Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Dem Elektrokescher entgeht kein Fisch
Die Argen wird renaturiert, Fische zum Schutz gefangen und zwischengelagert
WANGEN - Die Sonne ist gerade aufgegangen, da stehen zwei Männer mit Gummihosen in der Argen. Der eine trägt einen schwarzen Eimer, der andere einen großen Kescher. Das Mysteriöse geschieht um sie herum: Die Fische scheinen allesamt ihres Lebens müde zu sein, denn sie schwimmen geradewegs auf den Kescher zu, sobald er in ihre Nähe kommt. „Elektrofischerei ist gar nichts Neues“, erklärt Biologe Ralf Haberbosch aus dem Bodenseekreis, der den Kescher schwingt. „Das ist eine relativ schonende Methode, um Fische zu entnehmen.“
Tatsächlich hört sich die Fangmethode erst einmal schrecklich an. Den Gleichstrom, der ins Wasser geleitet wird, erzeugt ein Generator mit einer Spannung von gut 600 Volt. Das erste Kabel legt dabei einen Minuspol ins Wasser und der mit einem zweiten Kabel verbundene Kescher ergibt dabei den Pluspol. Dadurch entsteht ein elektrisches Feld im Wasser, in dem sich die Fische auf natürliche Weise nach dem Pluspol ausrichten und auf ihn zu schwimmen. Kommen sie ihm dann zu nahe, werden sie vom Strom kurzzeitig betäubt, sodass Haberbosch den Fisch in aller Ruhe mit dem Netz einsammeln kann. Sobald er den Kescher aus dem Wasser hebt, zappelt der Fisch aber schon wieder – als wäre nichts gewesen. Wegen der starken Hitze beginnen die Männer an diesem Montag früh am Morgen. Je heißer es wird, desto strapaziöser wird es für die Fische. Immerhin: Die Fische werden ja nicht für die Bratpfanne gefischt, sondern zu ihrem Schutz. Denn wenn die Bagger anrollen und anfangen, im Fluss zu graben und die Ufersteine zu versetzen, dann sollen die Fische in Seelenruhe im Aquarium schwimmen und nicht den Bauarbeiten zum Opfer fallen. Zumindest so lange, bis die Bagger wieder abgezogen sind und die Fische wieder zurück ins Wasser gelassen werden können. Der ganze Vorgang wird vom Landratsamt überwacht.
Am Ende aller Strapazen sollen die Fische ein schöneres Zuhause vorfinden als zuvor. Die Obere Argen bei Wangen ist zwar hübsch anzuschauen, aber sie ist nicht gerade das, was Naturschützer unter „natürlich“verstehen. „Das Problem ist hier, dass in Hitzewellen wie der jetzigen sehr wenig Wasser in einem breiten Flussbett fließt“, “, erklärt Biologe Haberbosch. Das bedeute, dass sich das Wasser stark erwärmt – nicht gut für die Fische. „Die brauchen kühle Rückzugsgebiete. Tiefen oder Buchten in der Uferstruktur. Diese Tiefen und Buchten sollen dank der Gartenschau nun wieder entstehen.“
Die Landesgartenschau 2024 soll also nicht nur den Menschen, sondern auch den Fischen gefallen, die in Wangen leben: Bachforellen, Eschen, Erlen und kleine Groppen sammeln Haberbosch und sein Helfer ein. Stück für Stück waten die beiden von der Holzbrücke an der Sporthalle aufwärts in Richtung Wasserkraftwerk und ziehen den Kescher durch jeden Spalt zwischen den Steinen, um so viele Fische wie möglich zu sammeln.
„Alle bekommt man nie“, sagt der Biologe, „der Strom reicht ja auch nicht in jede Ritze hinein. Und die Tiere sind gut darin, sich zu tarnen und zu verstecken.“Aber schon nach einer Stunde ist der gekühlte und belüftete Behälter in Haberboschs Transporter voller quirliger Fische.Wenn der Fisch zu groß ist, lässt Haberbosch ihn gleich wieder ins Wasser: „Bei den Großen ist es wichtiger, dass man sie nur abschreckt, sodass sie von allein wegschwimmen. Die hätten im Zwischenlager mehr Stress als mit den Baggerschaufeln.“
Wann die Fische wieder in die Argen dürfen? Eben dann, wenn der naturnahe Umbau, die Renaturierung der Oberen Argen bei Wangen, abgeschlossen ist. Wenn die großen Bäume gesetzt, die Tiefen ausgehoben und das Ufer wieder mit natürlichen Buchten und Kerben versehen wurden. Dann, wenn es endlich wieder natürlich schön ist an der Wangener Argen, dann soll es auch gut genug für die Fische sein.