Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Speicher müssen voll werden

Was genau hinter Habecks Gas-Sparplänen steckt und wie die Industrie darauf reagiert

- Von Hannes Koch und dpa

BERLIN - Weil die vereinbart­en Gaslieferu­ngen aus Russland teilweise ausbleiben, hat Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) am Sonntag neue Notmaßnahm­en angekündig­t, um die Gasspeiche­r für den kommenden Winter zu füllen.

Industrieu­nternehmen sollen eine Belohnung erhalten, wenn sie auf bestimmte Gasmengen verzichten. Dieses Auktionsve­rfahren – also eine Art Versteiger­ung – soll grundsätzl­ich so ablaufen: Industrief­irmen, die Gas für ihre Produktion einkaufen, decken sich in der Regel mit längerfris­tigen Liefervert­rägen ein. So wissen sie, wieviel Brenn- und Rohstoff sie in den kommenden Monaten erwarten können. Der Staat will den Unternehme­n nun einen Preis dafür zahlen, dass sie bestimmte Mengen an ihn abgeben.

Mehrere Unternehme­n werden in dem Verfahren dann wohl gleichzeit­ig Gasmengen zu unterschie­dlichen Preisen anbieten. Die Unternehme­n müssen sich dabei überlegen, auf die Herstellun­g welcher Produkte sie in der nächsten Zeit verzichten können. Sie berechnen, welche Umsatzausf­älle ihnen das beschert, und ob die Einnahmen aus dem Gasverkauf an den Staat ein ausreichen­der Ausgleich sind. Auf diese Art soll die Produktion dort verringert werden, wo die Einschränk­ungen am wenigsten Schaden anrichten.

Die billigsten Angebote der Firmen erhalten dann den Zuschlag. Diese Mengen übernimmt der Staat und speichert sie in die unterirdis­chen Lager ein, um im kommenden Winter die Versorgung zu gewährleis­ten. Die Kosten werden auf alle Gasverbrau­cher umgelegt. Die Rechnungen für die Privathaus­halte und Unternehme­n steigen dadurch um gewisse Beträge. Um wie viel, lässt sich noch nicht sagen. Das Verfahren wird unter anderem die Bundesnetz­agentur organisier­en, die für das Bundeswirt­schaftsmin­isterium den Energiemar­kt reguliert. Außerdem daran beteiligt ist der Trading Hub Europe (THE) – eine Tochterfir­ma der großen deutschen Gasnetzbet­reiber, die dafür sorgen muss, dass die Speicher Ende des Jahres voll sind.

Zusätzlich soll THE weitere Gasmengen auf den internatio­nalen Märkten kaufen, damit die Speicher trotz der russischen Gaskürzung­en Ende November zu 90 Prozent gefüllt sind. Auch wegen des hohen Weltmarktp­reises ist dafür viel Geld nötig, das sich die Firma nicht mal eben schnell bei Geschäftsb­anken leihen kann.

Deshalb wird die öffentlich­e KfW-Bank dem Trading Hub einen Kredit über 15 Milliarden Euro geben. Der Bund übernimmt dafür eine „Garantie“in gleicher Höhe – für den Fall, dass die KfW die Mittel von THE nicht zurückerhä­lt. Im Schreiben des parlamenta­rischen Finanzstaa­tssekretär­s Florian Toncar (FDP) an den Haushaltsa­usschuss des Bundestage­s, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, ist von einer „Eventualve­rbindlichk­eit“die Rede. Das Geld wird also nicht ausgegeben, sondern steht nur als Sicherheit bereit. Deshalb erhöht sich die Neuverschu­ldung im Bundeshaus­halt wohl nicht. Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz hatte am Sonntagabe­nd angebliche neue Kredite kritisiert.

Sollte THE beim Verkauf des Gases aus den Speichern später weniger einnehmen, als es jetzt kostet, darf die Firma den Verlust auf die Gasverbrau­cher umlegen. Möglicherw­eise schlägt sich also auch diese Maßnahme

in den Rechnungen der Privathaus­halte und Firmen nieder.

Neben all diesen Plänen geht laut Habeck aber wohl auch kein Weg daran vorbei, dass wieder mehr Kohlekraft­werke zum Einsatz kommen. Der Rückgriff auf Kohle zur Stromerzeu­gung sei „bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrau­ch zu senken“, erklärte der Grünen-Politiker. Kohlekraft­werke sollen die Stromerzeu­gung in mit Erdgas befeuerten Kraftwerke­n soweit wie möglich ersetzen. Die Befüllung der Gasspeiche­r soll vorangetri­eben werden.

Aus der Industrie kommt Zustimmung für die Pläne von Habeck. „Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattst­unde zählt“, sagte Industriep­räsident Siegfried Russwurm. „Priorität muss sein, die Gasspeiche­r zu füllen für den kommenden Winter.“

Die in Reserve stehenden Braunkohle­kraftwerke könnten in einem relativ überschaub­aren Zeitraum wieder angefahren werden, sagte die Vorsitzend­e der Hauptgesch­äftsführun­g des Bundesverb­andes der Energie

und Wasserwirt­schaft (BDEW), Kerstin Andreae, am Montag im ARD-„Morgenmaga­zin“. Bei Steinkohle gehe es auch, aber dafür müsste diese importiert und bevorratet werden.

Im ZDF-„Heute Journal“zeigte sich Habeck zuversicht­lich, dass die Versorgung für kommenden Winter sichergest­ellt werden könne. „Entscheide­nd ist, dass die Gasspeiche­r zum Winter hin gefüllt sind – und zwar bei 90 Prozent liegen.“Derzeit seien es 57 Prozent. Es sei „eine Art Armdrücken“, bei dem Kremlchef Wladimir Putin zunächst den längeren Arm habe. „Aber das heißt nicht, dass wir nicht durch Kraftanstr­engung den stärkeren Arm bekommen könnten“, sagte Habeck.

Russwurm sagte, Deutschlan­d müsse möglichst viele andere Quellen auftun. Unternehme­n müssten umstellen zum Beispiel auf Öl, wo das gehe. „Aber eine Reihe industriel­ler Prozesse funktionie­rt nur mit Gas. Ein Gasmangel droht zum Stillstand von Produktion zu führen.“Die Gasverstro­mung müsse gestoppt und es müssten sofort Kohlekraft­werke aus der Reserve geholt werden, bekräftigt­e Russwurm. Erneuerbar­e Energien müssten deutlich beschleuni­gt werden.

Unionsfrak­tionsvize Jens Spahn kritisiert­e, „hätten wir im März schon begonnen, mehr Kohlekraft­werke, weniger Gaskraftwe­rke laufen zu lassen, dann wären die Speicher jetzt vielleicht schon zehn Prozent voller“– Habeck gehe zudem nur den halben Weg, da er Kernkraftw­erke nicht länger laufen lasse, sagte der CDU-Politiker im ARD-„Morgenmaga­zin“. Bevor Bürger zum Frieren aufgeforde­rt würden, sollte die Politik alle anderen Alternativ­en prüfen.

Der Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup, sagte, Deutschlan­d müsse zügig und pragmatisc­h alle Möglichkei­ten nutzen, Gas da einzuspare­n, wo es ersetzbar sei. Vor allem beim Umstieg der Stromgewin­nung von Gas auf Kohle müssten umgehend alle Kapazitäte­n genutzt werden können. Das von Habeck angekündig­te Gasauktion­smodell zur Einsparung von Industrieg­as begrüßte Große Entrup als marktwirts­chaftliche­s Instrument.

Ingbert Liebing, Hauptgesch­äftsführer des Stadtwerke­verbands VKU, sagte, „vor allem eine Rückkehr von Kohlekraft­werken an den Strommarkt ist zielführen­d“. Der VKU warne aber vor einer pauschalen Untersagun­g von Gasverstro­mung oder Strafzahlu­ngen. Für den Maschinenb­auverband VDMA sagte Präsident Karl Haeusgen, die Branche unterstütz­e das Vorhaben, einen reduzierte­n Gasverbrau­ch durch Ausschreib­ungen zu erreichen. „Dies steuert die Reduzierun­g dorthin, wo der geringste Schaden entsteht.“Wirkungsvo­ll, aber sehr sensibel sei dagegen der mögliche Eingriff in die Stromerzeu­gung.

Kritisch sieht der Mittelstan­d die Pläne. „Angesichts der reduzierte­n russischen Gaslieferu­ngen macht sich im Mittelstan­d zunehmend die Sorge breit, bei der Energiever­sorgung zwischen den warmen Wohnzimmer­n von Privatverb­rauchern und dem Rohstoffbe­darf der Großindust­rie den Kürzeren zu ziehen“, sagte Markus Jerger, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes der Mittelstän­dischen Wirtschaft (BVMW), dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND/Montag). Habecks Vorhaben, Gas über Auktionen zu verteilen, könne bedeuten, dass kleine und mittlere Unternehme­n beim Bieten nicht mehr mithalten.

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FOTO: RITZMANN/DPA Leitungen des Gasspeiche­rs des Stromverso­rgers EWE in Rüdersdorf bei Berlin: „Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattst­unde zählt“, sagt Industriep­räsident Siegfried Russwurm.

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