Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der schwimmende Botschafter der Ukraine
Bei Michailo Romantschuk fließen nach WM-Bronze die Tränen – In Kriegszeiten trainiert er in Magdeburg
BUDAPEST (SID) - Michailo Romantschuk klopfte sich mit der Hand aufs Herz, er senkte den Kopf und drückte sich mit zwei Fingern die aufkommenden Tränen aus den Augen. Der ukrainische Freistilstar hat in seinem Leben schon einige Siegerehrungen absolviert, doch diese in Budapest war besonders. Romantschuk erkämpfte WM-Bronze im 800-m-Finale nicht nur für sich, sondern auch für sein vom Krieg gebeutelten Heimatland.
„Diese Medaille ist für alle Ukrainer, für die Armee, für meinen Vater, der mein Land verteidigt“, sagte Romantschuk. Er selbst habe an die Front gehen wollen, doch „nach vielen Diskussionen mit meiner Familie und Frau haben wir entschieden, dass ich nichts mit einer Waffe anfangen kann“, erzählte der 25-Jährige. Er entschied sich stattdessen, eine Art schwimmender Botschafter zu werden, „so schnell wie möglich zu sein und der Welt zu erzählen, was in der Ukraine passiert“.
Möglich wurde das aber erst durch einen Anruf von Florian Wellbrock, der ihm Hilfe anbot. Und so schloss sich Romantschuk vor Monaten der Magdeburger Trainingsgruppe um Olympiasieger Wellbrock, dessen Ehefrau Sarah und Vizeweltmeister Lukas Märtens an. „Großer Dank an die Deutschen, ohne sie wäre ich nicht hier“, so der Doppel-Europameister.
Wellbrock und Romantschuk trieben sich zu Höchstleistungen – und schlossen sich gegenseitig ins Herz. Als „sehr innig und herzlich“beschrieb Magdeburgs Cheftrainer Bernd Berkhahn das Verhältnis der beiden. Bei der Siegerehrung wäre der zweitplatzierte Wellbrock „am liebsten zu Micha rübergerannt und hätte ihn umarmt, als bei ihm ein bisschen die Tränen kullerten“, meinte Berkhahn. Der Finaltag war auch deshalb so emotional, weil Romantschuks Trainer Nahornyi Petro dank einer Sondergenehmigung die ukrainische Verteidigung in Odessa für die Zeit der WM verlassen durfte.
Zum 1500-m-Rennen ab Freitag sollen auch Romantschuks Schwiegereltern nach Budapest reisen. Der Kontakt zu seinem Vater, der an der gefährlichen Ost-Front gegen russische Angriffe kämpft, ist dagegen stark eingeschränkt.
Die Sorge um seine Familie, Freunde und sein Heimatland machen seine Wut auf Russen vielleicht verständlich – vor allem auf jene, die wie Rücken-Olympiasieger Jewgeni Rylow öffentlichkeitswirksam Putin unterstützen. Innerlich sei er bereit gewesen, Rylow „zu töten“, sagte Romantschuk. In die Tat hätte er es aber sicher nicht umgesetzt, schließlich seien beide mal „gute Freunde“gewesen.
Eine direkte Konfrontation gibt es bei der Schwimm-WM nicht, die russischen Athleten sind ausgeschlossen worden. Romantschuk aber darf starten, Medaillen gewinnen und eine wichtige Botschaft verbreiten. „Ich habe gezeigt, dass die Ukrainer bis zum Ende kämpfen“, sagte der zweifache Medaillengewinner von Tokio nach seinem bronzenen Kraftakt im 800-m-Finale.