Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Streit statt der erhofften Einigkeit
Die AfD steht direkt nach dem personellen Neuanfang vor einer Zerreißprobe
BERLIN - Der Rechtsextremist Björn Höcke hat in Riesa die neue Parteispitze gedemütigt. Tritt das gemäßigtere Lager jetzt aus der AfD aus? Das ist möglich. Sollte es zu einem Ereignis kommen, scheint es sicher.
Björn Höcke kam mit einem ausgetüftelten Plan nach Riesa – und dieser ging voll auf. Am Samstag, als die AfD ihren gesamten Parteivorstand neu gewählt hat, wurde dieser ganz in seinem Sinne besetzt – mit vielen sehr weit rechts stehenden Parteifreunden. Nachdem die personelle Machtfrage geklärt war, zeigte der Frontmann des rechtsextremen „Flügels“am Sonntag dann in der innerparteilichen Positionierung zur Europapolitik seine Muskeln – und demütigte die neu gewählte Parteispitze.
Der von ihm gestützte Antrag forderte unter anderem eine geordnete Auflösung der Euro-Zone und verharmlost den russischen Angriffskrieg als „Ukraine-Konflikt“. Für die neue Co-Parteichefin Alice Weidel war der Antrag in dieser Form unannehmbar – trotzdem stritt sich der Parteitag quälend lange darüber. Für eine Ablehnung fand sich keine Mehrheit. Gegen mich, ließ Höcke das Duo Weidel und Tino Chrupalla schmerzlich spüren, beschließt ihr gar nichts.
„Riesa hat zur Höckisierung der Partei geführt“, sagt der Politikwissenschaftler und AfD-Kenner Wolfgang Schroeder im Gespräch. Was bedeutet das für die im Vergleich gemäßigteren Kräfte in der AfD, die in Riesa nahezu jede Abstimmung – und damit auch Macht – verloren haben? „Nach diesem Wochenende“, sagt Schroeder, „werden einige aus der AfD austreten“.
Hört man sich in diesem Lager um, herrscht vor allem Ratlosigkeit. Die kleine Hoffnung, dass der Berliner Landesverband wegen des Ausschlusses seiner über 20 Delegierten den Parteitag juristisch anfechten könnte, scheint vergeblich. Der Geschäftsführer der Fraktion, Ronald Gläser, sagt auf Nachfrage: „Es sieht nicht danach aus, als würde das weiterverfolgt werden.“
Norbert Kleinwächter, der in Riesa Chrupalla herausgefordert und ein überraschend starkes Ergebnis erzielt hat, will weiterkämpfen. Das ehemalige Vorstandsmitglied Joana
Cotar schrieb auf Twitter vielsagend: „Die Revolution frisst ihre Kinder.“Eine „großflächige Austrittsbewegung“erwartet Politikwissenschaftler Schroeder zwar nicht. „Aber die Situation der Partei ist an der Kante.“
Das gilt insbesondere dann, wenn die neue Parteiführung sich auf den aus der Partei ausgeschlossenen Andreas Kalbitz zubewegen sollte. Dieser hat laut Verfassungsschutz Kontakte zu verbotenen rechtsextremen Organisationen und wird von diesem daher als Rechtsextremist geführt. Höcke erklärte bereits, nicht der Verfassungsschutz, sondern „wir bestimmen, wer Extremist ist“.
Der Verfassungsschutz stuft die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die AfD hatte präventiv gegen die Verdachtsfall-Beobachtung geklagt. Das Kölner Verwaltungsgericht entschied zugunsten des Verfassungsschutzes. Die AfD hat Berufung eingelegt. Außerdem werden mehrere Landesverbände als Verdachtsfälle geführt, darunter der von Höcke geführte in Thüringen.
Der Anwalt der AfD im juristischen Streit mit Kalbitz hat jedenfalls, wie „Zeit Online“berichtet, sein Mandat niedergelegt – wegen des neu gewählten Bundesvorstands. Klar scheint: Setzt Höcke durch, dass sein Vertrauter zurück in die AfD kommen darf, spaltet er die Partei endgültig. Allerdings würde er damit nicht nur das ehemalige MeuthenLager aus der Partei treiben, sondern viele mehr. Ob das auch Teil von Höckes Plan ist, werden die nächsten Wochen zeigen.