Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Er kämpft unter extremsten Bedingungen
Weingartener Lukas Zumbiel ist Gebirgsjäger und erzählt vom Alltag in der Spezialeinheit
Ravensburg war schon immer der Nabel der Welt. Zumindest für die Ravensburger. Hier vergleicht man sich nicht mit Weingarten oder Friedrichshafen, sondern zumindest mit München. Aber über die Lederhosen-Kleinstadt redet ja keiner mehr, außer wenn es um Fußball geht. Die großen TV-Stars kommen alle aus der Stadt der Türme und Tore. Karikatur: Rainer Weishaupt
WEINGARTEN - Sie müssen unter allen klimatischen Bedingungen und in denkbar ungünstigsten Situationen ans äußerste ihrer physischen und psychischen Kräfte gehen und dabei im Härtefall noch immer ruhig den Abzug ihres Gewehrs betätigen können: Gebirgsjäger. Lukas Zumbiel aus Weingarten gehört seit zwei Jahren dem Gebirgsjägerbataillon 232 im Heer der Bundeswehr an. Dort lebt er an der österreichischen Grenze nahe Salzburg und nahe der Berge. Er erzählt von seinen krassesten Erlebnissen.
Schon als Lukas Zumbiel klein war, ist er mit seinen Großeltern gern ins Gebirge gefahren, um dort zu wandern. Sportaffin war er immer. Acht Jahre lang trainierte er in der Wettkampfmannschaft der Abteilung Trampolin beim Turnverein Weingarten, machte Kampf- und Ausdauersport. So kam der heute 21-Jährige nach dem Abschluss der HumpisSchule Ravensburg auf die Idee, sich bei der Bundeswehr zu bewerben.
Zuerst stand ihm der Eignungstest (ehemals Musterung) bevor, der eine ärztliche, physische und psychoanalytische Überprüfung vorsieht. Unter anderem müssen die Bewerber so lange in der Endposition eines Klimmzuges verharren wie möglich, elf mal zehn Meter sprinten und 1000 Meter laufen. Der Arzt untersucht beispielsweise die Augen und führt ein Belastungs-EKG durch.
Major- und Kompaniechefin Sandra Muth erklärt: „Bei den Gebirgsund Fallschirmjägern werden nur diejenigen aufgenommen, die überall den höchsten Tauglichkeitsgrad haben. Man könnte es als eine Spitzenverwendung sehen.“Die dreimonatige Grundausbildung sei bei allen Soldaten in der Infanterie der Bundeswehr gleich, erst dann spezialisieren sich die Männer und Frauen.
Im Karrierecenter entscheidet man sich für einen Freiwillingen Wehrdienst von sieben bis maximal 23 Monaten oder dafür, Soldat auf Zeit zu werden. Für ihn sind mindestens zwei, höchstens zwölf Jahre vorgesehen. Zumbiel entschied sich für den Job des Soldaten für zwei Jahre, die nun abgelaufen sind.
In dieser Zeit lernte er, auch unter extremen klimatischen Bedingungen Höchstleistungen zu bringen. Für eine große NatoÜbung in Norwegen hatte er seinen Dienst sogar verlängert. „Teilweise sanken die Temperaturen nachts auf bis zu -20 Grad. Trotz sehr wenig Schlaf war es spannend, das Gelernte auch einmal praktisch anzuwenden“, sagt Lukas Zumbiel und wird von Sandra Muth ergänzt: „Es handelt sich dabei um eine Zwei-ParteienÜbung, bei der andere Nato-Länder die Feindkräfte stellen.“Die Kälte sei dem 21-Jährigen aber immer noch lieber als die Hitze.
Wenn seine Gruppe von neun Soldaten den Berg hinaufmarschiert, oder am Klettersteig hängt und dann die Sonne rauskommt, „dann wird es schon echt warm. Wir haben ja lange Klamotten an und dann auch noch unseren Rucksack dabei“, so Zumbiel. Der Rucksack kann bis zu 30 Kilo wiegen und das nur, wenn sich ausschließlich die Grundausrüstung darin befindet. Weitere Ausrüstung für besondere Einsätze kämen dann noch hinzu. „Der Rucksack unterscheidet uns auch von vielen anderen Truppengattungen. Die haben Fahrzeuge, die das Gepäck zumindest teilweise transportieren“, sagt Sandra Muth.
Meist geht es auf schmalen Wanderwegen entlang, Klettersteige werden von den Soldaten selbst angelegt. Der sogenannte Vorstieg legt das Seilgeländer an, die letzten bauen es hinter sich wieder ab. Wo ein Ottonormalverbraucher in einer Stunde etwa 350 Höhenmeter zurücklegen kann, schafft ein Gebirgsjäger 500. Schnelligkeit ist allerdings gar nicht so oft gefragt, so Muth: „Der Einsatz beginnt ja meist erst auf dem Berg, daher versuchen wir, uns kräfteschonend zu bewegen.“
Bei viel Gepäck werden zusätzlich Mulis eingesetzt, die bis zu 150 Kilo tragen, schmale Bergwege hochkommen und einiges nachliefern können. Die Verpflegung sieht neben Wasser auch Vorgekochtes von zu Hause oder Lunchpakete vor. Bei längeren Einsätzen nahrhaftes Müsli und jede Menge Energieriegel.
Lukas Zumbiels Gruppe hat fast immer einen Auftrag, um die Grundfitness zu erhalten und weiter zu trainieren. Seine härteste Erfahrung hat er bislang noch in der Ausbildung zum Gebirgsjäger gemacht. „Wir mussten nachts bei Regen mit Gepäck und Waffen 60 Kilometer durchlaufen. Das ist dann eine Kopfsache, Schmerzen hat man sowieso – wir waren ja alle noch nicht so trainiert wie heute“, sagt der Weingartener.
Natürlich ist auch die Waffenkunde ein ständig wiederkehrendes Thema. Zumbiel: „Wir müssen die Waffe auch im höchsten Stress wie automatisch, ohne viel zu denken, benutzen können.“Erst wenn man etwas 1000mal gemacht hat, ist es im Langzeitgedächtnis verankert, sagt Muth. Überall dabei sind die anderen acht Soldaten im Alter zwischen 19 und 40, die für Lukas Zumbiel wie eine zweite Familie geworden sind. Immer an seiner Seite ist auch ein Freund aus Weingarten, den er noch aus Schulzeiten kennt, mit dem er durch Schmutz gewatet und Stunden um Stunden marschiert ist.
Gebirgsjäger sind nämlich mitnichten nur zwischen Felsen zu finden, betont Sandra Muth. Als speziell ausgebildete Soldaten können sie auch in Wäldern, in der Wüste, im Amazonasgebiet oder der Arktis Einsätze ausführen. „Auch die Soldaten, die derzeit in Mali eingesetzt sind, sind Gebirgsjäger“, so Muth. Angst vor einem möglichen echten Einsatz hat Lukas Zumbiel nicht. Er verpflichte sich mit seinem Eintritt in die Bundeswehr dafür, immer für Aufträge zum Schutz des Landes zur Verfügung zu stehen. Außerdem: „Wenn die Entscheidung fällt, der Bundeswehr beizutreten, weiß ich ja bereits was mich erwarten könnte.“
Ein Beitritt zur Bundeswehr scheint noch immer viele junge Menschen anzuziehen. Im Gebirgsjägerbataillon 232 werden dreimal jährlich bis zu 200 junge Männer und Frauen einberufen und in der Grundausbildung ausgebildet. Diese Plätze sind laut Muth auch immer belegt. Für Zumbiel geht die Zeit als Gebirgsjäger kommenden Monat jedoch zu Ende.
Er möchte auch jenseits des Heeres eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können und verdingt sich in Zukunft als Personenschützer in Ravensburg. „Das Risiko, dass der Körper unter den extremen Belastungen als Gebirgsjäger Schaden nimmt, ist sehr groß“, sagt er. Missen wolle er die wertvollen Erfahrungen im Dienste des Bundes allerdings nicht.
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