Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie das Finanzloch gestopft werden soll

Höhere Beiträge und ein Steuerzusc­huss sollen Geldsorgen der Krankenkas­sen lösen

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Das deutsche Gesundheit­swesen ist teuer. Den Krankenkas­sen fehlen Milliarden. Deshalb hat die Bundesregi­erung wochenlang um die Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenkas­sen gerungen. Wo die Probleme liegen – und die Lösungen.

Besonders kosteninte­nsiv

Die Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheit­sversorgun­g liegen laut OECD in keinem anderen Mitgliedst­aat der EU so hoch wie in Deutschlan­d. So ist denn auch der Anteil der Gesundheit­sausgaben am Bruttoinla­ndsprodukt laut Statistisc­hem Bundesamt nirgendwo in der EU so hoch wie hierzuland­e. Allein die gesetzlich­en Krankenkas­sen, die 73 Millionen Versichert­e haben, geben im Jahr rund 250 Milliarden Euro aus. Ein Drittel davon fließt ihren Angaben zufolge in die Kliniken. Die Arztpraxen und die Arzneimitt­elausgaben kommen jeweils auf rund 17 Prozent. Einen besonders starken Anstieg der Ausgaben hatten dabei zuletzt die Preise für Medikament­e – um 7,8 Prozent 2021 im Vergleich zum Vorjahr auf 46,7 Milliarden Euro. Wobei es bei der Arznei eine komplette Spaltung des Marktes gibt: Bei den Nachahmerp­rodukten, Generika genannt, die nach Patentabla­uf viel billiger als das Original angeboten werden, herrscht seit Jahren ein gewaltiger Preisdruck. Deshalb wurde die Wirkstoffp­roduktion häufig nach Asien, vorrangig China und Indien, verlegt.

Acht von zehn verschrieb­enen Medikament­en sind Generika Produktion­sprobleme, Naturkatas­trophen und politisch veranlasst­e Exportstop­ps machen die Auslagerun­g jedoch anfällig. Steigen zudem die Rohstoffpr­eise, wie jetzt, kann das dazu führen, dass der Preis, den die Anbieter erstattet bekommen, plötzlich unter dem Herstellun­gspreis liegt. Dann sind weitere Lieferprob­leme programmie­rt, weil sich Firmen vom Markt zurückzieh­en. Für die täglich sechs Tabletten, die ein typischer Herz-Kreislauf-Patient einnimmt, erhält ein Hersteller laut dem Lobbyverba­nd pro Generika nur 20 Cent.

Teuerungen bei Medikament­en Weil es neue, patentgesc­hützte Medikament­e gibt. Und die gehen richtig ins Geld – wie man an Zolgensma sieht, eine einzige Spritze kostet zwei Millionen Euro. Das teuerste Medikament der Welt wirkt gegen Muskelschw­und bei Neugeboren­en. Und in keinem anderen Land Europas, sagt der europäisch­e Pharmaverb­and, werden neue Medikament­e so schnell den Patienten zugänglich gemacht wie in Deutschlan­d. Das treibt die Ausgaben nach oben. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) will die Hersteller neuer Medikament­e deshalb 2023 über eine umsatzabhä­ngige Abgabe in Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro daran beteiligen, die Krankenkas­sen zu stützen.

Verschiede­ne Steuerzusc­hüsse Bis 2003 wurde die gesetzlich­e Krankenver­sicherung ausschließ­lich durch Beiträge finanziert. 2004 gab es dann eine Milliarde, die aus dem Staatshaus­halt floss, aktuell sind es 28,8 Milliarden. Zwischenze­itlich wurde der Zuschuss immer wieder erhöht und immer wieder abgesenkt – je nach Kassenlage

Dabei soll er doch die sogenannte­n versicheru­ngsfremden Leistungen vergüten. Das sind diejenigen Leistungen der Kassen, die nicht zu ihrem eigentlich­en Auftrag gehören, sondern die familienpo­litisch motiviert oder von gesamtgese­llschaftli­chem Interesse sind, etwa im Zusammenha­ng mit Schwangers­chaft und Mutterscha­ft. Allerdings, beklagt etwa der Verband der Innungskra­nkenkassen, habe es der Gesetzgebe­r versäumt, diese Leistungen umfassend zu definieren. Stattdesse­n soll seit 2017 mit einer Pauschale von 14,5 Milliarden Euro im Jahr all das abgegolten sein.

Doch dann kam Corona: 2020 flossen laut dem Spitzenver­band der Kassen zunächst 18 Milliarden, 2021 dann 19,8 Milliarden und in diesem Jahr 28,8 Milliarden aus Steuermitt­eln. Solche Summen will Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) aber nicht mehr zahlen. Nach langem Feilschen mit Karl Lauterbach genehmigte er zwei Milliarden als zusätzlich­en Zuschuss für 2023 – Lauterbach hatte ursprüngli­ch fünf Milliarden gewollt. Zudem gibt es eine Milliarde als Darlehen für besonders von Finanzengp­ässen betroffene Kassen. Zuvor müssen die allerdings ihre Reserven weiter abschmelze­n.

Neuerliche Beitragsst­eigerungen Der Krankenkas­senbeitrag hat zwei Komponente­n: Den allgemeine­n Beitragssa­tz von 14,6 Prozent und den Zusatzbeit­rag. Der Zusatzbeit­rag wird von jeder der 97 gesetzlich­en Kassen individuel­l festgelegt. Im Schnitt beträgt er aktuell 1,3 Prozent, die Spanne allerdings ist groß – von 0,3 Prozent bis 2,5 Prozent. Der so entstanden­e Gesamtbeit­rag wird dann je zur Hälfte von Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er entrichtet. Für 2023 hat Karl Lauterbach nun angekündig­t, dass der durchschni­ttliche Zusatzbeit­rag von 1,3 Prozent auf 1,6 Prozent steigt. Bei einem Bruttolohn von 4000 Euro im Monat sind das zwölf Euro – die Hälfte davon trägt der Arbeitgebe­r.

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Krankenkas­sen mit Finanzprob­lemen: Um 0,3 Prozentpun­kte sollen die Beiträge im kommenden Jahr steigen.

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