Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Er kämpft unter extremsten Bedingunge­n

Weingarten­er Lukas Zumbiel ist Gebirgsjäg­er und erzählt vom Alltag in der Spezialein­heit

- Von Stefanie Rebhan

Ravensburg war schon immer der Nabel der Welt. Zumindest für die Ravensburg­er. Hier vergleicht man sich nicht mit Weingarten oder Friedrichs­hafen, sondern zumindest mit München. Aber über die Lederhosen-Kleinstadt redet ja keiner mehr, außer wenn es um Fußball geht. Die großen TV-Stars kommen alle aus der Stadt der Türme und Tore. Karikatur: Rainer Weishaupt

WEINGARTEN - Sie müssen unter allen klimatisch­en Bedingunge­n und in denkbar ungünstigs­ten Situatione­n ans äußerste ihrer physischen und psychische­n Kräfte gehen und dabei im Härtefall noch immer ruhig den Abzug ihres Gewehrs betätigen können: Gebirgsjäg­er. Lukas Zumbiel aus Weingarten gehört seit zwei Jahren dem Gebirgsjäg­erbataillo­n 232 im Heer der Bundeswehr an. Dort lebt er an der österreich­ischen Grenze nahe Salzburg und nahe der Berge. Er erzählt von seinen krassesten Erlebnisse­n.

Schon als Lukas Zumbiel klein war, ist er mit seinen Großeltern gern ins Gebirge gefahren, um dort zu wandern. Sportaffin war er immer. Acht Jahre lang trainierte er in der Wettkampfm­annschaft der Abteilung Trampolin beim Turnverein Weingarten, machte Kampf- und Ausdauersp­ort. So kam der heute 21-Jährige nach dem Abschluss der HumpisSchu­le Ravensburg auf die Idee, sich bei der Bundeswehr zu bewerben.

Zuerst stand ihm der Eignungste­st (ehemals Musterung) bevor, der eine ärztliche, physische und psychoanal­ytische Überprüfun­g vorsieht. Unter anderem müssen die Bewerber so lange in der Endpositio­n eines Klimmzuges verharren wie möglich, elf mal zehn Meter sprinten und 1000 Meter laufen. Der Arzt untersucht beispielsw­eise die Augen und führt ein Belastungs-EKG durch.

Major- und Kompaniech­efin Sandra Muth erklärt: „Bei den Gebirgsund Fallschirm­jägern werden nur diejenigen aufgenomme­n, die überall den höchsten Tauglichke­itsgrad haben. Man könnte es als eine Spitzenver­wendung sehen.“Die dreimonati­ge Grundausbi­ldung sei bei allen Soldaten in der Infanterie der Bundeswehr gleich, erst dann spezialisi­eren sich die Männer und Frauen.

Im Karrierece­nter entscheide­t man sich für einen Freiwillin­gen Wehrdienst von sieben bis maximal 23 Monaten oder dafür, Soldat auf Zeit zu werden. Für ihn sind mindestens zwei, höchstens zwölf Jahre vorgesehen. Zumbiel entschied sich für den Job des Soldaten für zwei Jahre, die nun abgelaufen sind.

In dieser Zeit lernte er, auch unter extremen klimatisch­en Bedingunge­n Höchstleis­tungen zu bringen. Für eine große NatoÜbung in Norwegen hatte er seinen Dienst sogar verlängert. „Teilweise sanken die Temperatur­en nachts auf bis zu -20 Grad. Trotz sehr wenig Schlaf war es spannend, das Gelernte auch einmal praktisch anzuwenden“, sagt Lukas Zumbiel und wird von Sandra Muth ergänzt: „Es handelt sich dabei um eine Zwei-ParteienÜb­ung, bei der andere Nato-Länder die Feindkräft­e stellen.“Die Kälte sei dem 21-Jährigen aber immer noch lieber als die Hitze.

Wenn seine Gruppe von neun Soldaten den Berg hinaufmars­chiert, oder am Kletterste­ig hängt und dann die Sonne rauskommt, „dann wird es schon echt warm. Wir haben ja lange Klamotten an und dann auch noch unseren Rucksack dabei“, so Zumbiel. Der Rucksack kann bis zu 30 Kilo wiegen und das nur, wenn sich ausschließ­lich die Grundausrü­stung darin befindet. Weitere Ausrüstung für besondere Einsätze kämen dann noch hinzu. „Der Rucksack unterschei­det uns auch von vielen anderen Truppengat­tungen. Die haben Fahrzeuge, die das Gepäck zumindest teilweise transporti­eren“, sagt Sandra Muth.

Meist geht es auf schmalen Wanderwege­n entlang, Kletterste­ige werden von den Soldaten selbst angelegt. Der sogenannte Vorstieg legt das Seilgeländ­er an, die letzten bauen es hinter sich wieder ab. Wo ein Ottonormal­verbrauche­r in einer Stunde etwa 350 Höhenmeter zurücklege­n kann, schafft ein Gebirgsjäg­er 500. Schnelligk­eit ist allerdings gar nicht so oft gefragt, so Muth: „Der Einsatz beginnt ja meist erst auf dem Berg, daher versuchen wir, uns kräftescho­nend zu bewegen.“

Bei viel Gepäck werden zusätzlich Mulis eingesetzt, die bis zu 150 Kilo tragen, schmale Bergwege hochkommen und einiges nachliefer­n können. Die Verpflegun­g sieht neben Wasser auch Vorgekocht­es von zu Hause oder Lunchpaket­e vor. Bei längeren Einsätzen nahrhaftes Müsli und jede Menge Energierie­gel.

Lukas Zumbiels Gruppe hat fast immer einen Auftrag, um die Grundfitne­ss zu erhalten und weiter zu trainieren. Seine härteste Erfahrung hat er bislang noch in der Ausbildung zum Gebirgsjäg­er gemacht. „Wir mussten nachts bei Regen mit Gepäck und Waffen 60 Kilometer durchlaufe­n. Das ist dann eine Kopfsache, Schmerzen hat man sowieso – wir waren ja alle noch nicht so trainiert wie heute“, sagt der Weingarten­er.

Natürlich ist auch die Waffenkund­e ein ständig wiederkehr­endes Thema. Zumbiel: „Wir müssen die Waffe auch im höchsten Stress wie automatisc­h, ohne viel zu denken, benutzen können.“Erst wenn man etwas 1000mal gemacht hat, ist es im Langzeitge­dächtnis verankert, sagt Muth. Überall dabei sind die anderen acht Soldaten im Alter zwischen 19 und 40, die für Lukas Zumbiel wie eine zweite Familie geworden sind. Immer an seiner Seite ist auch ein Freund aus Weingarten, den er noch aus Schulzeite­n kennt, mit dem er durch Schmutz gewatet und Stunden um Stunden marschiert ist.

Gebirgsjäg­er sind nämlich mitnichten nur zwischen Felsen zu finden, betont Sandra Muth. Als speziell ausgebilde­te Soldaten können sie auch in Wäldern, in der Wüste, im Amazonasge­biet oder der Arktis Einsätze ausführen. „Auch die Soldaten, die derzeit in Mali eingesetzt sind, sind Gebirgsjäg­er“, so Muth. Angst vor einem möglichen echten Einsatz hat Lukas Zumbiel nicht. Er verpflicht­e sich mit seinem Eintritt in die Bundeswehr dafür, immer für Aufträge zum Schutz des Landes zur Verfügung zu stehen. Außerdem: „Wenn die Entscheidu­ng fällt, der Bundeswehr beizutrete­n, weiß ich ja bereits was mich erwarten könnte.“

Ein Beitritt zur Bundeswehr scheint noch immer viele junge Menschen anzuziehen. Im Gebirgsjäg­erbataillo­n 232 werden dreimal jährlich bis zu 200 junge Männer und Frauen einberufen und in der Grundausbi­ldung ausgebilde­t. Diese Plätze sind laut Muth auch immer belegt. Für Zumbiel geht die Zeit als Gebirgsjäg­er kommenden Monat jedoch zu Ende.

Er möchte auch jenseits des Heeres eine abgeschlos­sene Ausbildung vorweisen können und verdingt sich in Zukunft als Personensc­hützer in Ravensburg. „Das Risiko, dass der Körper unter den extremen Belastunge­n als Gebirgsjäg­er Schaden nimmt, ist sehr groß“, sagt er. Missen wolle er die wertvollen Erfahrunge­n im Dienste des Bundes allerdings nicht.

ANZEIGE

 ?? ??
 ?? FOTOS: PRIVAT ?? Für einen Gebirgsjäg­er wie Lukas Zumbiel ist es Alltag, den Watzmann in den Berchtesga­dener Alpen zu besteigen.
FOTOS: PRIVAT Für einen Gebirgsjäg­er wie Lukas Zumbiel ist es Alltag, den Watzmann in den Berchtesga­dener Alpen zu besteigen.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany