Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Mundart ist vom Aussterben bedroht
Immer weniger Grundschüler in Schwaben und Baden sprechen Dialekt
TÜBINGEN - Nur ein Drittel der Grundschüler in Baden-Württemberg spricht noch Dialekt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaften der Universität Tübingen. Doch wie Studienleiter Hubert Klausmann betont: Nur im besten Fall. Denn viele von ihnen würden nicht mehr so ausgeprägt Mundart sprechen wie noch ihre Eltern und Großeltern. Die unterhielten sich noch im Ortsdialekt – und den sprechen nach diesen Kriterien nur noch elf bis 15 Prozent der Kinder. Obwohl die Zahl der Sprecher aller Dialekte in Baden-Württemberg sinkt, steht das Schwäbische vergleichsweise gut dar.
Für die Untersuchung befragte die Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland unter Leitung Klausmanns 700 Lehrkräfte, die Informationen über fast 14 000 Schülerinnen und Schüler der ersten und zweiten Klasse lieferten. Und die Befragung hat gezeigt: Besonders im Landkreis Sigmaringen sprechen laut Befragung mehr als 40 Prozent der Kinder ihren Dialekt, gefolgt vom Ostalbkreis (31 Prozent) und Reutlingen (25 Prozent). Die Landkreise sind Spitzenreiter in BadenWürttemberg. Dicht dahinter folgen Alb-Donau-Kreis (21 Prozent), Ravensburg (19 Prozent) und Zollernalbkreis (19 Prozent). Erst an zehnter Stelle kommt mit Offenburg ein alemannisch geprägter Landkreis.
Dass die schwäbischen Landkreise so weit vorne zu finden sind, habe mehrere Gründe, sagt Sprachwissenschaftler Klausmann. Die Region habe einen hohen Identifikationswert, auch der schwäbische Dialekt lasse das zu. Der schwäbische Raum sei kompakt und gut einzugrenzen. Das Alemannische, oft auch als badisch bezeichnet, sei viel diffuser. Die Dialekte würden sich zwischen den einzelnen Gemeinden viel zu sehr unterscheiden. Dazu komme in Schwaben die verhältnismäßig große Entfernung zu Großstädten. Auch in Bayern sei zu beobachten, dass Dialekte besonders in ländlich geprägten Regionen gesprochen werden. Dort seien besonders Allgäu und Ries bei Nördlingen stärker dialektal geprägt.
Doch sei auch zu beachten, so Klausmann: „Den einfachen Gegensatz Dialekt – Hochdeutsch gibt es im süddeutschen Raum nicht mehr. Viele Kinder bewegen sich heute sprachlich auf verschiedenen Ebenen zwischen dem alten Ortsdialekt und dem, was man allgemein für Hochdeutsch hält.“Für Menschen in Süddeutschland sei das Hochdeutsche meist gleichzusetzen mit dem Norddeutschen. Das hänge auch mit der allgemeinen Einstellung zu Dialekten in Deutschland zusammen. Süddeutsche Wörter und Ausdrücke würden zu Unrecht oft als falsch angesehen. Über die Sprache werde sich auch des Öfteren lustig gemacht, sagt Klausmann. Indirekt könnten so auch Dialektsprecher diskriminiert werden – zum Beispiel wenn Lehrer von Schülern dialektfreies Deutsch verlangen würden. Sätze wie „Sag es nochmal schöner“seien in dem Zusammenhang keine Seltenheit.
Die Einstellung von Lehrkräften zum Dialekt beeinflusse stark, wie sehr die Kinder selbst in ihrer Mundart sprechen. Wenn die Lehrer bei dem Thema positiv eingestellt seien, erhöhe sich auch der Anteil der Kinder, die Dialekt sprechen. Doch während die Hälfte der baden-württembergischen Lehrkräfte Dialekte als schön bezeichnen, empfinden viele von ihnen diesen nicht als vorteilhaft und denken, dass die Kinder benachteiligt würden. Eine Umfrage in bayerischen Kindergärten habe gezeigt, dass Erzieher Dialekten positiver gegenüberstehen als in BadenWürttemberg und ihn auch selbst häufiger sprechen.
Das führe zwar dazu, dass in Bayern durchschnittlich mehr Dialekt gesprochen werde, sagt Klausmann: „Die sprachliche Entwicklung gehe jedoch in beiden Bundesländern eindeutig in Richtung Dialektverlust.“Er sieht die einzige Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, in der Aufklärung über das Thema. Das bedeute unter anderem, dass Lehrkräfte in ihrer Ausbildung bereits auf Dialekte sensibilisiert werden müssten. Es müsse gezeigt werden, dass sprachliche Variation etwas „Normales“sei, fordert der Wissenschaftler. Es müsse ein neues Konzept von Mehrsprachigkeit geschaffen werden, das Dialekt nicht benachteilige.
Dazu gehöre ein gesellschaftliches Umdenken. „In Deutschland haben wir oft keinen Willen, den Dialekt zu verstehen“, sagt Klausmann dazu. Für ihn ist wichtig, dass sich die Leute in Bezug auf Mundart mehr Mühe geben, diese anzuerkennen und zu verstehen. Denn sonst würden die Sprecher immer mehr das aufgeben, was sie als dialektal empfinden würden. Doch auch wenn sich durch Aufklärung das Verschwinden der Dialekte beeinflussen lasse, ob sie dadurch zu retten sind, kann Klausmann nicht sagen.
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