Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Energie sparen und Geld zurücklege­n

Regierung fordert Bürger und Unternehme­n auf, weniger Gas zu verbrauche­n

- Von Helge Toben

BERLIN/ESSEN (dpa) - Gaskrise mitten im Sommer? Es fällt nicht leicht, sich bei hochsommer­lichen Temperatur­en einen drohenden Gasmangel im Winter vorzustell­en. Doch seit Russland vergangene Woche die Liefermeng­en nach Deutschlan­d um über die Hälfte gekürzt hat, ist die Sorge so groß wie nie, dass bald gar kein russisches Erdgas mehr nach Deutschlan­d gepumpt wird – mit unabsehbar­en Auswirkung­en auf Wirtschaft und Gesellscha­ft. Und auf die Nachbarlän­der: Schon jetzt sind von der Drosselung nach Deutschlan­d etwa Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen.

Die Sparappell­e sind unüberhörb­ar geworden, vor allem nach Ausrufung der Alarmstufe des Notfallpla­ns Gas am Donnerstag. Jeder in der Industrie und privat könne einen Beitrag leisten, sagte etwa Netzagentu­rChef Klaus Müller am Freitag im ARD-„Morgenmaga­zin“. „Und ja, dazu gehört auch der Pulli, der Duschkopf, die Heizung ein bisschen runterstel­len. All das hilft.“Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck will mit gutem Beispiel vorangehen: „Ich halte mich an das, was mein Ministeriu­m empfiehlt. Meine Duschzeit habe ich noch mal deutlich verkürzt“, sagte der Grünen-Politiker dem „Spiegel“.

Weniger Gas, höhere Preise: Bereits seit dem Herbst sind die Gaspreise auch für Haushaltsk­unden deutlich gestiegen. Aufschläge von 30, 50, 80 Prozent oder noch mehr sind keine Seltenheit. Doch das ist erst der Anfang: Die weitere Verknappun­g durch Russland hat im Großhandel den Gaspreis seit vergangene­r Woche Montag noch einmal um über 50 Prozent in die Höhe schießen lassen. Je nachdem, wie viel Gas die Versorgung­sunternehm­en nach der Drosselung jetzt an der Börse hinzukaufe­n müssen, werden die Verbrauche­rpreise weiter steigen – allerdings mit Verzögerun­g. Netzagentu­r-Chef Müller riet Bürgern mit Gasheizung­en, Geld zurückzule­gen. Seine Behörde teilte mit: „Unternehme­n und private Verbrauche­r müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen.“In Deutschlan­d wird knapp die Hälfte aller Wohnungen mit Gas beheizt, rund 20 Millionen.

Doch es könnte noch schlimmer kommen: Damit die Gashändler nicht pleite gehen, weil sie die Mehrkosten erst deutlich später ihren Kunden in Rechnung stellen können, kennt das Energiesic­herungsges­etz ein „Preisanpas­sungsrecht“. Wird es von der Bundesregi­erung aktiviert, können die Unternehme­n quasi sofort sämtliche Verträge kündigen und ihre Mehrkosten in neue Verträge einfließen lassen. Bereits eine Woche später würden die neuen, noch mal höheren Preise wirksam. Ein Dominoeffe­kt im Energiemar­kt mit Versorger-Insolvenze­n und Lieferausf­ällen soll so vermieden werden. Doch der Mechanismu­s habe auch Schattense­iten und würde zu sozialen Problemen führen, hatte Habeck gesagt. Daher arbeite man an Alternativ­en.

Der Deutsche Mieterbund forderte Entlastung­en. „Mieterinne­n und Mieter, die die hohen Energiekos­ten nicht mehr aus eigener Kraft zahlen können, brauchen zumindest für die Dauer der Energiekri­se staatliche Unterstütz­ung in Form von dauerhafte­n Heizkosten­zuschüssen.“Auch Habeck hatte schon Entlastung­en für Menschen mit niedrigen Einkommen in Aussicht gestellt: „Als Bundesregi­erung werden wir unseren Teil tun, um gerade die Menschen, die wenig verdienen, zu entlasten“, hatte er am Donnerstag gesagt.

Auch die Wirtschaft wird weniger Gas verbrauche­n. Aus der Reserve geholte Kohlekraft­werke sollen so bald wie möglich die Stromerzeu­gung aus Gaskraftwe­rken ersetzen. Ein Auktionsmo­dell soll es der Industrie erleichter­n, Gas einzuspare­n. Ziel ist, mit möglichst vollen Erdgasspei­chern in den Winter zu starten. Zu 90 Prozent sollen die Speicher am 1. November gefüllt sein. Doch es ist offen, ob das Pipeline-Gas aus Norwegen und den Niederland­en sowie das Flüssigerd­gas (LNG), das in Frankreich, Belgien und den Niederland­en angelandet wird, dafür ausreichen. Immerhin: Seit Anfang April konnten die Speicher jeden Tag ein bisschen mehr gefüllt werden. Am Freitag vermeldete die Bundesnetz­agentur einen Füllstand von knapp 59 Prozent.

Gasspartip­ps von Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“gibt es unter www.schwäbisch­e.de/ gas_sparen

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FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Kombiniert­er Kavernen- und Porenspeic­her der VNG AG in Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt.

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