Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Opfer kritisieren Erinnerungsveranstaltung
Die Gräben zwischen Verantwortlichen und Betroffenen sind groß
STUTTGART/KORNTAL/WILHELMSDORF (lsw/ric) - Auch knapp acht Jahre nach Bekanntwerden des jahrzehntelangen Missbrauchs in Heimen der Brüdergemeinde Korntal sind die Gräben zwischen Betroffenen und Verantwortlichen tief. Scharf kritisierten Sprecher der Opfer vor allem eine geplante Erinnerungsveranstaltung der Brüdergemeinde am kommenden Samstag in Korntal. Diese sei ein „Schnellschuss“, hieß es, weil die Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen sei. Auch seien Termin und der Künstler nicht abgesprochen worden, kritisierten Betroffene in Korntal.
Aus den Berichten von Betroffenen und Gesprächen hatte sich in den vergangenen Jahren ein bestürzendes Bild der Heimerziehung in Baden-Württemberg ergeben. In der evangelischen Brüdergemeinde Korntal hatten Kinder von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt erlebt. Dutzende Täter sind bekannt, vor allem Betreuer und Angestellte. Wie Intensivtäter waren einige von ihnen immer wieder in Zusammenhang mit sexueller Belästigung und Vergewaltigung genannt worden. Dokumentiert sind Hunderte von Fällen. Aber juristisch sind die Taten verjährt.
Auch in Wilhelmsdorf sind Taten im Aufarbeitungsbericht dokumentiert, der im Juni 2018 in Stuttgart erstmals präsentiert wurde. Damals hieß es: Wilhelmsdorf sei kein Schwerpunkt gewesen, allerdings haben auch dort Kinder Gewalt im Heim erlebt. Außerdem haben Betroffene das Ferienlager des Kinderheims Korntal am Lengenweiler See in der Gemeinde Wilhelmsdorf als Tatort genannt, wo Missbrauch stattgefunden haben soll.
Die Brüdergemeinde will am Samstag an den Skandal und die Betroffenen erinnern. In diesem Rahmen sollen auch drei Mahnmale auf dem Gelände der drei Kinderheime aufgestellt werden. „Es soll daran erinnern, dass wir alles tun und alles dafür einsetzen, Menschen zu schützen, zu stärken, damit Hoffnung und Vertrauen wachsen können“, sagte Veit-Michael Glatzle, Geschäftsführer Diakonie der Brüdergemeinde Korntal/Wilhelmsdorf.
Der Betroffene Detlev Zander hatte die Vorwürfe 2014 öffentlich gemacht und als erster Aufklärung gefordert. Aus einem externen Bericht aus dem Jahr 2018 geht hervor, dass die Verantwortlichen der pietistischen Brüdergemeinde von sexualisierter Gewalt an den Schutzbefohlenen gewusst haben. Der Aufarbeitungsprozess war allerdings immer wieder aufgehalten worden – durch Konflikte unter Opfern, die zur Bildung mehrere Opfervertretergruppen geführt haben, und durch Streit mit der Brüdergemeinde und den Mediatoren.