Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Streit um die Zukunft des Verbrenners
EU ringt um ein mögliches Verkaufsverbot – Deutschland fordert die Zulassung von synthetischen Kraftstoffen
BRÜSSEL/STRASSBURG (dpa) - Geht es nach dem Willen des EU-Parlaments, dürfen Hersteller aus Klimaschutzgründen von 2035 an keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkaufen. Einem Verbot müssten noch die EU-Länder zustimmen, bevor es in Kraft treten kann. Die Umweltminister der EU haben sich dazu am Dienstag in Luxemburg getroffen, wie die Abstimmung ausgegangen ist, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
Steht das Ergebnis schon mehr oder weniger fest?
Nein. Vor wenigen Wochen gingen die meisten Beobachter des Brüsseler Politikbetriebs davon aus, dass auch die EU-Staaten ein VerbrennerAus befürworten. Dann gab es in der Bundesregierung überraschend Streit über die deutsche Position. Während es im März noch hieß, ein De-facto-Verkaufsverbot für neue Verbrenner werde von der Ampel unterstützt, forderte die FDP Änderungen an dem Vorhaben.
Mit welcher Position ist Deutschland in die Gespräche gegangen? Erst während der Verhandlungen in Luxemburg hat sich die Bundesregierung am Dienstagnachmittag auf eine gemeinsame Position geeinigt. Wie ein Regierungssprecher mitteilte, unterstützt die Bundesregierung einen sich abzeichnenden Vorschlag des Rates zu den Flottengrenzwerten als „Beitrag auf dem Weg zu einer klimaneutralen Mobilität“. Die Bundesregierung begrüße, dass die Kommission zugesagt habe, außerhalb des Systems der Flottengrenzwerte einen Vorschlag zu unterbreiten, wie nach 2035 Fahrzeuge zugelassen werden könnten, die dann „exklusiv“mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels) betrieben werden. Das beziehe sich nach dem gemeinsamen Verständnis der Bundesregierung auch auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.
Kann Deutschland die Position der EU-Länder alleine festlegen? Natürlich nicht, aber viele Länder achten darauf, wie sich Deutschland verhält. „Es ist wahrscheinlich, dass andere folgen werden, wenn Berlin nicht für ein Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotor stimmt“, sagte ein EU-Diplomat.
Was passiert, wenn sich der EURat gegen ein Verbrenner-Aus stellt? Dann ist es noch nicht vom Tisch. Die EU-Staaten müssen sich mit dem
EU-Parlament einigen. Da sich das Parlament bereits für ein Aus von neuen Verbrennern ab 2035 ausgesprochen hat, ist es immer noch möglich, dass sich die Parlamentarier mit dieser Forderung durchsetzen. Anders sieht es aus, wenn die EU-Staaten sich für ein Verbrenner-Aus entscheiden. Da die beiden Positionen in dieser Frage dann bereits sehr nah beieinanderliegen, wäre es extrem unwahrscheinlich, dass sich daran noch etwas ändert.
Kann ich nach 2035 noch mit meinem Verbrennerauto fahren, sollte das Verbot kommen?
Ja. Verboten würde nur der Verkauf von Neuwagen. Konkret werden in dem Gesetzesvorhaben die sogenannten Flottengrenzwerte geregelt. Das sind Vorgaben für die Hersteller, wie viel CO2 ihre produzierten Autos und Transporter im Betrieb ausstoßen dürfen. Dieser Wert soll bis 2035 auf null gesenkt werden. Wird ein Auto mit Benzin oder Diesel betrieben, stößt es CO2 aus. Bei den synthetischen Kraftstoffen geht es um die Frage, ob die Autos CO2-frei oder CO2-neutral sein sollen. Denn Fahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen stoßen sehr wohl CO2 aus, der ist jedoch nicht in fossilen Brennstoffen gebunden, sondern wird aus der Luft genommen und mit Wasserstoff versetzt. Es wird also kein gebundenes CO2 zusätzlich in die Atnmosphäre gegeben.
Wie reagieren die Autobauer auf die Diskussion?
Die Autoindustrie reagierte gemischt auf den Vorschlag. „Es kann kommen – wir sind am besten vorbereitet“, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess. Der Manager verwies auf die bereits angebotenen und noch geplanten
Elektromodelle. Audi als Teil des VW-Konzerns plant sogar, in wenigen Jahren keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zu verkaufen. Mercedes-Benz sieht sich bis 2030 bereit, „überall dort vollelektrisch zu werden, wo es die Marktbedingungen zulassen“. Der Verband der Automobilindustrie (VDA), der auch die Zulieferer vertritt, äußerte sich hingegen skeptischer. Noch gebe es in weiten Teilen Europas keine ausreichende Ladeinfrastruktur für E-Autos.
Welche Länder wollten schon vor dem EU-Parlamentsbeschluss aus Verbrennungsmotoren aussteigen? In manchen Ländern gibt es bereits ein Ausstiegsdatum: Norwegen zum Beispiel will ab 2025 keine Verkäufe von Fahrzeugen mit klassischen Benzineroder Dieselantrieben mehr zulassen. Großbritannien, Schweden, Dänemark, die Niederlande und Belgien peilten dafür zuletzt das Jahr 2030 an, Frankreich wollte spätestens 2040 nachlegen. Sogar das riesige Schwellenland Indien will mittelfristig aus der herkömmlichen Antriebstechnik aussteigen.
Was stand bei dem Ministertreffen noch auf der Tagesordnung? Neben der Abstimmung über das Defacto-Verbot für neue Autos und Transporter mit Verbrennungsmotor ab 2035 versuchen sich die Spitzenpolitiker auf eine gemeinsame Haltung zur Reform des EU-Emissionshandels und zu einem milliardenschweren Klimasozialfonds zu einigen. Beim Emissionshandel (ETS) müssen bestimmte Industrien für den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie CO2 bezahlen. Durch den Klimasozialfonds sollen Bürgerinnen und Bürger entlastet werden, da durch mehr Klimaschutz auch höhere Kosten für Verbraucher erwartet werden.