Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Böses Erwachen am Immobilienmarkt
Finanzierungsvermittler Interhyp erwartet weiter steigende Zinsen – Flucht aufs Land rechnet sich immer seltener
FRANKFURT - „Torschlusspanik“– das galt beim Immobilienkauf noch im vergangenen Jahr. Inzwischen dominiere das Gefühl: „Ich habe den Zug verpasst.“Das ist ein Ergebnis der aktuellen „Wohntraumstudie“, die Mirjam Mohr, Vorständin des Baufinanzierungsvermittlers Interhyp, an diesem Mittwoch vorstellte. Denn der Traum vom Eigenheim oder der eigenen Wohnung wird für viele immer unerschwinglicher. Die Zinsen für zehnjährige Immobiliendarlehen haben sich seit dem Jahreswechsel verdreifacht auf mehr als drei Prozent. Bis zum Ende dieses Jahres dürften sie weiter auf 3,5 bis vier Prozent zulegen, erwartet der Baufinanzierungsvermittler.
Nach einem Rechenbeispiel des Portals Check24 bedeutet ein effektiver Zins von drei Prozent, dass ein Darlehen von 400 000 Euro bis zum Ende der zehnjährigen Sollzinsbindung über 78 000 Euro mehr kostet als noch im Januar. Bei einem Zinssatz von vier Prozent wären es sogar über 114 000 Euro mehr, wie das Unternehmen mitteilte.
Auch die Preise sind weiter gestiegen: Im deutschlandweiten Schnitt kostete ein Einfamilienhaus im ersten Quartal dieses Jahres 540 00 Euro, das ist ein Plus von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Preise aber variieren stark zwischen den Regionen. Inzwischen, auch das ein Ergebnis der Studie, würden viele Häuslebauer aber zunehmend von Familie und Freunden unterstützt, mit deren Hilfe sie ihren Traum von den eigenen vier Wänden doch noch verwirklichen könnten. So sei die Finanzierung weiter stabil mit im Schnitt 14 Jahre Zinsbindung, einer Beleihungsquote von knapp 80 Prozent und einer Tilgung von drei Prozent.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat gerade seinen „Immobilienbestimmungsindex“fertiggestellt, den es für den Zentralen Immobilienausschuss erarbeitet. Auch hier bestätigen die Autoren: „Das Hauptthema beim Wohnen sind die gestiegenen Finanzierungskosten, welche die Erschwinglichkeit von Immobilien für private Haushalte verringern.“Hinzu kommen aber auch höhere Materialkosten beim Bauen und Renovieren. Lieferprobleme
und der Fachkräftemangel führen zu weiteren Verzögerungen. Damit platzt für viele der Traum von der eigenen Immobilie, zeigt die „Wohntraumstudie“.
Mirjam Mohr von Interhyp schildert das Beispiel einer jungen Familie aus Stuttgart, die im vergangenen Jahr schon ein Grundstück gekauft hatte. Seither seien die Baukosten um 200 000 Euro gestiegen, die Zinsen um zwei Prozentpunkte. Weil das Elterngeld dann doch etwas niedriger war als Anfangs kalkuliert, funktionierte die Finanzierung über die Bank nicht mehr. „Dann mussten die Kunden das Grundstück verkaufen, der Traum ist wirklich zerplatzt.“
Um doch noch eine eigene Immobilie erwerben zu können, zieht es viele aufs Land. Dort ist es zwar noch etwas günstiger, aber auch hier ziehen die Preise an, aktuell sogar deutlicher als in der Stadt. Beispiel Berlin: Im Umland der Metropole sind die Preise für eine Durchschnittsimmobilie im ersten Quartal um zwölf Prozent auf 526 000 Euro geklettert, in der Stadt jedoch nur um vier Prozent auf 585 000 Euro. Immobilien in Frankfurt-Stadt kosten inzwischen im Schnitt 747 000 Euro, im Umland 623 000 Euro, in Hamburg-Stadt 750 000 Euro, im Umland 558 000 Euro.
Einen generellen, deutschlandweiten Preisrückgang bei Wohneigentum erwartet die Interhyp nicht. „Wir gehen davon aus, dass die Preise langsamer steigen werden“, sagte Mohr. In einigen Regionen könne es durchaus Preisrückgänge geben, aber nicht flächendeckend.
Immer mehr Menschen rechneten deshalb nicht mehr damit, einmal in den eigenen vier Wänden leben zu können. Aktuell wünschten sich das nur noch 68 Prozent – im Jahr zuvor waren es noch 72 Prozent. 34 Prozent der Mieter möchten gern in ihrer eigenen Immobilie leben, glauben aber nicht mehr, dass ihre finanziellen Möglichkeiten ausreichten. Dabei schraubten viele Menschen ihre Ansprüche noch weiter zurück, hat Interhyp in der Studie ermittelt, für die sie im Februar und März 2180 Bürgerinnen und Bürger hatten befragen lassen. Die Deutschen träumten ohnehin schon pragmatisch, beschreibt Mohr die neue Bescheidenheit, hätten ihren Wunsch nach mehr Wohnfläche schon angepasst: Statt 35 Quadratmeter mehr hofften viele jetzt auf nur noch 27 Quadratmeter mehr.
Doch der Wunsch nach einem Eigenheim mit Garten, Garage und
Gäste-WC steht weiterhin an erster Stelle, auch wenn das die Klimabilanz verschlechtere. So steigt das Interesse an ländlichen Wohnlagen – damit aber auch kurzfristig der Frust: Denn sechs Prozent bereuen danach ihre Entscheidung, 42 Prozent schließen einen Umzug zurück in die Stadt nicht aus. Viele Stadtflüchtende stellten fest: Das Leben auf dem Land braucht einen langen Atem, und es ist nicht immer romantisch. Deshalb müsse die Politik perspektivisch den ländlichen Raum aufwerten über bessere verkehrstechnische und digitale Anbindung. Arbeitsplätze und Kinderbetreuung müssten geschaffen, die ärztliche Versorgung verbessert werden und nicht zuletzt auch das kulturelle Angebot. Sonst heiße es weiter: „Stadt, Land, Frust“wegen der drei Ks: soziale Kontakte, Kultur und Konsum.