Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Jetzt geht’s ums Biosphärengebiet
Vertreter aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sehen große Chancen – aber auch Risiken
REUTE-GAISBEUREN - Oberschwaben macht sich auf den Weg und prüft, ob in der Region ein Biosphärengebiet entstehen kann. Der Startschuss für diesen ergebnisoffenen Dialogprozess ist am Montag in der Durlesbachhalle in Reute bei Bad Waldsee gefallen. Dort haben sich die Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik getroffen. Schnell wurde klar: Das Biosphärengebiet hat viele Unterstützer, aber es hat auch Kritiker, die Risiken sehen.
Entscheidet sich die Region dafür, ein Biosphärengebiet Oberschwaben zu installieren, dann würde das den Bekanntheitsgrad der Region erheblich steigern, wenn es dann auch noch von der Unesco anerkannt werden würde. Insgesamt gibt es in Deutschland 18 solcher Modellregionen, die biologische Vielfalt, nachhaltiges Wirtschaften sowie Forschung in den Fokus stellen. Beispiele sind etwa die Schwäbische Alb, der Schwarzwald, die Rhön oder der Spreewald.
Thema des Biosphärengebiets in Oberschwaben sollen die Moore sein, weil diese für die Region einzigartig sind sowie einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz leisten. „Über 80 Prozent der Moore BadenWürttembergs liegen hier“, sagte Stefan Schwab vom Regierungspräsidium Tübingen, der für die Suche nach einem passenden Gebiet für das Biosphärengebiet zuständig ist.
Der sogenannte Suchraum erstreckt sich über 185 000 Hektar zwischen dem Federsee bei Bad Buchau im Norden bis hin zum Wurzacher Ried, zur Adelegg bei Isny und zum Pfrunger-Burgweiler Ried bei Wilhelmsdorf/Ostrach. Erstmals wurde auch präsentiert, wo potenzielle Kernzonen liegen könnten: Hierbei kommen vor allem die bekannten Moorflächen in Betracht. Aber auch Waldflächen und Seen sollen geprüft werden. Die Kernzone ist eine von drei Zonen eines Biosphärengebiets, die der Natur komplett überlassen wird.
Karl-Heinz Lieber, der Abteilungsleiter Naturschutz im Landesumweltministerium,
machte gleich zu Beginn der Veranstaltung klar, dass man in Stuttgart die Problemlagen kennt: „Das Thema war noch nie unbestritten gewesen. Deswegen ist es wichtig, dass wir einen qualitativ hochwertigen Prozess aufgleisen. Es ist nichts bestimmt – ob und wie ein Biosphärengebiet kommt.“Wichtig sei, dass die Rolle des Landes BadenWürttemberg eine unterstützende und keine bestimmende sei.
Denn genau das befürchten Kritiker eines Biosphärengebiets. Gegner des Projekts hatten vor der Halle ein Protestplakat aufgestellt. Sie vermuten, dass der Region etwas aufgezwungen werde, das Land- und Forstwirtschaft in ihrem Wirtschaften zu stark einschränke. „Nicht dass wir uns selber Handschellen anlegen“, drückte es Raoul Kreienmeier, Vertreter des Forstbetriebes des fürstlichen Hauses Thurn und Taxis, in einer Diskussionsrunde aus.
Doch die Vertreter der Landkreise Biberach, Ravensburg und Sigmaringen sowie die der Landespolitik betonten, dass der Prozess von unten nach oben gestaltet werde. Das heißt: Die Akteure in der Gesellschaft entscheiden und gestalten selbst, ob ein Biosphärengebiet entstehen kann. Iris Steger, Dezernentin im Landratsamt Ravensburg: „Es gibt keine Blaupause. Wir machen, was unsere Region braucht. Das wollen wir gemeinsam erarbeiten.“
Was die Region brauchen könnte und welche Chancen ein Biosphärengebiet haben kann, machte Gottfried Härle, Inhaber der gleichnamigen Brauerei aus Leutkirch, als Vertreter der Wirtschaft deutlich. Sein Impulsvortrag war als Plädoyer für ein Biosphärengebiet zu verstehen. Er sieht unter dem Dach eines Biosphärengebiets die Möglichkeit, regionale Wirtschaftskreisläufe zu etablieren und auszubauen.
Mit Bezug zu den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Lebensmittelbranche sagte er: „Regionale Wirtschaftskreisläufe sind wesentlich stabiler und erweisen sich als resilient.“Am Beispiel der Gastronomie zeigte er auf, dass ein Biosphärengebiet Sinn mache. Zwar gebe es schon die Landzunge als regionales Projekt, „dennoch können wir nicht den Bedarf der Gastronomie an Rindfleisch aus der Region decken“, so Härle. Ihm schweben Bündnisse von Landwirten, Metzgern und Gastwirten vor, die unabhängig vom Weltmarkt bestehen können. Auch regionale Energiemärkte könne er sich vorstellen. Oder Öko-Kompensationsflächen in Region.
Auch der Tourismus plädierte für ein Biosphärengebiet. Petra Misch, Geschäftsführerin der Oberschwaben Tourismus GmbH in Bad Schussenried, erläuterte, dass die Oberschwaben noch viel zu unbekannt sein. „Wir definieren uns als Region zwischen Bodensee und Donau. Da blutet einem Touristiker das Herz“, sagte Misch. Es gehe darum, die Region richtig zu vermarkten.
Mit einem Biosphärengebiet Oberschwaben gebe es ganz andere Möglichkeiten, die Region werde wahrgenommen. Somit könne man das Potenzial der naturinteressierten Menschen abschöpfen und in die Region locken. Misch: „Unser chronisches typisch-schwäbische Understatement könnte man mit Wums aus der Welt schaffen.“Einen „Overtourismus“,
also nicht zu lenkende Besuchermassen, müsse man jedoch nicht befürchten.
Was den einen Alpträumen bereitet, lässt die anderen schon Luftschlösser bauen. Doch, ob das Biosphärengebiet kommt oder nicht, legen letztlich die Gemeinderäte jeder einzelnen Kommune fest. Doch bis das soweit ist, werden für den „Prüfprozess“– wie es Ravensburgs Landrat Harald Sievers nannte – noch einige Jahre vergehen. Zwei- bis dreimal im Jahr soll sich dieser Dialogkreis, wie er am Montag in Reute zusammengetreten ist, treffen und austauschen. Zudem solle es noch regionale Termine zwischen den großen Dialogkreisen geben. Auch die Bürger sollen dann die Möglichkeit bekommen, sich zu beteiligen.