Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Ruhestifter
Bernd Neuendorf ist seit 100 Tagen DFB-Präsident – Er beackert die Baustellen, hat aber noch viel Arbeit vor sich
FRANKFURT (SID) - Auftritte wie am Samstag kann sich Bernd Neuendorf mittlerweile kaum noch leisten. Im legeren Poloshirt kam der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in die Sportschule Hennef, um seinem Nachfolger Christos Katzidis zur Wahl an die Spitze des MittelrheinVerbandes (FVM) zu gratulieren. In den vergangenen 100 Tagen war Neuendorf viel öfter als seriöser Anzugträger gefordert – obwohl der Blaumann als Arbeitsdress eigentlich passender gewesen wäre.
Schließlich musste Neuendorf seit seiner Wahl an die Spitze des größten Einzelsportverbands der Welt bei einem historischen DFB-Bundestag am 11. März in Bonn zahlreiche Baustellen beackern. Die Befriedung des Verbandes nach Monaten des Machtkampfs, die personelle Neuausrichtung national wie international, die Aussöhnung mit der Deutschen Fußball Liga (DFL), die Auseinandersetzung mit dem Weltverband FIFA und seiner umstrittenen WM in Katar, Kommerz-Debatte, Diversität-Diskussion – bei all diesen Themen war der neue Boss gefragt.
Doch selbst eine Corona-Infektion Ende Mai konnte nicht verhindern, dass Neuendorf ordentlich durch die Minenfelder kam. Beim krisengeplagten DFB wächst die Hoffnung, dass nach drei erzwungenen Rücktritten in Folge (Wolfgang Niersbach, Reinhard Grindel, Fritz Keller) endlich wieder ein Präsident ein reguläres Ende seiner Amtszeit erlebt – obwohl sich Neuendorf als erster DFB-Boss bei einer Kampfabstimmung (gegen Peter Peters) durchsetzen musste.
Doch eben diese Kampfabstimmungen bei der Besetzung des Chefpostens und der Wahl der Vizepräsidenten sorgten dafür, dass es Neuendorf leichter gelang, endlich Ruhe in den Laden zu bringen. Die Niederlagen von Peters und dem langjährigen Strippenzieher Rainer Koch bedeuteten das Ende der Führungsriege, die für das arg ramponierte DFB-Image mitverantwortlich war. Peters und Koch war gleichzeitig die Basis für ihren Verbleib in den internationalen Gremien entzogen. Und so wird Peters im kommenden Jahr im Council des Weltverbands FIFA durch Neuendorf ersetzt, DFB-Vize Hans-Joachim Watzke löst Koch im Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union (UEFA) ab.
Wie Neuendorf seine internationale Aufgabe angehen will, ließ er bereits erkennen. So sollen Endrunden nach dem Willen des 60-Jährigen nicht mehr in Ländern stattfinden, in denen ein fragwürdiger Umgang mit den Menschenrechten herrscht. „Wenn wir in unsere Satzung gucken, was dort an Werten und Grundsätzen verankert ist, dann muss man sie auch leben und vertreten“, sagte er kürzlich im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Auch national hat sich Neuendorf bereits positioniert. Er sieht sich als Wahrer der Wettbewerbe und will weder in der Bundesliga noch im DFB-Pokal etwas an der
Austragung verändern. Einem Pokalfinale im Ausland aus KommerzGründen erteilte Neuendorf eine Absage, bei den Skandalen der Vergangenheit hofft er auf Aufklärung.
Wichtig wird für den DFB-Präsidenten auch eine gute Arbeit seiner Untergebenen am neuen Verbandssitz sein. Der DFB-Campus, den Neuendorf am 30. Juni offiziell einweihen wird, soll die Basis für sportliche Erfolge sein. Schließlich hat das Prestigeprojekt 150 Millionen Euro gekostet – inklusive des PräsidentenParkplatzes
mit Aufladestation für ein E-Auto.
Viel Power braucht Neuendorf, der bei der bevorstehenden FrauenEM in drei Wochen und der MännerWM am Jahresende seine ersten großen Turniere erleben wird, auch für sein schwierigstes Unterfangen. Die Verhandlungen über den neuen Grundlagenvertrag zwischen Profis und Amateuren könnten zum Lackmustest seiner Präsidentschaft werden. Auch dafür bräuchte Neuendorf eigentlich einen Blaumann.