Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ausgangssperren sollen möglich werden
Kretschmann bleibt bei Forderung nach Grundlagen für umfängliche Corona-Maßnahmen
STUTTGART - Viel Eigenlob für das Corona-Management, Schluss mit kostenlosen Corona-Tests für alle: Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Sozialminister Manfred Lucha (beide Grüne) haben am Dienstag in Stuttgart einen Rückblick auf zweieinhalb Jahre Pandemie-Bewältigung präsentiert und auf den Herbst vorausgeschaut. Was war, was ist, was wird sein? Ein Überblick.
Wie hart trifft die Pandemie den Südwesten?
Die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 sind laut Lucha inzwischen für die Hälfte der Neuansteckungen verantwortlich. Die Sieben-Tage-Inzidenz im Land liege bei 508,8 und damit niedriger als der Bundesdurchschnitt. „Wir befinden uns im Moment am Beginn einer Sommerwelle“, so Lucha. Sein Haus rechne mit steigenden Infektionen in den kommenden vier bis fünf Wochen, allerdings werde es wohl einen geringeren Anteil an schweren Verläufen oder gar Todesfällen geben. Kommende Woche werde an einem Stichtag erhoben, wie viele Menschen mit und wie viele wegen Corona ins Krankenhaus kommen. Anfang Mai waren es zuletzt 56 respektive 44 Prozent. Lucha verweist auf Portugal, wo die beiden Omikron-Subtypen schon länger kursieren. Niemand mit vier Impfungen sei dort gestorben, sagte der Gesundheitsminister.
Wie geht’s mit dem Impfen weiter? Lucha will niedergelassenen Ärzten, Apothekern und Tierärzten den Vortritt lassen. Nur bei großem Bedarf sollen Impfstützpunkte helfen. Noch gebe es vom Bund keine Klarheit, wer wann eine vierte Impfung bekommen soll. „Wir haben die Infrastruktur stehen lassen“, so Lucha. Diese könne wieder reaktiviert werden. Sein Haus rechnet mit einer steigenden Nachfrage, sobald ein Vakzin vorliegt, das besonders gut gegen Omikron wirkt.
Wer darf sich kostenlos testen? Am kommenden Freitag, dem 1. Juli, ist Schluss mit den kostenlosen Bürgertests für alle. Dann läuft die Bundestestverordnung aus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant künftig eine Selbstbeteiligung von drei Euro für alle, die einen Testgrund haben – weil sie etwa auf ein Konzert oder eine große Feier gehen, ältere Menschen treffen oder die Corona-Warnapp nach einem Risikokontakt rot anschlägt. Kostenfrei bleiben soll das Testen für Kinder bis fünf Jahre, Schwangere in den ersten drei Monaten, Besucher und Patienten in Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern und Menschen, die mit Infizierten zusammenleben oder sich nicht impfen lassen können.
Auf wen nichts davon zutrifft, soll mehr als drei Euro für einen Test zahlen. Und wenn jemand nur behauptet, einen alten Menschen im Heim zu besuchen? Diese Missbrauchsgefahr einzudämmen sei nicht Aufgabe des Landes, sondern des Bundes, betont Lucha. Klar sei: Das Land werde die drei Euro nicht übernehmen. „Wir können das als Land nicht schultern“, so Lucha. Kein Land wolle das. „Wir wollen keine anlasslosen Testungen, sondern anlassbezogene.“Die geplante Selbstbeteiligung sei ein Kompromiss mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der die Milliardenkosten für die Bürgertests eindämmen will. Dass Lauterbach die Regelungen noch nicht vorgelegt hat, kommentiert Lucha gelassen. „Er hat ja noch zwei Tage Zeit.“
Welche Schutzmaßnahmen wird es im Herbst geben?
Für mehr Klarheit wollten die Gesundheitsminister aus Bund und Ländern eigentlich bei ihrer Konferenz vergangene Woche sorgen. Nun treffen sie sich am Freitag erneut, wenn ein Sachverständigenausschuss sein Gutachten dazu vorstellt, welche Schutzmaßnahmen wie gut gewirkt haben. Kretschmann wiederholte am Dienstag seine Forderung nach allen Einschränkungen, die früher zur Verfügung standen. „Ich habe keine autoritären Gelüste und ich bin nicht ein Fan von Ausgangssperren, sondern ich bin ein Fan davon, dass wir einen umfänglichen Instrumentenkasten haben und diese Instrumente adäquat einsetzen“, betont er. Auch die Kollateralschäden nehme seine Regierung in den Blick. „Ich hoffe, dass wir zu ähnlich scharfen Instrumenten kommen, dass wir sie aber nicht mehr anwenden müssen.“Die FDP, die auch in der Ampel im Bund auf die Bremse tritt, kritisierte den Regierungschef. „Es mutet geradezu skurril an, wenn Ministerpräsident Kretschmann von sich selbst behauptet, er sei kein Fan von Ausgangssperren, im selben Atemzug aber fordert, sein CoronaInstrumentenkasten müsse auch Ausgangsbeschränkungen beinhalten“, teilte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mit. „Gott sei Dank entscheidet das nicht er, sondern die Ampelkoalition im Bund, bei der die FDP ein gewaltiges Wörtchen mitredet.“
Was sagt die Landesregierung zum eigenen Corona-Management der vergangenen Jahre?
Lucha stellt sich wenig überraschend ein gutes Zeugnis aus. „Das muss man mit ein bisschen Distanz sehen, dass wir eine sehr ordentliche Arbeit in einer Zeit gemacht haben, für die es keine Blaupause gab“, sagt er. „Das war schon höchst beeindruckend“, betont Kretschmann. Ein paar Zahlen aus der bisherigen, selbst aufgestellten Bilanz: Laut Lucha hat sein Ministerium für das Land 62 Corona-Verordnungen erlassen und war an der Entstehung von 227 weiteren für spezielle Ressorts beteiligt. 603-mal musste das Sozialministerium Regelungen in Normenkontrollverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof des Landes sowie 88 weitere in anderen Verfahren verteidigen – Erfolgsquote: 97 Prozent. Die staatlichen Stützpunkte haben 10,6 Millionen Impfungen durchgeführt. Kostenpunkt bis zum Ende der Impfkampagne des Landes am 30. September: 1,38 Milliarden Euro – wovon die Hälfte der Bund trägt. Luchas Haus hat 310 Millionen Stück an Schutzausrüstung und 200 Millionen Tests für Schulen und Kitas beschafft.