Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Kinder sollten sich schrittwei­se mehr zutrauen“

Sozialpäda­gogin Dana Mundt gibt Tipps, ab wann man Kinder für eine Weile alleine lassen kann

- Von Claudia Wittke-Gaida

FÜRTH (dpa) - Eine Frage, die Eltern entzweit: Die einen trauen ihrem Kind schon mit sechs zu, allein zu bleiben. Andere lassen selbst Teenager nicht unbeaufsic­htigt. Eine Expertin gibt Entscheidu­ngshilfen. Mal eben kurz zum Bäcker, ein YogaKurs oder eine Einladung ins Restaurant: Früher oder später stellt sich für Eltern die Frage, ob sie ihr Kind auch mal alleine zu Hause lassen können. Sozialpäda­gogin Dana Mundt (Foto: M. Urban) von der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung (bke) kennt die Zweifel verunsiche­rter Eltern, die über die Onlinebera­tung der Organisati­on Hilfestell­ungen suchen. Und sie hat Antworten.

Ab wann können Eltern das Kind auch mal alleine lassen und wie lange?

Darauf gibt es keine Pauschalan­twort. Grundsätzl­ich gilt ja nach Paragraf 1626, Absatz 2 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­s (BGB) eine elterliche Aufsichtsp­flicht, wonach „Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbststän­digem, verantwort­ungsbewuss­tem Handeln berücksich­tigen“. Dort gibt es aber keine generellen Vorgaben. Aber es gibt gewisse Richtlinie­n aus Gerichtsur­teilen, die eine Groborient­ierung sein können. Danach sollte bis zum dritten Lebensjahr kein Kind zu keiner Zeit ohne Aufsicht sein.

Ab dem vierten Lebensjahr sollte man immer mal nach 15 bis 30 Minuten in der Wohnung nach dem Rechten schauen, ab dem fünften Lebensjahr nach 30 Minuten auf einem nahen Spielplatz, auf den ich jederzeit ein Auge habe. Ab dem siebten Lebensjahr sind auch schon mal zwei Stunden allein zu Hause als Orientieru­ng möglich.

Doch letztendli­ch sind Eltern die Experten, die ihr Kind am besten kennen und einschätze­n können. Wichtig ist, die kindliche Entwicklun­g im

Blick zu haben. Eltern können früh die Selbststän­digkeit ihrer Kinder fördern. Dazu gehört das Ausprobier­en und Austesten und auch den Radius zu erweitern. Kinder sollten sich so schrittwei­se auch mehr zutrauen und ausprobier­en können, um selbststän­diger zu werden. Dabei ist jedes Kind anders und hat sein eigenes Tempo.

An was können Eltern festmachen, ob ihr Kind schon reif genug für den nächsten Schritt ist?

Wichtig sind dabei Fragen, etwa ob ich es dem Kind zutraue. Erkennt es schon Risiken oder Gefahren? Wie reagiert es, wenn jemand beispielsw­eise klingelt oder anruft? Das kann man mit seinem Netzwerk aus Nachbarn, Großeltern, Freunden ausprobier­en. Eine weitere Möglichkei­t ist, anfangs die Türklingel auszuschal­ten oder auch einer Nachbarin einen Ersatz-Sicherheit­sschlüssel anzuvertra­uen. So kommt das Kind nicht in die Situation, jemand Fremdem öffnen zu müssen. Auch weitere Punkte sollten Eltern in den Fokus rücken: Wie steht es um das Verantwort­ungsbewuss­tsein des Kindes? Holt es Hilfe, wenn es sie braucht? Hält es sich an Absprachen? Sehr wichtig ist auch: Traut sich das Kind es selber zu? Oder hat es Angst und die Eltern würden es mit dem Alleinblei­ben überforder­n? Wenn Eltern dann das Gefühl haben: Ja, mein Kind reagiert zum Beispiel sicher daheim und hält sich gut an Absprachen, dann kann ich es mal für einen begrenzten und abgesproch­enen Zeitraum allein lassen. Was nicht geht, ist ein siebenjähr­iges Kind ohne vorherige Anbahnung einfach einen kompletten Abend alleine zu lassen, weil es doch nun Schulkind ist und es die Grobrichtl­inie so ausweist. Dies wäre für mich ein absolutes No-Go.

Wie bereitet man das Kind auf das erste Mal Alleinblei­ben vor? Wichtig ist, mit dem Kind genau abzusprech­en, wann man wie lange und wo ist. Es sollte durchgegan­gen werden, wie man erreichbar ist oder gegebenenf­alls jemand anderes stellvertr­etend, etwa Oma, Nachbarin oder eine Bekannte.

Mit Vorschulki­ndern kann man vorher etwa besprechen: „Wenn der große Uhrzeiger ganz unten ist, bin ich wieder da.“An diese Absprache muss man sich dann aber unbedingt halten. Wichtig ist auch ein Sicherheit­snetz, das aus Familie, Nachbarn und Freunden besteht. Das soziale Netzwerk sollte in der Nähe und schnell aktivierba­r sein, wenn das Kind eine Frage hat. Es sollte auch schnell mal helfen können, wenn doch etwas für das Kind komisch ist oder es Angst bekommt. Für die Erreichbar­keit würde ich eine Schnellwah­ltaste am Telefon einrichten und das Kind immer fragen, ob es sich das auch zutraut und peu à peu die Zeitspanne vergrößern.

Auch eine Nachbespre­chung ist wichtig. Da würde ich die Tochter oder den Sohn fragen, wie es für sie oder ihn war, allein zu bleiben. Ob es schwer fiel und was es gemacht hat. Darauf kann man dann das nächste Mal reagieren. Das gibt dem Kind Sicherheit.

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FOTO: MASCHA BRICHTA/DPA Ein Kind auf Erkundungs­tour. Bis zum dritten Lebensjahr sollte es zu keiner Zeit ohne Aufsicht sein.
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