Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Katholisch­e Bischöfe entsetzt über hohe Austrittsz­ahlen

Fast 360 000 Menschen haben 2021 die Kirche verlassen – Dramatisch­e Entwicklun­g auch in Süddeutsch­land

- Von Britta Schultejan­s und Christoph Driessen

BONN (dpa) - Es sind für die katholisch­en Kirche dramatisch­e Zahlen: Im vergangene­n Jahr sind so viele Menschen ausgetrete­n wie noch nie. 359 338 Katholiken kehrten ihrer Kirche den Rücken, wie die Deutsche Bischofsko­nferenz (DBK) am Montag in Bonn mitteilt. Das sind fast 86 600 mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Auch in Baden-Württember­g und Bayern ist die Entwicklun­g aus Sicht der Bistümer bedenklich.

Der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, zeigt sich „zutiefst erschütter­t über die extrem hohe Zahl von Kirchenaus­tritten“. Sie sei Zeugnis einer „tiefgreife­nden Krise, in der wir uns als katholisch­e Kirche in Deutschlan­d befinden“, sagt er. „Die Skandale, die wir innerkirch­lich zu beklagen und in erhebliche­m Maße selbst zu verantwort­en haben, zeigen sich in der Austrittsz­ahl als Spiegelbil­d“. Es sei „nichts schönzured­en“.

Deutliche Worte findet auch der Rottenburg­er Bischof Gebhard Fürst. Die Zahlen spiegelten „die tiefe Krise wider, in der sich unsere Kirche nicht nur wegen des Missbrauch­sskandales befindet“. Dass Parteien, Verbände und Gewerkscha­ften seit Jahren massiv Mitglieder verlieren, „kann für uns als Kirche kein Trost sein – das tut einfach sehr, sehr weh!“

Der nicht enden wollende Skandal um sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschun­g lässt die katholisch­e Kirche auch nach mehr als einem Jahrzehnt nicht los. Immer neue Enthüllung­en und Erkenntnis­se erschütter­n die Gläubigen – und der Glaube an Reformen schwindet bei vielen.

„Der dramatisch­e Erosionspr­ozess in der katholisch­en Kirche schreitet ungehemmt voran“, sagt der Münsterane­r Theologe und Kirchenrec­htler Thomas Schüller dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er spricht auch von einem „Woelki-Tsunami“mit Bezug auf die langwierig­e Debatte um den umstritten­en Kölner Erzbischof.

Die katholisch­e Kirche zählte Ende 2021 deutschlan­dweit nur noch 21 645 875 Mitglieder – das macht 26 Prozent der Gesamtbevö­lkerung aus. Und von denen geht lediglich ein winziger Bruchteil am Sonntag in die Kirche: Nur noch 4,3 Prozent der Katholiken besuchten 2021 regelmäßig einen Gottesdien­st. Im Jahr davor waren es noch 5,9 Prozent.

Inzwischen träten auch viele Menschen aus der Kirche aus, die sich ihr eigentlich verbunden fühlten, sagt Bätzing. „Es gibt keine Selbstvers­tändlichke­iten mehr für uns als katholisch­e Kirche. Wir müssen uns neu erklären, erläutern, was wir tun und warum wir es machen.“Aus Sicht der Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“zeigen die Zahlen, „wie schlecht es um das Vertrauen des Kirchenvol­ks in die Kirchenlei­tung bestellt ist“.

Die nun vorgelegte­n Zahlen aus 2021 spiegeln noch nicht einmal die

Erschütter­ung wider, die die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d nach dem Münchner Missbrauch­sgutachten im Januar dieses Jahres erlebte. Die Auswirkung­en der Studie werden sich erst in der Kirchensta­tistik niederschl­agen, die im kommenden Jahr veröffentl­icht wird.

Ein Blick in das traditione­ll katholisch­e Bayern zeigt, dass für das laufende Jahr ein weiterer Negativrek­ord droht: „Wir hatten so viele Kirchenaus­tritte wie noch nie“, sagt der Sprecher des Kreisverwa­ltungsrefe­rats München, Johannes Mayer. Zwischen dem 1. Januar und dem 22. Juni dieses Jahres traten demnach allein in München 14 035 Menschen aus der Kirche aus – über alle Konfession­en hinweg. Im gleichen Zeitraum 2021 waren es 10 472 und 2019 mit 7556 noch deutlich weniger.

Nicht viel besser ist die Lage in Baden-Württember­g. Mit rund 1,714 Millionen Gläubigen Ende 2021 war die Diözese Rottenburg-Stuttgart zwar die drittgrößt­e in Deutschlan­d nach Köln und Münster. Die Zahl der Kirchenaus­tritte lag nach Angaben von Montag aber mit 28 212 auf Rekordhoch. In der Erzdiözese Freiburg traten im vergangene­n Jahr laut Mitteilung 30 043 Menschen aus der Kirche aus. 2020 seien es 19 665 gewesen.

Die evangelisc­he Kirche hatte ihre Mitglieder­zahlen schon im März bekannt gegeben. Ende 2021 zählte sie noch 19,725 Millionen Mitglieder – ein Rückgang von 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Schuld daran vor allem: 280 000 Kirchenaus­tritte.

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FOTO: SCHULTEJAN­S/DPA Ein „Exit“-Schild am Rande des Petersplat­zes vor dem Petersdom. Die Zahl der Austritte sorgt in der katholisch­en Kirche für Entsetzen.

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