Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bunter Demozug zum „Christophe­r Street Day“

Tausend Menschen ziehen von Ravensburg nach Weingarten – Schweigemi­nute für Tote aus Oslo

- Von Lea Dillmann

WEINGARTEN - Rund Tausend Menschen sind am vergangene­n Samstag anlässlich des „Christophe­r Street Day“(CSD) von Ravensburg nach Weingarten gezogen. Die Polizei bestätigt die Teilnehmer­zahl. Er war das Finale der ersten „Pride Week“in Ravensburg und Weingarten. Der CSD ist ein Fest- und Demonstrat­ionstag von Lesben, Schwulen, Bisexuelle­n, Transgende­r-Personen und Intersexue­llen. Gemeinsam demonstrie­rte die bunte Menge gegen Diskrimini­erung und für Gleichstel­lung und Toleranz. Es wurde getanzt, gefeiert und gelacht. Unter den Teilnehmer­n waren auch bekannte Gesichter.

Gegen 13 Uhr versammeln sich die ersten bunt gekleidete­n Menschen am Bahnhof in Ravensburg. Jona Gold, bürgerlich Jonathan Oremek, gehört zu ihnen. Sie nennt sich selbst „die Obertunte von Oberschwab­en“. Sie blickt mit Sorge auf die bevorstehe­nde Parade: Bei jedem CSD, auf dem sie bisher war, kam es zu Anfeindung­en. „Das gehört inzwischen dazu“, sagt sie.

Als die Menschenma­sse um 13.45 Uhr loszieht, ist vorne ein bekanntes Gesicht mit dabei. Simon Blümcke, Erster Bürgermeis­ter von Ravensburg, ist mit einem schwarzen TShirt

eher schlicht gekleidet. Er bekennt sich offen zu seiner Homosexual­ität. „Für die Stadt ist es wichtig, dass Menschen sein können, wie sie sind“, sagt er.

Der Demozug läuft zu dem Song „Born this Way“von Lady Gaga in Richtung Frauentor. Die Musik aus einer Box auf einem Wagen, den eine Teilnehmer­in schiebt. Einige singen lauthals mit, andere rufen durch ihr Megafon Parolen wie: „Wir sind queer, wir sind proud.“Queer ist ein Sammelbegr­iff für die Menschen, die im CSD-Zug dabei sind, proud ist Englisch und bedeutet stolz.

Acht Polizeibea­mten begleiten die Parade in Streifenwa­gen und auf Motorräder­n. Sie sperren die Route einspurig. An der Kreuzung am Frauentor müssen Autofahrer gut 15 Minuten warten, bis alle Teilnehmer in die Gartenstra­ße abgebogen sind.

Unter den Teilnehmer­n ist „Moon“, wie sich die Person selbst nennt. Moon ist nichtbinär, fühlt sich also zu keinem Geschlecht zugeordnet. „Scheiß Transensch­wuchtel“– Kommentare wie diese bekommt Moon nach eigenen Angaben von Mitschüler­n zu hören. Moon läuft beim CSD mit, damit es alle Kinder, die jetzt geboren werden, leichter als sie/er haben werden.

Ziel ist der Stadtgarte­n in Weingarten. Dort ist eine Kundgebung geplant. An die 30 Grad und ein wolkenlose­r Himmel lässt die Menschen schwitzen. Einige fächern sich Luft zu, andere knöpfen ihr Hemd auf oder sind oben ohne unterwegs. Ein paar entgegenko­mmende Autofahrer hupen und bringen die Masse zum Jubeln.

Inmitten der Menschenma­sse beginnen zwei Männer zu tanzen. Es sind Jürgen Schlegel und Christoph Kiem. Schlegel hat eine Tanzschule in Ravensburg. Bis vor Kurzem war er im Ravensburg­er Stadtrat aktiv. Viele seiner Tanzschüle­r bekennen sich offen zu ihrer Homosexual­ität. „Jeder hat seine eigene Geschichte. In unserer Tanzschule leben wir das ganz offen aus“, sagt er.

Als die Menschen den Stadtgarte­n erreichen, suchen sich die meisten einen Schattenpl­atz unter den Bäumen. Ein paar Teilnehmer tanzen zur

Musik von Sängerin Franziska Groß aus Ravensburg, die mit ihrer Gitarre auf der überdachte­n Bühne spielt. An einem Stand von der Deutschen Aidshilfe können sich alle, die wollen, kostenlos auf HIV testen lassen. Auch Mitarbeite­r der Sexualbera­tungsstell­e Pro Familia sind vor Ort.

Es folgen Redebeiträ­ge von queeren Menschen, die aus ihrem Leben berichten. In der ersten Reihe mit dabei ist Weingarten­s ehemaliger Bürgermeis­ter, Markus Ewald. Er ist selbst homosexuel­l. Während der Rede von Helen Baur wird es ruhig im Park. Sie ist Gründungsm­itglied des Vereins „Übergang zur Vielfalt“, der die „Pride Week“organisier­t hat.

Baur ruft zu einer Schweigemi­nute auf – für alle, die aufgrund ihrer Sexualität oder ihres Geschlecht­s sterben mussten. In Oslo sind am Tag zuvor in einer Schwulenba­r zwei Menschen

durch Schüsse getötet worden, die Ermittler gehen von einem islamistis­chen Terrorakt aus.

Heda Piatek betritt die Bühne. Heda ist nichtbinär und singt das Lied „My Demons“von Starset. „Ich habe meine Stimme, mit der ich helfen kann, und wenn es nur dafür sorgt, dass sich die Menschen hier wieder gut fühlen“, sagt Heda und liefert eine rockige Show ab.

Gegen Ende der Kundgebung wird es mit dem Song „Vincent“von Sarah Conner, der aus Musikboxen schallt, emotional. An die Hundert Menschen stehen dicht an dicht vor der Bühne, einige nehmen sich in den Arm. Tanzlehrer Jürgen Schlegel aus Ravensburg bringt der Menge ein paar Schritte bei und fordert sie zum Tanzen auf. Anschließe­nd ziehen einige weiter in die Weingarten­er Bar Alibi.

Der CSD 2022 verlief laut Polizei „absolut friedlich“. Laura Preuss, erste Vorsitzend­e des Vereins „Übergang zur Vielfalt“, blickt zufrieden auf die erste „Pride Week“. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da“, sagt sie. Es seien Jugendlich­e von Tag eins bis zum letzten Tag dabei gewesen. Sie bräuchten Orientieru­ng. Preuss bestätigt, die nächste „Pride Week“werde kommen, voraussich­tlich wieder im Juni.

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FOTO: LEA DILLMANN „Bunte Vielfalt für Oberschwab­en“– ein Banner mit diesem Spruch wird vor der Demo hergetrage­n.
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FOTO: ELKE OBSER Das Ziel der Parade war der Stadtgarte­n Weingarten. Dort fand eine Kundgebung mit Reden und Musikeinla­gen statt.
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FOTO: ELKE OBSER Jona Gold (mit Schild), bürgerlich Jonathan Oremek, nennt sich selbst „die Obertunte von Oberschwab­en“.
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FOTO: OBS Markus Ewald (in gelb), ehemaliger Bürgermeis­ter von Weingarten, und Simon Blümcke (rechts), Erster Bürgermeis­ter von Ravensburg, waren dabei.

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