: SHW, der schwäbische Spezialist für Motorpumpen und Bremsscheiben, muss sich in den nächsten Jahren komplett neu ausrichten – wie viele Automobilzulieferer in Baden-Württemberg. Das Unternehmen mit Sitz in Aalen auf der Ostalb und Werken in Bad Schussenried und Neuhausen ob Eck ist beim Umsatz noch zu 90 Prozent vom Verbrennermotor abhängig. Das Problem: Wenn es nach einem Beschluss des EU-Parlaments geht, wird es den Verbrennermotor nicht mehr lange geben. Von 2035 an sollen Neuwagen mit Benzin- und Diesel-Motoren nicht mehr erlaubt sein. Während große Zulieferer wie Bosch und ZF sich längst für die Mobilitätswende rüsten, kämpfen kleine und mittelständische Unternehmen um ihren Platz am Markt. Aber noch ist der Beschluss kein Gesetz. Er muss noch in den sogenannten Trilog-Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission abgestimmt werden.
Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“gibt sich SHW-Chef Wolfgang Plasser angesichts der gewaltigen Herausforderung gelassen. Die Elektromobilitätswende bei seinem Unternehmen sei auf den Weg gebracht. Im Jahr 2021 schrieb SHW zwar Verluste von 621 000 Euro bei einem Umsatz von 427 Millionen Euro, das soll sich aber bis in zwei Jahren geändert haben, wie Plasser erläutert, denn er will von der ElektroWende profitieren. „Diese Transformation ist eigentlich eine Chance für uns“, sagt der SHW-Chef.
Die Umstrukturierung dafür habe schon begonnen, wie Plasser weiter erläutert. Gerade hat SHW ein Elektromobilitätszentrum eingerichtet. „Damit ist der Prozess zur Produktionsumstellung am Laufen“, sagt er. Schon jetzt stellt SHW sowohl Motorenkomponenten für Verbrenner als auch Kühlmodule für Batterien für Elektrofahrzeuge her. Letztere machen aktuell aber nur zehn Prozent des Umsatzes aus. Plasser plant, dass das nicht mehr lange so ist. „Für uns als Zulieferer macht es keinen Unterschied, ob wir Kühlmodule oder Motorkomponenten
herstellen. Wahrscheinlich machen wir sogar mindestens das Doppelte an Umsatz und mehr Gewinn mit Kühlmodulen,“sagt der SHW-Chef, weil der Kostenwert der Module höher liegt als der der Motorenkomponenten.
Nicht alle Chefs in der Zuliefererbranche sind so zuversichtlich wie Plasser. SHW ist nur einer von vielen kleinen und mittelständischen Zulieferern aus dem Südwesten, die für Autobauer wie Mercedes, Audi, VW, BMW oder Porsche Teile herstellen und die sich der Elektromobilitätswende stellen müssen. Nach Zahlen des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) mit Sitz in Geislingen gibt es allein in Baden-Württemberg rund 1000 Zulieferer, davon sind über 80 Prozent kleine und mittelständische Unternehmen. Die Arbeitgebervereinigung Süwestmetall schätzt, dass im Land Zehntausende Beschäftigte in der Produktion von Teilen eines Verbrennermotors tätig sind.
So konsequent ihre Produktion umzustellen, wie SHW es plant, können sich dabei nicht alle Zulieferer leisten. Auf kleine und mittelständische Unternehmen, die ausschließlich Teile für den Verbrennerantrieb produzieren, kommt eine schwierige Zeit zu, erklärt Südwestmetall-Sprecher Volker Steinmaier. Im Durchschnitt verzeichnen die Unternehmen gerade mal eine Umsatz-Rendite von etwa zwei Prozent, erklärt er. „Da bleibt nicht viel übrig, um in Alternativen zu investieren.“Ohne personelle und finanzielle Kapazitäten ist die Neuausrichtung eines Geschäftsmodells kaum möglich. Auf lange Sicht heißt das: „Es ist schwierig für diese Zulieferer eine Zukunftsperspektive zu entwickeln“, erläutert Steinmaier.
Hinzu kommt, dass die Mentalität in vielen Unternehmen häufig nicht auf Transformationen ausgerichtet ist. „Viele Mitarbeiter bis hin zur Führungsspitze zählen häufig eher zu den Bewahrern und nicht zu den Innovatoren“, sagt ifa-Geschäftsführer Stefan Reindl im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Gerade kleinere Zulieferer, die noch fast ausschließlich Komponenten für Verbrenner produzieren, könnten nach Beobachtungen Reindls dabei relativ schnell in eine betriebswirtschaftliche Schräglage kommen, weil die Elektromobilität schneller in Fahrt kommt als gedacht.
Auch der Biberacher Autozulieferer Handtmann stellt sich auf schwierige Zeiten ein. „Wenn das Verbrenner-Aus 2035 kommt, müssen wir große Anstrengungen unternehmen, um für die Fahrzeuge von morgen gerüstet zu sein“, sagt Geschäftsführer Thomas Handtmann. Das Unternehmen produziert Lüftungs- und Kühlsysteme für Verbrennerund Elektroantriebe, Batteriekästen, Elektrogehäuse und viele Komponenten, die auch im E-Auto gebraucht werden wie Klimaanlagen, Heizung und Karosserieteile. Kunden sind alle Autobauer in Deutschland mit Ausnahme von Tesla. Zurzeit hänge noch die Hälfte der knapp 4000 Arbeitsplätze am Verbrenner, aber die meisten Arbeitsplätze werde man beibehalten, erklärte Handtmann. Das wolle man schaffen, indem die Prozesse angepasst werden.
Auch in der baden-württembergischen Regierung weiß man, dass die wichtigste Südwest-Branche einen tiefgehenden Wandel durchläuft. „Die Herausforderungen sind enorm, gerade für kleinere Zulieferer. Das bereitet mir Sorge, denn es ist damit zu rechnen, dass nicht jeder Standort und jeder Zulieferbetrieb diesen Kraftakt überstehen wird“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).
Um einigen Zulieferern in dieser Umbruchszeit mehr Sicherheit zu geben, ist auf Initiative der IG Metall der Fonds Best Owner Group (BOG) gegründet worden. Mithilfe des Eigenkapital-Fonds sollten Zulieferunternehmen aufgekauft und am Leben gehalten werden, bis die von ihnen produzierten Teile nicht mehr benötigt werden. Denn solange irgendwo noch Verbrennerautos produziert werden, seien auch die Zulieferer noch profitabel.
Das Problem: Die Investoren für einen solchen Fonds waren schwer zu finden. Denn für sie sollte es zwar während der vorhergesehenen Laufzeit stabile Dividenden geben, ihr investiertes Geld hätten sie aber am Ende nicht zurückbekommen. Hinzu kommt, dass den von der BOG übernommenen Unternehmen schnell der Stempel hätte anhaften können, ein Auslaufmodell zu sein – als Mitglied im Club der sterbenden Zulieferer sozusagen.
Auch wäre im Fonds nur Platz für die wenigsten der Zulieferer. Nur „strukturell gesunde“Betriebe mit einer jährlichen operativen UmsatzRendite
von mindestens fünf Prozent kämen für den Fonds überhaupt infrage, erklärte BOG-Chefberater Bernd Bohr 2021 im Interview mit dem „Handelsblatt“. Wegen dieser vielen offenen Fragen und Probleme rund um den BOG ruhen die Aktivitäten des Fonds mittlerweile, wie die „Schwäbische Zeitung“aus Insiderkreisen erfuhr.
Die Branche pocht im Hinblick auf die Entscheidung des EU-Parlaments auf Technologieoffenheit und stemmt sich gegen das VerbrennerVerbot. „Der Verbrenner ist nicht das Problem, sondern die Frage: Was wird darin verbrannt?“, sagt Südwestmetall-Sprecher Volker Steinmaier. Mit einem offenen Ansatz, der auch synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, im Blick haben würde, könnte vielen Unternehmen geholfen werden. „Die TechnologieOffenheit wurde uns versprochen, der EU-Beschluss geht jetzt in eine andere Richtung. Es ist unsere Erwartung, dass Deutschland da seine Stimme erhebt und in Teilbereichen Verbrennungstechnologie weiter möglich bleibt“, fordert Steinmaier.
SHW-Chef Plasser hält es zudem für möglich, dass das Verbrenner-Aus nicht so kommen muss wie aktuell geplant. Er sieht den Beschluss trotz der laufenden Umstrukturierung in seinem Betrieb kritisch. Man müsse bedenken, dass es die nötige Infrastruktur wie Ladestationen noch nicht überall gibt – vor allem in Osteuropa. Das bis 2035 zu ändern, hält Plasser für völlig „unrealistisch“. Von der Bundesregierung fordert er bei den anstehenden Trilog-Verhandlungen Standhaftigkeit. Sprich: eine Zulassung von synthetischen Kraftstoffen oder zumindest eine Verschiebung des Enddatums des Verbrenners.
„Da bleibt nicht viel übrig, um in Alternativen zu investieren.“Südwestmetall über die Innovationskraft kleinerer Zulieferer