Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ärger mit Ukrainerinnen stresst Solisatt-Helferteam
Rückläufige Lebensmittelspenden und mehr Einkaufsberechtige sorgen für Engpässe im Kolping-Sozialladen
BAD WALDSEE - Sozial- und Tafelläden stehen bundesweit unter Druck, weil immer mehr Menschen auf den preisgünstigen Einkauf von Lebensmitteln angewiesen sind. Gleichzeitig nehmen die dafür notwendigen Warenspenden der Supermärkte ab und mit den Geflüchteten aus der Ukraine ist ein zusätzlicher Personenkreis einkaufsberechtigt. Auch vor dem Waldseer Kolping-Sozialladen Solisatt bilden sich deshalb lange Warteschlangen und es kam mehrfach zu unschönen Szenen, die das ehrenamtlich tätige Team stark forderten.
Satt werden durch Solidarität: Getreu diesem Prinzip setzt sich der örtliche Kolpingladen seit 2005 für den nachhaltigen Umgang mit Nahrungsmitteln ein und gibt diese stark verbilligt an bedürftige Familien und Alleinstehende ab. 16 Helferinnen und Helfer holen diese Lebensmittel in den Märkten ab, bereiten die Waren in der ehemaligen Bäckerei Klink am Schwanenberg für den Verkauf vor und bieten auch Produkte an wie wöchentlich 300 frische Eier, die sie vom Ladenerlös und von Geldspenden zukaufen.
Damit es beim preisgünstigen Einkauf gerecht zugeht, wurde während der Flüchtlingskrise 2015 auch bei diesem Solisatt das weit verbreitete „Punktesystem“eingeführt. Dies ermöglicht Kunden zu verschiedenen Zeiten den Zutritt in den Laden.
Damit ist zwangsläufig jeder immer wieder mal bei den Ersten und kann sich an vollen Regalen bedienen, die sich später leeren. Das System hat nach Angaben von Ladenleiterin Eva Neumann immer bestens funktioniert.
Jedenfalls bis zur Ankunft der Geflüchteten aus der Ukraine, die jüngst zu den langjährigen SolisattKunden dazu kamen und das stabile Gefüge aus Angebot und Nachfrage ins Wanken brachten.
„Wie bundesweit alle Sozialläden bekommen auch wir weniger Lebensmittelspenden von den Märkten, dafür wurde der Kreis der Einkaufsberechtigten im April mit 50, 60 Ukrainerinnen zusätzlich zu unseren 20 bis 25 Stammkunden viel größer und wir wurden kaum mehr Herr“, räumt Neumann ein, dass das Team an mehreren Verkaufstagen an seine Grenzen gekommen sei – physisch und psychisch.
„Nicht nur die Arbeitszeiten verlängerten sich dadurch um mehrere Stunden, es war vor allem das sehr resolute Auftreten einzelner junger Damen, das für Emotionen bei unseren Stammkunden sorgte, die dann teilweise nicht mehr kamen“, beschreibt Neumann diese unerfreulichen Szenen.
Besagte Neubürgerinnen hätten sich in der Warteschlange ungeachtet des Punktesystems vorgedrängelt, seien beim Einkaufen derart pingelig vorgegangen, dass sich die draußen wartenden Personen die Beine in den Bauch stehen mussten und manche seien sogar gleich zwei Mal hineingegangen. „Der Gipfel war, dass sie leere Regale fotografierten, um sich in den sozialen Netzwerken darüber zu beschweren, dass sie jetzt als Letzte Zutritt haben. Dabei
haben sie sich nicht an die geltenden Regeln halten wollen und wir sahen keine andere Möglichkeit mehr zum Schutz der älteren Kunden“, erläutert Neumann, warum das Team die Reissleine gezogen und die Reihenfolge zu ungunsten der jungen Ukrainerinnen geändert habe.
Diese Neuregelung hätten sich die Betroffenen selbst zuzuschreiben, zumal mehrere Gespräche ins Leere gelaufen seien. Neumann: „Zugegeben war das mit unserem ,Urlaubsenglisch’ nicht einfach, aber wir haben schon erwartet, dass man zu einer Einigung kommt.“
Um den „Einkaufsfrieden“wieder herzustellen und um das Team zu schützen, dem zeitweise sogar ein „Türsteher“an die Seite gestellt werden musste, werde diese Änderung auch nach Rücksprache mit dem städtischen Sozialamt so beibehalten. Bei der Stadt wurde zunächst jedem Antragssteller aus der Ukraine ein Berechtigungsschein für Solisatt ausgegeben – nicht pro Familie und damit ohne Rücksicht auf das begrenzt verfügbare Warenangebot. „Den Ukrainerinnen war außerdem gar nicht klar, dass es keinen rechtlichen Anspruch gibt auf den Kauf preisgünstiger Waren, sondern dass es sich hier um ein freiwilliges Angebot handelt“, weiß Neumann, die die Kooperation mit der Stadtverwaltung dennoch als „kooperativ“bezeichnet.
Auf SZ-Anfrage betonte die Rathaus-Pressestelle, dass das Sozialamt „sofort“gehandelt und keine Berechtigungsscheine mehr ausgestellt habe, als die Mitarbeitenden von den Vorkommnissen bei Solisatt erfahren hätten.
„Bei der Ausgabe der Scheine an die Flüchtlinge wurden diese zudem darauf hingewiesen, dass es sich um ein zusätzliches Angebot auf Spendenbasis und durch Ehrenamtliche handelt.
Da auch im Sozialamt die Arbeitsbelastung – zusätzlich erschwert durch die Sprachbarriere – aufgrund der vielen Neuzugänge groß ist, kam diese Information leider nicht bei allen Ukrainerinnen an und wurde durch einen Aushang in kyrillischer Sprache ergänzt“, so Sprecherin Brigitte Göppel dazu.
An den jüngsten Solisatt-Verkaufstagen haben sich die Verhältnisse vielleicht auch deshalb etwas normalisiert. Zudem erhalten die Geflüchteten inzwischen ebenfalls staatliche Leistungen und können in Supermärkten einkaufen.
Trotzdem warten vor dem Sozialladen nach wie vor viele Einkaufswillige, bis sie an der Reihe sind. Neumann: „Deshalb hoffen wir auf weitere Lebensmittelspenden von Waldseer Einkaufsmärkten und sind sehr dankbar für Geldspenden, um weiterhin Produkte zukaufen zu können.“
Nur mit einem ausreichenden Angebot könne der Kolping-Sozialladen Betroffenen hilfreich unter die Arme greifen – und zwar unabhängig von ihrer jeweiligen Nationalität.
Der Kolping-Sozialladen Solisatt am Schwanenberg 2 ist am Dienstag und Freitag jeweils von 10.15 bis 11.30 Uhr geöffnet.