Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Bin auch mit 100 nicht abgeschrie­ben“

Ingeborg Rosenthal aus Ravensburg blickt auf ein reiches Leben zurück

- Von Martina Kruska wolfram.frommlet@t-online.de

RAVENSBURG - Eine temperamen­tvolle, wortgewand­te Seniorin erzählt im eigenen Haus aus ihrem Leben: spannend, mitreißend und mit erfrischen­der Offenheit. Kaum zu glauben, dass in wenigen Tagen ihr 100. Geburtstag bevorsteht.

Ingeborg Rosenthal wurde am 20. Juli 1922 in Sonneberg/Thüringen geboren. Als Einzelkind einer Metzgerfam­ilie arbeitete sie schon früh im elterliche­n Geschäft, wo sie mit 17 Jahren ihren Mann Georg Adam kennenlern­te, der als Student dort einkaufte. 1939 wurde er vom Militär eingezogen, verbrachte aber jeden Urlaub bei der Freundin in Sonneberg.

Nach der Heirat 1943 kam 1944 Tochter Gisela auf die Welt, 1946 wurde Tochter Christine geboren. 1951 beschloss ihr Mann, der den Krieg zum Glück unbeschade­t überstande­n hatte und als Steuerbera­ter arbeitete, mit der Familie in den Westen zu fliehen. Nach einem Jahr in Rottweil zogen die Rosenthals auf Empfehlung nach Ravensburg um.

Ingeborg Rosenthal half im Büro ihres Mannes mit, arbeitete aber auch zusätzlich einige Zeit in der

Es ist gewiss einer der ungewöhnli­chsten Orte im Landkreis Ravensburg, an dem man eine ungewöhnli­che Vielfalt an Kunst findet – im ehemaligen Schulhaus in Karsee. Draußen wird man begrüßt vom Froschköni­g, den Herbert Leichtle allerdings hinter ein Eisengitte­r gesperrt hat. Daneben die Installati­on „Ich suche einen Platz“, die Karl Lutz aus Altshausen mit Flüchtling­en geschaffen hat. Sie zerlegten, bearbeitet­en und bemalten ein für sie fremdes Material – alte Mostfässer. Kunst als Teilhabe, als Aneignung des Fremden. So beginnt der Skulpturen­weg um den Karsee.

Um diesen Ort zu besuchen gibt es einen aktuellen Anlass: Seit zehn Jahren befindet sich im ehemaligen Schulhaus die Treppenhau­sgalerie. Das leerstehen­de Gebäude bekam neue Nutzer, in den Fluren und im Treppenhau­s aber fand die Vogter Galeristin Gisela Löchner Platz für ihre Idee – Künstlerin­nen und

Metzgerei Walser, damals am Marienplat­z. 1966 führte sie ihrer damals 20-jährigen Tochter ein neues Kleid vor, drehte und wendete sich und bekam als Reaktion zu hören: „Mama, das sieht aus wie ein Umstandski­ttel!“Und so war es auch. Mit 44 Jahren brachte die umtriebige, stets gesunde Frau 1966 den lang ersehnten Stammhalte­r Peter zur Welt.

Der frühe Herztod ihres Mannes Georg Adam fünf Jahre später und der Krebstod der ältesten Tochter Gisela 1990 markieren die Tiefpunkte im Leben der Jubilarin. Noch heute erinnert sie sich dankbar an die vielfältig­e Hilfe, die sie von Nachbarn, Freunden und Familie bekommen hat. „Die Hilfe der anderen hat mir geholfen“, sagt sie.

Sohn Peter war viel mit seiner Mutter allein. „Meine Mutter ist eine sehr mutige Person mit einer sehr positiven Lebenseins­tellung“, sagt er heute und lacht. „Und sie war immer spontan. War das Wetter zuhause mal schlecht, fuhren wir kurzentsch­lossen

Künstlern aus dem Landkreis, gelegentli­ch ein wenig darüber hinaus, in einer ländlichen Gemeinde Ausstellun­gen zu ermögliche­n. Etwa zwanzig, meint sie, seien es bislang geworden. Ein breites Spektrum an Techniken und Materialie­n, an Themen sowie an künstleris­chen Biografien war über die Jahre und ist nun zum Zehnjährig­en zu sehen.

Unter dem Titel „WIR. Nähe und Distanz“setzen sich die 31 Künstler und Künstlerin­nen auf hohem Niveau sehr subtil mit gesellscha­ftlichen Phänomenen von Nähe und Distanz auseinande­r. Fundstücke aus der Argen verarbeite­t Elisabeth Hölz zu Collagen, in deren räumlichen Versatzstü­cken sich Menschen vereinzeln. Heiko Holdenried verhüllt einen Kopf unter einem in sonnigere Gefilde in die Schweiz. Überhaupt sind wir viel verreist.“Ingeborg Rosenthal erzählt: „Mit dem kleinen Jungen an meiner Seite lernte ich sehr schnell Menschen, auch Männer kennen.“Sie schaut verschmitz­t. Geheiratet hat sie nie wieder, aber zwei weitere Lebensgefä­hrten überlebt.

Mit einer Freundin unternahm sie später Fernreisen, so auch nach Australien und Südafrika. Die Zeit ist jetzt vorbei, auch die Zeit der großen Einladunge­n und Feste im Partykelle­r: „Ich habe immer gern gekocht, am liebsten natürlich Thüringer Klöße“, schwärmt die kontaktfre­udige alte Dame, deren gepflegtes Äußeres und lebendige Mimik ihr Alter vergessen machen.

Heute kocht sie nur noch für sich allein. Einkäufe erledigt sie meist gemeinsam mit der Tochter, die in Tettnang lebt, oder ihrem ehemaligen Untermiete­r. Wenn sie üppig gefrühstüc­kt hat – mit Wurstbrot und Kaffee – besteht das Mittagesse­n manchmal nur aus einem Süppchen.

Seil. Man kann dies als Parabel verstehen auf die weltweite Anonymisie­rung politische­r Gewalt, zu der wir Distanz halten. Die bunte Idylle der südlichen Stadt am Meer, mit dem Boot eines Flüchtling­s, bricht Anton Erne mit dem schwarzen Drachen, einer militärisc­hen Drohne gleich. Schemenhaf­te Menschen auf der Flucht in schemenhaf­ten Räumen in Feuerrot, die in ihrer Distanz zu den Bildern, die uns erdrücken, eigene Assoziatio­nen entstehen lassen, wie bei ihrer Tochter Gertrud Feuerstein in den hintouchie­rten Jugendlich­en, die Ausbruch sind und Einsamkeit. Starke Bilder. Kluge Symbolik mit Materialie­n, die an Bienenwabe­n, an Eierkarton­s erinnern, gelingt Maria Prinz zu dem Thema, das Nähe und Distanz verkörpert: Wohnen.

Symbole sind auch die Schmetterl­inge in den fragilen

Monika Romer: Finden wir die Leichtigke­it für neue Lebensform­en, und um dem Konsumdenk­en zu

Zum Vormittag am Küchentisc­h gehört für sie selbstvers­tändlich die „Schwäbisch­e Zeitung“. Nachmittäg­liches Kaffeetrin­ken bei der Lieblingsf­ernsehseri­e und danach „Balkonien“setzen Akzente. Bis 19.30 Uhr sitzt sie manchmal draußen, beobachtet voll Freude „ihre“Vögel, aber auch die Flieger am Himmel und den Zeppelin.

Nach dem Abendessen gibt es dann regelmäßig ein Gläschen Rotwein, manchmal, wenn Besuch da ist, vorher auch ein Schlückche­n Marillenli­kör. Ihr Hausarzt hat ihr dafür grünes Licht gegeben. „Das genau ist Ihre Gesundheit, nicht mehr!“, soll er gesagt haben.

„Ich bin mit meinem Leben zufrieden“, sagt die sympathisc­he Jubilarin. „Meine Familie nimmt mich an, wie ich bin. Ich bin nicht abgeschrie­ben, gehöre dazu! Und ich bin so stolz und glücklich über meine Kinder und deren Familien.“Zwei Kinder mit Partnern, acht Enkel und sechs Urenkel sind mit Recht stolz auf die Oma und feiern mit ihr in einem großen Kreis von Freunden den 100. Geburtstag am kommenden Samstag. Die offizielle Feier im kleinen Kreis findet am 20. Juni im Haus der Jubilarin in Torkenweil­er statt.

„Meine Mutter ist eine sehr mutige Person mit einer sehr positiven Lebenseins­tellung“,

entkommen, fragt sie im Katalog. Leichtigke­it wie in seiner Band Brekkie’s Inn verbindet Thomas Linder mit halb ironischer, halb ernster Symbolik über den Tod in seiner Installati­on von Knochen und Tierschäde­ln. Zu den politischs­ten Exponaten gehören die Arbeiten des 2021 verstorben­en Alexander Leising, die in ihrer malerische­n Brillanz fotorealis­tisch wirken. Wie aus den rassistisc­hen Stereotype­n der Reise-Agenturen wirken das afrikanisc­he Mädchen und der nackte Afrikaner im Meer, beide mit einem gigantisch­en Fisch auf dem Kopf, auf der Schulter. Brillante Satire auf die Lügen vom Hunger in Afrika. Die Küsten nämlich sind leergefisc­ht von schwimmend­en Fischfabri­ken aus Ost und West. Öffnungsze­iten bis 24. Juli: Donnerstag bis Samstag 14 bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr. Für Gruppen unter 07529 / 1416 gesonderte Öffnungsze­iten.

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FOTO: MARTINA KRUSKA Blickt auf ein reiches Leben zurück: Die Jubilarin mit Sohn Peter und Tochter Christine Abele-Lutz.
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