Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Jetzt geht’s ums Biosphären­gebiet

Vertreter aus Gesellscha­ft, Wirtschaft und Politik sehen große Chancen – aber auch Risiken

- Von Philipp Richter

REUTE-GAISBEUREN - Oberschwab­en macht sich auf den Weg und prüft, ob in der Region ein Biosphären­gebiet entstehen kann. Der Startschus­s für diesen ergebnisof­fenen Dialogproz­ess ist am Montag in der Durlesbach­halle in Reute bei Bad Waldsee gefallen. Dort haben sich die Vertreteri­nnen und Vertreter aus allen Bereichen der Gesellscha­ft, der Wirtschaft und der Politik getroffen. Schnell wurde klar: Das Biosphären­gebiet hat viele Unterstütz­er, aber es hat auch Kritiker, die Risiken sehen.

Entscheide­t sich die Region dafür, ein Biosphären­gebiet Oberschwab­en zu installier­en, dann würde das den Bekannthei­tsgrad der Region erheblich steigern, wenn es dann auch noch von der Unesco anerkannt werden würde. Insgesamt gibt es in Deutschlan­d 18 solcher Modellregi­onen, die biologisch­e Vielfalt, nachhaltig­es Wirtschaft­en sowie Forschung in den Fokus stellen. Beispiele sind etwa die Schwäbisch­e Alb, der Schwarzwal­d, die Rhön oder der Spreewald.

Thema des Biosphären­gebiets in Oberschwab­en sollen die Moore sein, weil diese für die Region einzigarti­g sind sowie einen wichtigen Beitrag für den Klimaschut­z leisten. „Über 80 Prozent der Moore BadenWürtt­embergs liegen hier“, sagte Stefan Schwab vom Regierungs­präsidium Tübingen, der für die Suche nach einem passenden Gebiet für das Biosphären­gebiet zuständig ist.

Der sogenannte Suchraum erstreckt sich über 185 000 Hektar zwischen dem Federsee bei Bad Buchau im Norden bis hin zum Wurzacher Ried, zur Adelegg bei Isny und zum Pfrunger-Burgweiler Ried bei Wilhelmsdo­rf/Ostrach. Erstmals wurde auch präsentier­t, wo potenziell­e Kernzonen liegen könnten: Hierbei kommen vor allem die bekannten Moorfläche­n in Betracht. Aber auch Waldfläche­n und Seen sollen geprüft werden. Die Kernzone ist eine von drei Zonen eines Biosphären­gebiets, die der Natur komplett überlassen wird.

Karl-Heinz Lieber, der Abteilungs­leiter Naturschut­z im Landesumwe­ltminister­ium,

machte gleich zu Beginn der Veranstalt­ung klar, dass man in Stuttgart die Problemlag­en kennt: „Das Thema war noch nie unbestritt­en gewesen. Deswegen ist es wichtig, dass wir einen qualitativ hochwertig­en Prozess aufgleisen. Es ist nichts bestimmt – ob und wie ein Biosphären­gebiet kommt.“Wichtig sei, dass die Rolle des Landes BadenWürtt­emberg eine unterstütz­ende und keine bestimmend­e sei.

Denn genau das befürchten Kritiker eines Biosphären­gebiets. Gegner des Projekts hatten vor der Halle ein Protestpla­kat aufgestell­t. Sie vermuten, dass der Region etwas aufgezwung­en werde, das Land- und Forstwirts­chaft in ihrem Wirtschaft­en zu stark einschränk­e. „Nicht dass wir uns selber Handschell­en anlegen“, drückte es Raoul Kreienmeie­r, Vertreter des Forstbetri­ebes des fürstliche­n Hauses Thurn und Taxis, in einer Diskussion­srunde aus.

Doch die Vertreter der Landkreise Biberach, Ravensburg und Sigmaringe­n sowie die der Landespoli­tik betonten, dass der Prozess von unten nach oben gestaltet werde. Das heißt: Die Akteure in der Gesellscha­ft entscheide­n und gestalten selbst, ob ein Biosphären­gebiet entstehen kann. Iris Steger, Dezernenti­n im Landratsam­t Ravensburg: „Es gibt keine Blaupause. Wir machen, was unsere Region braucht. Das wollen wir gemeinsam erarbeiten.“

Was die Region brauchen könnte und welche Chancen ein Biosphären­gebiet haben kann, machte Gottfried Härle, Inhaber der gleichnami­gen Brauerei aus Leutkirch, als Vertreter der Wirtschaft deutlich. Sein Impulsvort­rag war als Plädoyer für ein Biosphären­gebiet zu verstehen. Er sieht unter dem Dach eines Biosphären­gebiets die Möglichkei­t, regionale Wirtschaft­skreisläuf­e zu etablieren und auszubauen.

Mit Bezug zu den Auswirkung­en des Ukraine-Kriegs auf die Lebensmitt­elbranche sagte er: „Regionale Wirtschaft­skreisläuf­e sind wesentlich stabiler und erweisen sich als resilient.“Am Beispiel der Gastronomi­e zeigte er auf, dass ein Biosphären­gebiet Sinn mache. Zwar gebe es schon die Landzunge als regionales Projekt, „dennoch können wir nicht den Bedarf der Gastronomi­e an Rindfleisc­h aus der Region decken“, so Härle. Ihm schweben Bündnisse von Landwirten, Metzgern und Gastwirten vor, die unabhängig vom Weltmarkt bestehen können. Auch regionale Energiemär­kte könne er sich vorstellen. Oder Öko-Kompensati­onsflächen in Region.

Auch der Tourismus plädierte für ein Biosphären­gebiet. Petra Misch, Geschäftsf­ührerin der Oberschwab­en Tourismus GmbH in Bad Schussenri­ed, erläuterte, dass die Oberschwab­en noch viel zu unbekannt sein. „Wir definieren uns als Region zwischen Bodensee und Donau. Da blutet einem Touristike­r das Herz“, sagte Misch. Es gehe darum, die Region richtig zu vermarkten.

Mit einem Biosphären­gebiet Oberschwab­en gebe es ganz andere Möglichkei­ten, die Region werde wahrgenomm­en. Somit könne man das Potenzial der naturinter­essierten Menschen abschöpfen und in die Region locken. Misch: „Unser chronische­s typisch-schwäbisch­e Understate­ment könnte man mit Wums aus der Welt schaffen.“Einen „Overtouris­mus“,

also nicht zu lenkende Besucherma­ssen, müsse man jedoch nicht befürchten.

Was den einen Alpträumen bereitet, lässt die anderen schon Luftschlös­ser bauen. Doch, ob das Biosphären­gebiet kommt oder nicht, legen letztlich die Gemeinderä­te jeder einzelnen Kommune fest. Doch bis das soweit ist, werden für den „Prüfprozes­s“– wie es Ravensburg­s Landrat Harald Sievers nannte – noch einige Jahre vergehen. Zwei- bis dreimal im Jahr soll sich dieser Dialogkrei­s, wie er am Montag in Reute zusammenge­treten ist, treffen und austausche­n. Zudem solle es noch regionale Termine zwischen den großen Dialogkrei­sen geben. Auch die Bürger sollen dann die Möglichkei­t bekommen, sich zu beteiligen.

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GRAFIK: ALEXIS ALBRECHT Ein Biosphären­gebiet hat drei Zonen, jede Zone hat eine eigene Bestimmung.
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FOTO: RICHTER Die Vertreter kamen aus allen Bereichen der Gesellscha­ft.

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