Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Linke erteilt Wagenknecht-Fans Abfuhr
Janine Wissler und Martin Schirdewan sollen Partei aus der Existenzkrise führen
ERFURT - Es ist nicht so, dass die Linken im Internet zimperlicher wären als andere Leute. Aber manches verblüfft dann doch. „Ekelhafte Hunde“twitterte Sarah Dubiel, Sprecherin der Linksjugend. „Wer mit dem Kopf schüttelt während das AwarenessTeam spricht, hat keinen Platz in der Linken.“Das Sorgsamkeits-Team soll auf dem Parteitag vor sexuellen Übergriffen schützen.
Jenseits dessen verlief der Parteitag am Wochenende in Erfurt geordnet und verhältnismäßig ruhig. All jenen, die den Ernst der Lage anzweifelten, wurde durch den Gründungsvater, Gregor Gysi, Aufklärung zuteil. „Wir brauchen keine Trennung von Amt und Mandat – denn wenn wir so weitermachen, haben wir bald keine Mandate mehr. Das ist die absolute Trennung.“
Im Hinterkopf hatte jeder Delegierte die jüngeren Wahlergebnisse der Linken. Die Partei wurde in westdeutschen Ländern in die Kategorie „Sonstige“zurückkatapultiert. Im Bund erscheint die Fünf-ProzentHürde inzwischen als unüberwindlich.
Für die Wahlergebnisse übernahm in Erfurt niemand die Verantwortung. Und auch sonst wurden Themen ausgeklammert. „Es gibt in der Partei viel Kritik an der Bundestagsfraktion“, sagt Ellena Schumacher Koelsch aus Schwäbisch Hall, die sich mit achtbarem Ergebnis aber erfolglos für den Bundesvorstand beworben hatte. „Das ist hier kaum zur Sprache gekommen. Schade.“
Tatsächlich lobten die Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch die Arbeit der Genossen im Bundestag über den grünen Klee. „Lasst uns stolz auf diese Fraktion sein“, rief Bartsch dem
Parteitag zu, der wiederum „eine Tür aufgestoßen“habe.
Das sieht Sören Pellmann anders. Der Bundestagsabgeordnete mit Leipziger Direktmandat wollte Parteivorsitzender werden, bekam aber nur etwas über 30 Prozent der Stimmen. Stattdessen steht nun an der Seite der wiedergewählten Janine Wissler der Europapolitiker Martin Schirdewan, der über 60 Prozent erhielt. Pellmann, der zumindest einen guten Kontakt zu der in Erfurt wegen Krankheit abwesenden Sahra Wagenknecht hat, sieht sich einer konzertierten Aktion gegenüber, die eine Mehrheit in fast allen Fragen zustande brachte. Denn auch in Sachen Krieg und Frieden setzten sich jene durch, die ohne Wenn und Aber Russland zum Schuldigen am Überfall auf die Ukraine erklärten. „Die haben hier alles dominiert“, sagt Pellmann. Gemeint sein kann nur das Lager, das sich gegen Wagenknecht und ihre Anhänger stellt.
Sören Pellmann will nun erst einmal nachdenken. Darum, ihn einzubinden, habe sich niemand bemüht.
„Keiner aus der Parteiführung ist zu mir gekommen.“Das könnte sich rächen. Denn auch andere denken über ihre Zukunft in der Partei nach. Wagenknecht selbst meldete sich aus der Ferne mit scharfer Kritik zu Wort. „Nach diesem Parteitag gibt es kaum Hoffnung, dass die Linke ihren Niedergang stoppen kann“, sagte Wagenknecht am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur.
„Ich hätte kein Problem damit, wenn sich das Wagenknecht-Lager abspalten würde“, meint indes Ellena Schumacher Koelsch. „Ich hätte mir gewünscht, dass Sahra Wagenknecht auf dem Parteitag auftritt. Dann hätte man sich mit ihr auseinandersetzen können. Es muss nämlich Schluss sein damit, dass Politik in Talkshows gemacht wird. Und dann auch noch regelmäßig gegen unsere Partei.“
Fraktionschef Bartsch dagegen will, dass man sich auf den politischen Gegner konzentriert. „Wir sind eine Partei oder keine“beschwört Bartsch die Zuhörer. Viel Beifall bekommt er nicht.