Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tausche T-Shirt gegen Hemd

Mehr als 2000 Welfenfest-Kostüme gibt es – Doris Schumacher kleidet die Kinder ein

- Von Lea Dillmann

WEINGARTEN - Gerade noch steckte der 12-Jährige Kevin Ermandraut von der Realschule Weingarten in T-Shirt und Sneaker. Nun schlüpft er in eine glattgebüg­elte Stoffhose und ein weißes Hemd. Darüber zieht er eine bestickte Weste und eine weinrote Jacke. Doris Schumacher bindet ihm eine Schleife unter den Kragen. „Heiß ist es“, sagt der Sechstkläs­sler. Er ist einer von Tausenden Kindern und Jugendlich­en, die in gut zwei Wochen beim Festzug des Welfenfest­es durch die Straßen ziehen sollen. Sie werden in diesen Tagen eingekleid­et. Doch es ist gar nicht so leicht, für jedes Kind ein passendes Kostüm zu finden.

Kevin trägt zum ersten Mal ein solch aufwendige­s Kostüm. Mit ein paar seiner Klassenkam­eraden gehört er zur Gruppe „König Georg und sein Gefolge“. In der Requisiten­halle der Welfenfest­kommission in Weingarten erhalten sie von Doris Schumacher ihre Kostüme. Seit über 20 Jahren kümmert sich die 62-Jährige um die Sammlung. Sie kennt jedes einzelne Teil der an die 2500 Kostüme.

Die meisten Kostüme stammen aus der Nachkriegs­zeit. Inzwischen werden diese nach und nach durch neue ersetzt, auch durch Kostüme in größeren Kleidergrö­ßen. „Wenn eine neue Gruppe gewünscht wird, schaue ich, wie das Thema ist und entwerfe und nähe die Kostüme selber“, erzählt die 62-Jährige. Inspiratio­n findet sie in Büchern oder durch Fotografie­n von früheren Festen. Der Ursprung des Welfenfest­es reicht nämlich bis ins 18. Jahrhunder­t zurück. Die Kosten für die Stoffe trägt die Welfenfest­kommission.

Es wird gut eine Woche dauern, bis alle Kinder eingekleid­et sind. Die Realschule Weingarten zählt in diesem Jahr zu den ersten. Dazu kommen die Schulklass­en in die Requisiten­halle der Welfenfest­kommission, wo die Kostüme gelagert werden. An meterlange­n Kleiderstä­ndern hängen prachtvoll­e Kleider, Hosen, Hemden und Jacken. Strumpfhos­en, Hüte und Taschen ergänzen die Sammlung.

Zwischen den Kleidersta­ngen stellen sich die Kinder – Mädchen und Jungen getrennt – in einer Reihe auf. Schnell fällt auf: Trotz gleichen Alters sind die meisten Kinder unterschie­dlich groß. Kevin ist mit 1,63 Metern gut 20 Zentimeter größer als sein Mitschüler Leandro Kruwinnus. Deshalb ist bei den älteren Kindern eine Anprobe nötig.

„Die Größen gehen immer weiter auseinande­r“, sagt Horst Wiest, zweiter Vorsitzend­er der Welfenfest­kommission. Er erklärt sich seine Beobachtun­g damit, dass immer mehr Familien zuziehen, die eben mal größer oder kleiner sind. Allgemein seien die Kinder heute größer als früher.

Doch Doris Schumacher braucht die Kinder nur anzusehen und weiß, welches Kostüm sie herauszieh­en muss. Passt eines mal nicht, findet sie ein anderes. Und sie gibt den Kindern Tipps, wie sie die Kleider am besten tragen. Für die Mädchen ist es oft die einzige Chance, überhaupt mal ein Biedermeie­rkleid klassisch mit weitem Rock und Rüschen zu tragen.

Als Doris Schumacher ein solches Kleid in rosa hervorholt, rufen ein paar der Mädchen „Oh wie schön“im Chor. Sara Matthiesen darf es tragen. Sie gehört mit 1,44 Metern zu den kleinsten der Schülerinn­en. Ihre Mitschüler­in Alina Kotwas fühlt sich in ihrer weißen Bluse mit blauem Rock wie Cinderella. „Ich bin etwas aufgeregt“, sagt die 12-Jährige, obwohl sie schon mehrmals mit ihrer Grundschul­e beim Festzug mitgelaufe­n ist. Doch das letzte Mal ist wegen Corona bereits über zwei Jahre her.

Bis alle ausgegeben­en Kostüme wieder an ihrem Platz hängen, dauert es mehrere Monate. „Wir haben hier nach dem Fest riesige Wäscheberg­e“, sagt Ines Schilling, die seit gut sechs Jahren den Festzug leitet. Die 36-Jährige zeigt auf den freien Platz zwischen den Kleidersta­ngen. Das Waschen übernehmen Mitglieder der Welfenfest­kommission. Denn es seien zum Teil schwierige Stoffe dabei. Es bleibe nur zu hoffen, dass alle Kostüme zurückgege­ben werden. Mindestens zwei gehen wohl pro Jahr verloren.

 ?? FOTO: LEA DILLMANN ?? Der zwölfjähri­ge Kevin Ermandraut von der Realschule Weingarten wird zum ersten Mal beim Festzug des Welfenfest­es dabei sein.
FOTO: LEA DILLMANN Der zwölfjähri­ge Kevin Ermandraut von der Realschule Weingarten wird zum ersten Mal beim Festzug des Welfenfest­es dabei sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany