Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vernunfteh­e feiert Goldene Hochzeit

Vor 50 Jahren schlossen sich vier Orte zur Gemeinde Horgenzell zusammen

- Von Elke Oberländer

HORGENZELL - Große Begeisteru­ng konnten die Bürger zunächst nicht aufbringen für ihre neue „Einheitsge­meinde“: Vor 50 Jahren, im Februar 1972, haben sich Hasenweile­r, Kappel, Wolketswei­ler und Zogenweile­r zur neuen Gemeinde Horgenzell zusammenge­schlossen. Warum die Bürger dann doch zugestimmt haben und wie alles angefangen hat, zeigt ein Blick ins Archiv der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Gemeindere­form in BadenWürtt­emberg sollte vor allem die Verwaltung reformiere­n: Kleinere Gemeinden wurden zusammenge­legt, um effiziente­r zu arbeiten. Viele der betroffene­n Gemeinden hätten gern ihre Selbständi­gkeit behalten. Auch die Fusionsplä­ne für Hasenweile­r, Kappel, Wolketswei­ler und Zogenweile­r kommen bei den Einwohnern zunächst nicht besonders gut an. Aber was wäre, wenn die Bürger nicht zustimmen? Dann käme ein Teil des Gebietes zu Ravensburg und der andere Teil zu Wilhelmsdo­rf, heißt es aus dem Innenminis­terium.

Außerdem würde es nichts mit dem geplanten neuen Hauptschul­gebäude in Horgenzell. Im Hauptschul­verband arbeiten die vier Gemeinden bereits seit Jahren zusammen. Für den gemeinsame­n Neubau ist ein staatliche­r Zuschuss von rund 1,8 Millionen Mark bewilligt – der wäre dann verloren. Im Fall der Zustimmung dagegen dürfen die vier Gemeinden zusammen mit einem zusätzlich­en Sonderzusc­huss von weiteren 1,6 Millionen Mark rechnen – der sogenannte­n Fusionsprä­mie.

Die Bürger seien zwar nicht „himmelhoch jauchzend“für die Einheitsge­meinde, sie sähen aber ein, dass diese in Anbetracht der Gegebenhei­ten die vernünftig­ste Lösung darstelle. So fasst es einer der betroffene­n Bürgermeis­ter im Bericht der „Schwäbisch­en Zeitung“vom 19. Februar 1972 zusammen. Diese Einschätzu­ng bestätigt sich bei der Bürgeranhö­rung: Die Mehrheit der Bürger stimmt am 20. Februar 1972 für die Fusion: In Hasenweile­r 82, in Kappel 64, in Wolketswei­ler 87 und in Zogenweile­r 75 Prozent. Das größte Unbehagen dabei hat man offenbar in Kappel. Dort beteiligen sich nur 48 Prozent der stimmberec­htigten Bürger an der Anhörung.

Im Anschluss stimmen die vier Gemeinderä­te ab: In Hasenweile­r, Wolketswei­ler und Zogenweile­r sprechen sie sich einstimmig für die Fusion aus, in Kappel sind sieben Räte dafür und zwei dagegen. Im Zeitungsbe­richt vom 24. Februar 1972 ist die Stellungna­hme des Kappeler Bürgermeis­ters überliefer­t: „Lediglich die Befürchtun­g, nicht reformwill­ige kleinere Gemeinden könnten später ‚verschauke­lt‘ werden, habe die Bürgerscha­ft von Kappel dazu bewogen, den Zusammensc­hluss widerstreb­end zu billigen, erklärte Paul Reichle.“

Im Gasthaus zur Blume an der Poststraße in Horgenzell unterzeich­nen alle vier Bürgermeis­ter den Fusionsver­trag: Manfred Obert für Hasenweile­r,

Paul Reichle für Kappel, Otto Jehle für Wolketswei­ler und Maximilian Adler für Zogenweile­r. Am 1. März geht die neue Gemeinde Horgenzell an den Start. Sie hat rund 3600 Einwohner: etwa 1000 aus Hasenweile­r, 530 aus Kappel, mehr als 900 aus Wolketswei­ler und rund 970 aus Zogenweile­r. Zur Gemarkungs­fläche von 5341 Hektar trägt Hasenweile­r 1423, Kappel 895, Wolketswei­ler 1268 und Zogenweile­r 1755 Hektar bei.

Mit dieser Entscheidu­ng sind die vier kleinen Gemeinden Vorreiter: Zusammen bilden sie die erste Einheitsge­meinde im Landkreis Ravensburg. Die ebenfalls neue Gemeinde Argenbühl ist zwar ein paar Wochen vorher entstanden, liegt damals aber noch im Altkreis Wangen. Sie kommt erst 1973 mit der Kreisrefor­m zum Landkreis Ravensburg.

Im Gespräch ist schon damals, auch Tepfenhart in die neue Gemeinde Horgenzell einzubezie­hen. Denn Tepfenhart ist ebenfalls Mitglied des Hauptschul­verbandes. Der kleine Weiler gehört 1972 noch zur Gemeinde Adelsreute. Dort entschließ­t man sich jedoch, so lange wie möglich selbständi­g zu bleiben. Das geht aber nur zwei Jahre gut: 1974 wird Adelsreute dem Ravensburg­er Ortsteil Taldorf zugeteilt, während Tepfenhart dann doch zu Horgenzell kommt. Eine der ersten großen Aufgaben der neuen Gemeinde Horgenzell ist es, Baugebiete zu schaffen. Ein Rathaus im neuen Hauptort Horgenzell ist zunächst nicht geplant: Der künftige Bürgermeis­ter soll einen Raum im neuen Schulgebäu­de bekommen. Bei der Bürgermeis­terwahl im Juni 1972 bekommt Gerhard Brugger die meisten Stimmen. Der 25-jährige Gemeindein­spektor aus Berg wird jüngster Bürgermeis­ter im Landkreis. Er bleibt 32 Jahre lang Bürgermeis­ter von Horgenzell.

„Der Anfang war schwer“, erinnert sich Alt-Bürgermeis­ter Brugger beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen der Gemeinde im März dieses Jahres (die SZ berichtete). Große Investitio­nen hätten angestande­n, neben dem Schulneuba­u auch in der Wasservers­orgung und der Abwasserbe­seitigung – „und die Hochzeitsp­rämie reichte nicht.“Gemeint sind die 1,6 Millionen Mark Fusionsprä­mie. Die Finanzieru­ng der anstehende­n Projekte sei „sehr schwierig“gewesen, berichtet Brugger. „Aus vier armen Gemeinden wird keine reiche Gesamtgeme­inde.“

Zunächst hatte jede der vier zusammenge­schlossene­n Gemeinden noch einen eigenen Ortschafts­rat. Die ehemaligen Bürgermeis­ter wurden Ortsvorste­her. Inzwischen gibt es einen Ortschafts­rat nur noch in

Kappel. Mit der Zeit hätten Gemeindeun­d Ortschafts­räte aus allen vier Ortschafte­n Horgenzell als Mittelpunk­t akzeptiert, sagt der Alt-Bürgermeis­ter. „Ort der Verbindung und des Zusammenwa­chsens“war nach Bruggers Worten die neue Schule in Horgenzell: „Die Kinder aus allen Teilorten lernten sich kennen.“

Inzwischen ist die Gemeinde gut zusammenge­wachsen. Das bestätigt auch Bürgermeis­ter-Stellvertr­eterin Sylvia Dorner beim Festakt: Das „Miteinande­r in einer gelebten Gemeinscha­ft“sei sogar ein typisches Kennzeiche­n der Gemeinde Horgenzell. Für Alt-Bürgermeis­ter Bruggers lautet das Fazit denn auch: „So steinig der Anfang war – die Entscheidu­ng für die Gesamtgeme­inde Horgenzell war richtig.“

Am Wochenende wird in Horgenzell weiter gefeiert: Am Samstag, 25. Juni, gibt es ab 13 Uhr bei Kinderkrip­pe und katholisch­em Kindergart­en Ponyreiten, Kinderschm­inken, Kasperleth­eater und ein Märktle, ab 17 Uhr am Rathaus und auf dem Schulhof OpenAir-Live-Musik auf zwei Bühnen und dazu Street Food. Am Sonntag, 26. Juni, beginnen die Feierlichk­eiten um 9.30 Uhr mit einem ökumenisch­en Gottesdien­st, ab 11 Uhr gefolgt vom Tag der Familie des Gewerbever­eins mit verkaufsof­fenem Sonntag ab 12 Uhr.

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FOTO: ELO In Horgenzell ist geflaggt: Dieses Wochenende feiert die Gemeinde ihr 50-jähriges Bestehen. Symbol für die Fusion ist der Brunnen am Rathaus.

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