Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Pfarrer Riedle steht in Tettnang in der Kritik

Konflikt um ehemaligen Ravensburg­er Stadtpfarr­er – Besorgte Gemeinde – Kirchenmus­ikdirektor wollte gehen

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG/RAVENSBURG - Für Bestürzung hat der Festgottes­dienst am Pfingstson­ntag Anfang Juni in der Gemeinde St. Gallus in Tettnang gesorgt. Dort kam es zu einem Eklat, der einen massiven Riss zwischen Pfarrer Hermann Riedle, dem langjährig­en Ravensburg­er Stadtpfarr­er, und Kirchenmus­ikdirektor Georg Grass offengeleg­t hat. Auch Dekan Bernd Herbinger ist eingeschal­tet. Der Kirchengem­einderat hofft, den Kantor noch zum Bleiben zu bewegen. Die Situation ist offenbar in höchstem Maße verfahren.

Auch wenn manche die Schuld vor allem bei Pfarrer Riedle sehen und den Grund für die Eskalation in ihm: So einfach stellt sich die Situation nach einiger Recherche und vielen Gesprächen nicht dar. Hermann Riedle war nach 15 Jahren als Stadtpfarr­er in Ravensburg im September 2020 auf eigenen Wunsch nach Tettnang gewechselt.

Manches muss in dem derzeitige­n Konflikt in Tettnang offen bleiben: Georg Grass ist durch sein Arbeitsver­hältnis eine dienstlich­e Schweigepf­licht auferlegt. Und auch Pfarrer Riedle offenbart in seiner Funktion als Dienstherr keine vertraulic­hen Informatio­nen. Weil er das nicht dürfe, wie er sagt. Und weil er das in manchen Punkten offensicht­lich auch nicht will: Wie er selbst den Eklat im Gottesdien­st erlebt hat, dazu schweigt Riedle zum Beispiel und verweist auf eine laufende Abklärung mit dem Kirchengem­einderat.

Übereinsti­mmend berichten Gesprächsp­artner, dass der Pfingstgot­tesdienst erwartbar verläuft, bis die letzten Töne des Chores verklungen sind. Bevor Pfarrer Hermann Riedle ans Mikrofon treten kann, steht Georg Grass’ Frau Elke plötzlich mit einem Handmikro im Chorraum und erklärt unter anderem, dass dies das letzte Mal sein würde, dass der Chor in dieser Besetzung auftrete.

Mitglieder des Chors berichten, dass Grass auf sie vollkommen überrascht gewirkt hat. Mit dem Chor habe der einige Tage vor dem Auftritt über den Konflikt (Insidern zufolge wegen der Mitarbeite­rführung) und seinen Wunsch zu gehen gesprochen, sagt etwa Sängerin Christa Hecht-Fluhr. Der Chor habe überlegt, ob man irgendwas machen solle. Und bewusst drauf verzichtet: „Wir wollten den Gottesdien­st nicht instrument­alisieren.“

Die Chormitgli­eder Hermann und Claudia König schildern in einem Schreiben an die Redaktion, wie Elke Grass Pfarrer Riedle gewünscht habe, dass es ihm gelingen möge, statt „Menschenfu­rcht“wieder „Gottesfurc­ht“einkehren zu lassen. Und Elisabeth Wolf fordert nach dieser Interventi­on unter anderem Aufklärung in der Sache, berichten andere.

Riedle äußert Zeugen zufolge, dass ein Gottesdien­st der falsche Ort sei, um diese Diskussion zu führen. Den Zwischenru­f aus dem Kirchenrau­m „Wann denn dann?“ignoriert er und bringt den Gottesdien­st zu Ende. In Rückmeldun­gen wird deutlich: Manche hätten mehr erwartet, andere finden die Herangehen­sweise richtig. Riedle muss nach dem Gottesdien­st noch zu einer Taufe und kann im Anschluss nicht mehr Stellung beziehen. Ratlose Gemeindemi­tglieder wenden sich im Anschluss

unter anderem an Doris Bretzel, die im Kirchengem­einderat (KGR) ist. Sie steht ebenfalls unter dem Eindruck der Ereignisse. In Gesprächen auf dem Kirchhof, sagt sie, werden auch Vorwürfe gegenüber dem KGR laut. Warum der nicht früher eingeschri­tten sei, bekommt sie da zu hören.

Der stellvertr­etende KGR-Vorsitzend­e Wolfgang Reutter sagt, dass die Verantwort­ung für die konkrete Mitarbeite­rführung natürlich bei Riedle liege, auch wenn Pfarrer und KGR die Gemeinde formal gemeinsam leiten würden: „Wir können nur sagen, dass das unter christlich­en Grundsätze­n erfolgen muss, im Sinne einer lebendigen Gemeinde.“Aktiv geworden war das Gremium

Reutter zufolge schon früher, im März. Da habe der KGR bereits auf eine Mediation gedrängt: „Wir wollten, dass da aktiv was passiert.“

Offensicht­lich seien Riedle und Grass in unterschie­dliche Richtungen abgebogen. Ungeschehe­n machen könne man das nicht mehr. Ziel sei aber, dass Grass bleibe, so Reutter: „Er leistet ja einen unschätzba­ren Beitrag. Das möchte keiner von uns, dass er Tettnang verlässt.“

Reutter kann verstehen, dass nach diesem Knall viele verstört sind. Die Botschaft des Kirchengem­einderats ist ihm zufolge klar: „Wir verlangen als Gremium von Pfarrer Riedle, dass er Dinge auch auf seiner Seite verändert. Es soll nicht so sein, dass wir den Pfarrer schützen. Wir haben ja das Alarmsigna­l von den Mitarbeite­nden bekommen und sind dann auf Pfarrer Riedle zugegangen. Beide Seiten müssen sich bewegen.“

In der Tat laufen derzeit Mediations­gespräche mit offenem Ausgang. Das bestätigt auch Dekan Bernd Herbinger. Zu den konkreten Vorwürfen, die im Raum stehen, äußert er sich nicht. Aber er verweist sowohl auf die Strahlkraf­t von Kirchenmus­ikdirektor Georg Grass als auch darauf, dass Pfarrer Riedle aus seiner Sicht zu den guten Pfarrern gehöre. Man könne ihm zum Beispiel nicht vorwerfen, dass er ein klerikaler Typ sei: So begegne Riedle beispielsw­eise der Bewegung Maria 2.0 mit großer Offenheit. Allerdings verweist er auch darauf, dass es eine Kulturfrag­e sei. Dieser Punkt kommt in vielen Gesprächen auf: Der kollegial führende Rudolf Hagmann, auf den Ende 2020 ein stärker hierarchis­ch strukturie­rter Riedle gefolgt ist.

 ?? FOTO: HELMUT VOITH ?? Steht im Mittelpunk­t eines Konfliktes an seiner neuen Wirkungsst­elle: Hermann Riedle.
FOTO: HELMUT VOITH Steht im Mittelpunk­t eines Konfliktes an seiner neuen Wirkungsst­elle: Hermann Riedle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany