Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kein Grund zur Panik
Fünf Einblicke zeigen: Einzelhandel kommt bisher gegen die Inflation an
KREIS RAVENSBURG - Die Menschen achten wieder aufs Geld. Das merkt vor allem der deutsche Einzelhandel. Die Umsätze gingen in den vergangenen Monaten laut dem Statistischen Bundesamt zurück. Besonders heftig hat es Lebensmittelgeschäfte erwischt – aber auch die Geschäfte mit Langzeitprodukten wie Möbel und Mode seien betroffen. Der Hauptgrund ist die Inflation. Das sind jedoch Eindrücke aus ganz Deutschland, wie ist die Lage bei den Betrieben im Kreis Ravensburg? Fünf Einblicke zeigen: Es gibt genug Gründe für Optimismus. Doch es gibt auch Sorgen – nicht nur wegen der Inflation.
Bernhard Nattermann, Referent für Handel bei der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben
„Die Gemengelage ist Gift für den Konsum, es gibt aber keinen Grund zur Panik“, fasst Bernhard Nattermann die Situation zusammen. Die Städte der Region seien nach der vergangenen Corona-Welle wieder gut frequentiert – aber eher als sozialer Treffpunkt. Der Umsatz des Einzelhandels könne derzeit nicht mithalten.
Nattermann sorgt sich vor allem um Betriebe, die langfristige Produkte wie Möbel, Küchen oder Autos verkaufen. „Bei diesen Produkten überlegen die Menschen jetzt, ob sie sich das wirklich leisten können.“Den Umsatzeinbruch des Lebensmittelhandels, der bundesweit Schlagzeilen macht, stellt Nattermann in Relation. Supermarkt-Ketten hätten in den vergangenen Corona-Jahren enorme Zuwächse gehabt, weil mehr und hochwertiger gekocht wurde. Der Rückgang bei diesen Anbietern sei zwar real, sie würden aber von einem sehr hohen Niveau zurück auf das Vor-CoronaNiveau fallen. „Dafür haben die Discounter nun einen Nachfrageschub.“
Wichtig für den Einzelhandel seien nun die Urlauber und Tagesgäste, sagt Nattermann. Die hätten dem Einzelhandel bereits in den zwei Corona-Sommern die Bilanz aufgehübscht. „In Ravensburg können Touristen schon mal 30 bis 40 Prozent des Tagesumsatzes ausmachen.“Das passt. Denn neben einer Sparermentalität beobachtet Nattermann einen weiteren Trend: Die Menschen gönnen sich auch wieder etwas, beispielsweise Kurztrips und Urlaub.
Metin Wendland, Inhaber des Happyend Unverpacktladens in Leutkirch
Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik ist den Konsumenten der finanzielle Aspekt beim Einkauf mittlerweile wichtiger als die Nachhaltigkeit. Spüren das die Bioläden im Kreis? Nein, sagt Metin Wendland aus Leutkirch. Zwar seien seine Umsätze derzeit niedriger als sonst, das sei aber normal für diese Jahreszeit.
Biomärkte wie seiner hätten in den vergangenen Jahren einen festen Kundenstamm gewonnen, sagt Wendland – „die auch die Philosophie vertreten“.
Die würden den Märkten auch in Zukunft erhalten bleiben, da ist sich Wendland sicher. Es gebe jedoch auch diejenigen Kunden, die immer mal wieder Bio kaufen, um es auszuprobieren oder einfach um den lokalen Handel zu unterstützen. „Für diese Kunden gibt es nicht unbedingt einen tieferen Bezug zu Bio-Produkten“. Diese Gruppe wechselt nun wieder zu den größeren Ketten, da diese einfach andere Preise anbieten können mit konventioneller Ware. Wendland hofft, dass private Bioläden wie seiner noch lange Zukunft haben. „Weil da viel Herzblut drinsteckt und wir den ökologischen Ansatz brauchen.“
Thomas Reischmann, Geschäftsführer bei „Reischmann“in Ravensburg
„Wir verkaufen zwar mehr an die, die kommen. Aber insgesamt haben wir weniger Leute in den Geschäften“, fasst Thomas Reischman das bisherige Geschäftsjahr zusammen. Das liege aber nicht nur an den Preissteigerungen, auch das veränderte Konsumverhalten während der Pandemie spiele immer noch eine Rolle.
Wer denkt, dass Reischmann die schlechte Frequenz in den Läden durch seinen Onlinehandel wieder reinhole, der irrt.
Der Online-Umsatz ist laut Reischmann im bisherigen Jahr schwach, sogar schwächer als im Vor-Corona-Jahr 2019. Und das nicht nur in Betrieben wie seinem – auch große Händler wie Amazon und Zalando hätten derzeit Probleme, sagt Reischmann. „Das ist schon ein außergewöhnliches Phänomen.“Online sei der Grund für den Einbruch recht eindeutig: Dort lässt sich laut Reischmann tatsächlich die Verunsicherung der Konsumenten ablesen.„Aber das pendelt sich alles wieder ein“, sagt Reischmann. Eines habe er mittlerweile erkannt: Der Handel in der Region reagiere nicht besonders stark auf Krisen, aber auch nicht stark auf Hochphasen. „Das läuft eigentlich alles recht linear.“
Ingrid Wölflingseder, Inhaberin der „Wäschetruhe“in Bad Waldsee
„Die Stimmung bei den Händlern in Bad Waldsee ist sehr gut“, sagt Ingrid Wölflingseder und lenkt den Fokus auf die aus ihrer Sicht wirklich wichtigen Themen. Nicht die Preissteigerungen und die Sparer bereiten ihr Sorge, sondern die notwendige Stärkung der Waldseer Innenstadt und das Mitarbeiter-Problem.
Um die Attraktivität wird sich bereits durch das rund 7,2 Millionen Euro schwere Projekt „Altstadt für alle“gekümmert. „Das sind positive Nachrichten“, kommentiert Wölflingseder die vielen Umbauarbeiten in der Waldseer Altstadt.
Bleibt der Mitarbeitermangel. Gerade jetzt brauche es Fachpersonal, das guten Service leiste, sagt Wölflingseder.
Viele Mitarbeiter seien während den Corona-Jahren in die Industrie abgewandert. „Dadurch wird es schwieriger, die normalen Öffnungszeiten zu halten“, sagt Wölflingseder. „Und Kunden so zu bedienen, wie man es gerne hätte.“Und Nachwuchs finde sich kaum.
Sandra Möller, Geschäftsführerin von „Kaspar Interior“in Wangen
Die Kunden würden derzeit ganz unterschiedlich reagieren, sagt Sandra Möller zur derzeitigen Lage in ihrem Möbel- und Innenausstattungsladen. „Einige sind zurückhaltend, andere kaufen aber jetzt noch, weil sie befürchten, dass es noch teurer wird.“Am Umsatz spüre sie die Inflation zwar noch nicht, jedoch hätte die Laufkundschaft, die spontan einmal zugreift, etwas nachgelassen. Ihr bisheriges Geschäftsjahr dürfe man aber nicht auf die ganze Möbel-Branche übertragen.
Je nachdem, welche Kundengruppe angesprochen werde, schlage sich der Trend zum Sparen heftiger oder schwächer nieder. „Panik hilft uns jetzt nicht weiter. Wir bleiben optimistisch“, sagt Möller und stellt klar: „Wir dürfen aber nicht denken, dass an der aktuellen Gemengelage der Krieg oder Corona Schuld hat. Das Problem wurde schon viel früher durch falsche Geldpolitik ausgelöst.“