Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Landleben in Deutschland wird immer beliebter
Dörfer und dünn besiedelte Landkreise gewinnen bundesweit an Attraktivität – Den Bevölkerungsrückgang hält der Zuzug vielerorts dennoch nicht auf
BERLIN (KNA) - Die Lust der Deutschen auf ein Leben jenseits von urbanen Zentren oder Großstädten hat in den vergangenen zehn Jahren zugenommen. Nachdem ländliche Regionen zuletzt vor allem mit Abwanderung in die Metropolen zu kämpfen hatten, verzeichnen mittlerweile auch Kleinstädte und Landgemeinden mehr Zuzüge als Wegzüge, heißt es in der am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie „Landlust neu vermessen“des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sowie der Wüstenrot-Stiftung.
Demnach zieht es vor allem junge Familien mit Eltern der Altersgruppe 30 bis 49 aufs Land. Auch sogenannte Berufswanderer zwischen 25- und 29-Jahren lassen sich zunehmend in Dörfern und Kleinstädten nieder. Dagegen verlassen junge Bildungswanderer zwischen 18 und 24 Jahren weiterhin in großer Zahl den ländlichen Raum. Sie zögen vor allem in Großstädte wie Leipzig, Münster oder Berlin, wo Universitäten und andere Ausbildungsmöglichkeiten bestehen. Nach den vorliegenden Daten zeichne sich dieser Trend bereits seit 2017 ab, sagte Frederick Sixtus vom Berlin-Institut. Die CoronaPandemie
habe diese Entwicklung verstärkt.
Für die Analyse wurden den Angaben zufolge die durchschnittlichen jährlichen Gesamtwanderungssalden pro Tausend Einwohner der Jahre 2008 bis 2010 mit jenen der Jahre 2018 bis 2020 verglichen. Danach erzielten deutschlandweit zuletzt 63,2 Prozent aller Landgemeinden Wanderungsgewinne. Ein Jahrzehnt zuvor habe das nur für 27,7 Prozent der Landgemeinden zugetroffen.
Während etwa im Zeitraum 2008 bis 2010 kleine Landgemeinden laut der Studie 3,8 pro Tausend Einwohner verloren, sei zehn Jahre später ein Wanderungsgewinn von 4,2 pro
Tausend Bewohner gemessen worden. Bei kleinen Kleinstädten habe es zunächst ein Minus von 2,3 und zuletzt ein Plus von 5,0 gegeben. Bei Großstädten habe sich das Wanderungsplus dagegen von 3,2 pro Tausend Einwohnern vor zehn Jahren auf zuletzt 2,5 verringert. Als Gründe für das wachsende Interesse am
Landleben in Deutschland werden das zunehmend teurer werdende Leben in den Großstädten und die veränderte Arbeitswelt durch die Digitalisierung genannt. „Wenn die tägliche Fahrt zur Arbeit entfällt, wird für mehr Menschen ein Leben fernab der Großstädte denkbar“, erklärten die Studienautoren. Voraussetzung sei allerdings eine sehr gute Internetverbindung auch in ländlichen Regionen.
Doch die neue Lust aufs Land hat die Probleme der ländlichen Regionen nicht gelöst, weil die Bevölkerung in kleinen Städten und Landgemeinden weiter schrumpft. „Der Grund hierfür ist, dass die Wanderungsgewinne vielerorts nicht ausreichen, um die natürliche Bevölkerungsentwicklung – also die Differenz aus Geburten und Sterbefällen – auszugleichen“, heißt es in der Studie. Aus solchen Regionen seien in der Vergangenheit bereits viele vor allem junge Menschen weggezogen, und der Altersdurchschnitt der Bevölkerung sei sehr hoch. Mittlerweile bestimme das natürliche Bevölkerungswachstum – es sterben mehr Menschen, als Kindern auf die Welt kommen – die Bevölkerungsentwicklung mehr als das Wanderungsgeschehen.