Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Katholische Bischöfe entsetzt über hohe Austrittszahlen
Fast 360 000 Menschen haben 2021 die Kirche verlassen – Dramatische Entwicklung auch in Süddeutschland
BONN (dpa) - Es sind für die katholischen Kirche dramatische Zahlen: Im vergangenen Jahr sind so viele Menschen ausgetreten wie noch nie. 359 338 Katholiken kehrten ihrer Kirche den Rücken, wie die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Montag in Bonn mitteilt. Das sind fast 86 600 mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Auch in Baden-Württemberg und Bayern ist die Entwicklung aus Sicht der Bistümer bedenklich.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, zeigt sich „zutiefst erschüttert über die extrem hohe Zahl von Kirchenaustritten“. Sie sei Zeugnis einer „tiefgreifenden Krise, in der wir uns als katholische Kirche in Deutschland befinden“, sagt er. „Die Skandale, die wir innerkirchlich zu beklagen und in erheblichem Maße selbst zu verantworten haben, zeigen sich in der Austrittszahl als Spiegelbild“. Es sei „nichts schönzureden“.
Deutliche Worte findet auch der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst. Die Zahlen spiegelten „die tiefe Krise wider, in der sich unsere Kirche nicht nur wegen des Missbrauchsskandales befindet“. Dass Parteien, Verbände und Gewerkschaften seit Jahren massiv Mitglieder verlieren, „kann für uns als Kirche kein Trost sein – das tut einfach sehr, sehr weh!“
Der nicht enden wollende Skandal um sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung lässt die katholische Kirche auch nach mehr als einem Jahrzehnt nicht los. Immer neue Enthüllungen und Erkenntnisse erschüttern die Gläubigen – und der Glaube an Reformen schwindet bei vielen.
„Der dramatische Erosionsprozess in der katholischen Kirche schreitet ungehemmt voran“, sagt der Münsteraner Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er spricht auch von einem „Woelki-Tsunami“mit Bezug auf die langwierige Debatte um den umstrittenen Kölner Erzbischof.
Die katholische Kirche zählte Ende 2021 deutschlandweit nur noch 21 645 875 Mitglieder – das macht 26 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Und von denen geht lediglich ein winziger Bruchteil am Sonntag in die Kirche: Nur noch 4,3 Prozent der Katholiken besuchten 2021 regelmäßig einen Gottesdienst. Im Jahr davor waren es noch 5,9 Prozent.
Inzwischen träten auch viele Menschen aus der Kirche aus, die sich ihr eigentlich verbunden fühlten, sagt Bätzing. „Es gibt keine Selbstverständlichkeiten mehr für uns als katholische Kirche. Wir müssen uns neu erklären, erläutern, was wir tun und warum wir es machen.“Aus Sicht der Reformbewegung „Wir sind Kirche“zeigen die Zahlen, „wie schlecht es um das Vertrauen des Kirchenvolks in die Kirchenleitung bestellt ist“.
Die nun vorgelegten Zahlen aus 2021 spiegeln noch nicht einmal die
Erschütterung wider, die die katholische Kirche in Deutschland nach dem Münchner Missbrauchsgutachten im Januar dieses Jahres erlebte. Die Auswirkungen der Studie werden sich erst in der Kirchenstatistik niederschlagen, die im kommenden Jahr veröffentlicht wird.
Ein Blick in das traditionell katholische Bayern zeigt, dass für das laufende Jahr ein weiterer Negativrekord droht: „Wir hatten so viele Kirchenaustritte wie noch nie“, sagt der Sprecher des Kreisverwaltungsreferats München, Johannes Mayer. Zwischen dem 1. Januar und dem 22. Juni dieses Jahres traten demnach allein in München 14 035 Menschen aus der Kirche aus – über alle Konfessionen hinweg. Im gleichen Zeitraum 2021 waren es 10 472 und 2019 mit 7556 noch deutlich weniger.
Nicht viel besser ist die Lage in Baden-Württemberg. Mit rund 1,714 Millionen Gläubigen Ende 2021 war die Diözese Rottenburg-Stuttgart zwar die drittgrößte in Deutschland nach Köln und Münster. Die Zahl der Kirchenaustritte lag nach Angaben von Montag aber mit 28 212 auf Rekordhoch. In der Erzdiözese Freiburg traten im vergangenen Jahr laut Mitteilung 30 043 Menschen aus der Kirche aus. 2020 seien es 19 665 gewesen.
Die evangelische Kirche hatte ihre Mitgliederzahlen schon im März bekannt gegeben. Ende 2021 zählte sie noch 19,725 Millionen Mitglieder – ein Rückgang von 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Schuld daran vor allem: 280 000 Kirchenaustritte.