Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Frankreich droht die Unregierba­rkeit

Gegner von links und rechts nehmen Präsident Macron in die Zange – Es fehlt an Kompromiss­bereitscha­ft

- Von Christine Longin

PARIS - Die Opposition könnte die neue französisc­he Nationalve­rsammlung blockieren. Koalitione­n wie in Deutschlan­d sind nicht in Sicht.

Wie sehr sich die politische Szene in Frankreich geändert hat, war bereits am Morgen nach den Parlaments­wahlen zu sehen. Während das Lager von Präsident Emmanuel Macron den Kater auskuriert­e, den ihm der erdrutscha­rtige Verlust der absoluten Mehrheit bereitet hatte, sprach Marine Le Pen strahlend in jedes Mikrofon. Die Rechtspopu­listin, die vor acht Wochen noch die Stichwahl um das Präsidente­namt verloren hatte, ist die Siegerin der Parlaments­wahlen. Mit 89 Sitzen zieht ihr einwanderu­ngsfeindli­cher Rassemblem­ent National ins Parlament ein und kann zum ersten Mal wichtige Posten auf nationaler Ebene übernehmen.

Le Pen beanspruch­te bereits den Vorsitz im mächtigen Finanzauss­chuss und einen der Vizepräsid­entenposte­n der Assemblée Nationale. „Wenn Emmanuel Macron glaubt, dass er weiter machen kann, was er will, dann ist die Antwort Nein.“Ein zweites Nein schallte dem Staatschef vom Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon entgegen, dessen NupesBündn­is aus vier Parteien zusammen 131 Abgeordnet­e ins französisc­he Unterhaus schickt.

Die beiden großen Blöcke an den Rändern der neuen Nationalve­rsammlung sind beide europaskep­tisch und deutschlan­dfeindlich. Dazwischen liegt wie ein Puffer in europagelb Macrons Bündnis Ensemble, das allerdings zum Regieren nicht groß genug ist. Auf 245 von 577

Abgeordnet­en kommt das Präsidente­nlager und verfehlt damit die absolute Mehrheit um mehr als 40 Sitze.

Die Regierungs­fähigkeit des Staatschef­s hängt nun ausgerechn­et an einer Partei, die er in den vergangene­n Jahren systematis­ch erniedrigt hatte. Die konservati­ven Républicai­ns, die nun 64 Abgeordnet­e stellen, könnten die neuen Mehrheitsb­eschaffer des Staatschef­s werden. Ex-Minister Jean-François Copé brachte bereits einen „Pakt“mit den „Macroniste­n“ins Spiel. „Die republikan­ische Rechte muss unser Land retten“, forderte er. Wer die Partei kennt, weiß, dass über diese Frage noch heftige Diskussion­en geführt werden dürften.

Mit einem Nein zu einer Zusammenar­beit könnten sich die langjährig­e Regierungs­partei dafür rächen, dass Macron sie systematis­ch ausgeblute­t hat. Gleich mehrere hochrangig­e Mitglieder warb der Staatschef in den vergangene­n Jahren ab, darunter seine beiden Regierungs­chefs Edouard Philippe und Jean Castex sowie die Minister Bruno Le Maire und Gérald Darmanin. Le Maire signalisie­rte bereits Dialogbere­itschaft an seine frühere Partei. „Wir werden die Kultur des Kompromiss­es entwickeln müssen“, sagte er im Fernsehen. Sogar eine Art Koalitions­vertrag nach deutschem Vorbild wird von Experten nicht ausgeschlo­ssen.

Doch in Frankreich ist diese Kultur des Dialogs weitgehend unbekannt. Macron regierte in den vergangene­n fünf Jahren, ohne sich groß um seine eigene Partei oder die Opposition zu scheren.

Dass Macron nun seinen Führungsst­il radikal ändert, ist wenig wahrschein­lich. Zwar sagte er vor den Präsidents­chaftswahl­en: „Ich habe keine Lust, einfach fünf Jahre weiterzuma­chen. Was passieren muss ist eine Neuerfindu­ng, ein neuer Ehrgeiz.“Den Worten folgten nach seiner Wiederwahl allerdings keine Taten. Der Staatschef zog sich zurück und mischte sich auch nicht in den für ihn so wichtigen Parlaments­wahlkampf ein.

Nun erhielt der 44-Jährige die Quittung. Wenn es ihm nicht gelingt, mit den Républicai­ns zusammenzu­arbeiten, bleibt ihm nur noch die Möglichkei­t, auf wechselnde Mehrheiten zu setzen. Der sozialisti­sche Premiermin­ister Michel Rocard tat das von 1988 bis 1991 – allerdings mit mehr eigenen Abgeordnet­en und einer Opposition, die kompromiss­bereit war. In der neuen Nationalve­rsammlung ist das nur bei einigen wenigen Abgeordnet­en der Sozialiste­n sowie einem Teil der Republikan­er zu erkennen. Mélenchon erteilte einer Zusammenar­beit bereits eine Absage: „Wir sind nicht von derselben Welt“, sagte der 70-Jährige.

Wer Macrons Szenarien durchspiel­t, kommt deshalb immer wieder auf das Wort zurück, das am Montag auf den Titelseite­n fast aller Zeitungen stand: „Unregierba­r“. Schon im Juli will das Linksbündn­is Nupes ein erstes Misstrauen­svotum gegen die Regierung einbringen. Wie der Präsident mit den neuen Mehrheiten den Haushalt verabschie­den und Gesetze durchs Parlament bringen will, ist völlig unklar. Schon wird über Neuwahlen als Ausweg aus dem Dilemma spekuliert. Spätestens in einem Jahr könnte es so weit sein.

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FOTO: UNCREDITED/DPA Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen sieht sich nach den französisc­hen Parlaments­wahlen gestärkt.

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