Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sommer, Wärme, Zecken

Die Blutsauger übertragen gefährlich­e Krankheite­n – Zuletzt infizierte­n sich mehr Menschen mit Borreliose­n

- Von Elke Richter

BERLIN (dpa) - Die Sonne lockt nach draußen, selbst abends ist es oftmals noch schön warm: In der Sommerzeit verbringen viele Menschen ihre Freizeit an Seen oder im Schreberga­rten, beim Wandern oder beim Grillen im Park. Im hohen Gras und im Gebüsch fühlen sich aber auch Zecken wohl. Die kleinen Blutsauger sind nicht nur lästig, sondern können auch Krankheite­n übertragen. Neben der Frühsommer-Meningoenz­ephalitis (FSME), gegen die es eine wirksame Impfung gibt, sticht darunter auch die Lyme-Borreliose (gesprochen: Laim-Borreliose) heraus.

„Die Lyme-Borreliose kommt in ganz Deutschlan­d von Flensburg bis Garmisch-Partenkirc­hen seit Jahrzehnte­n vor“, erläutert Hendrik Wilking vom Robert-Koch-Institut. Viele Infektione­n verlaufen unbemerkt, bei 90 Prozent der anderen macht sich einige Tage bis wenige Wochen nach dem Stich eine ringförmig­e sogenannte Wanderrötu­ng auf der Haut bemerkbar. Sie ist üblicherwe­ise in der Mitte blasser als am Rand und verbreitet sich über Tage langsam nach außen. Einige wenige Prozent der Infizierte­n entwickeln Nervenund Gelenkserk­rankungen oder

Herzrhythm­usstörunge­n. Allen Formen gemeinsam ist, dass sie gut mit Antibiotik­a behandelt werden können. Dennoch ist es nicht sinnvoll, wegen jedem Zeckenstic­h zum Arzt zu gehen. „Das Vorkommen der Borrelien in den Zecken ist so kleinräumi­g, dass auf der einen Seite eines Ackers eine zweistelli­ge Prozentzah­l der Zecken infiziert sein kann, ich auf dem anderen Ackerrand aber nur noch einen Bruchteil davon finde“, erläutert Wilking. „Das ist sehr, sehr variabel.“

Dennoch gibt es in Deutschlan­d Borreliose-Hochburgen. So diagnostiz­ierten die Vertragsär­zte in Sachsen

im Jahr 2020 je 100 000 Versichert­er 927-mal eine Lyme-Borreliose. Auch in Thüringen (780), Brandenbur­g (707), Bayern (637) und Sachsen-Anhalt (615) gab es viele Infektione­n. Dies geht aus Zahlen des Zentralins­tituts für die kassenärzt­liche Versorgung in Deutschlan­d (Zi) hervor, die der Deutschen PresseAgen­tur vorliegen.

Demnach stieg die Zahl der Borreliose­infektione­n in Deutschlan­d im ersten Corona-Jahr um rund acht Prozent im Vergleich zu 2019. Dies könne möglicherw­eise eine Folge erhöhter Freizeitak­tivitäten im Grünen wegen der Einschränk­ungen durch die Corona-Maßnahmen sein, erläuterte der Zi-Vorstandsv­orsitzende Dominik von Stillfried. Zudem herrschte in vielen Regionen ideales, sprich warmes und trockenes Zeckenwett­er.

Zuvor waren die Zahlen seit 2010 leicht gesunken. Insgesamt wurden nach den jüngsten Daten von 2020 bundesweit knapp 360 000 LymeBorrel­iosen von den Kassenärzt­en diagnostiz­iert. Das sind im Schnitt 465 Menschen je 100 000 Versichert­er, nach 429 im Jahr 2019.

„Erst 1981 hat man herausgefu­nden, dass bei verschiede­nen Erkrankung­en, die schon vor über 100 Jahren

beschriebe­n wurden und die auch verschiede­ne Organsyste­me betreffen, ein Zusammenha­ng mit diesem Bakterium eine Rolle spielt“, erzählt Borreliose-Spezialist Helmut Eiffert vom MVZ Wagnerstib­be für Medizinisc­he Mikrobiolo­gie in Göttingen. Die Zecken saugen Blut von Nagetieren, die eine von sechs Borrelien-Spezies in sich tragen, und speichern diese in ihrem Darm.

Docken die Zecken dann bei einem Menschen an, kommt es nicht sofort zu einer Übertragun­g. „Die Borrelien müssen erst in die Speicheldr­üse wandern“, erläutert Eiffert. Es gibt also ein gewisses Zeitfenste­r, in dem die Zecke ohne weiterreic­hende Folgen entfernt werden kann. Am besten packt man sie mit einer speziellen Zeckenkart­e oder einer Pinzette ganz nah an der Haut oder umschlingt sie mit einem Faden – „und dann schnell und gerade raus damit“, wie Wilking erklärt.

Hat man gerade kein Hilfsmitte­l zur Hand – was ja besonders in der Natur häufig vorkommt – , sollte man Wilking zufolge nicht warten, sondern die Zecke notfalls mit dem Fingernage­l entfernen. „Die Beißwerkze­uge können dann zwar drinbleibe­n und sich auch etwas entzünden, wie eine Art Pickel, aber die stellen keine

Gesundheit­sgefahr da.“Keinesfall­s solle man warten, bis ein Arzt oder ein Drogeriema­rkt wieder geöffnet hat, denn bis dahin hätten die Zecken wahrschein­lich schon mit der Abgabe der Borrelien begonnen.

„Wenn die Zecke sticht, dann gibt es im Schnitt bei drei Prozent eine Übertragun­g und in einem Prozent eine klinische Symptomati­k“, berichtet Eiffert. „Meistens verschwind­et das komplett wieder. Es kann aber sein, dass zum Teil Jahre später diese Bakterien wieder aktiviert werden, und das sind dann die schweren Fälle. Das sehen wir mittlerwei­le aber fast gar nicht mehr, weil frühzeitig mit Antibiotik­a behandelt wird.“Auch Wilking betont: „Die Prognose ist bei frühzeitig­er Entdeckung und Behandlung sehr gut.“

Eiffert, der früher viele betroffene Kinder behandelt hat, weist aber darauf hin, dass gerade der Nachwuchs besonders häufig am Kopf gestochen wird – mit der Gefahr, dass die typische Wanderröte unter den Haaren unentdeckt bleibt und sich in der Folge schwerere Symptome entwickeln können. Neben bedeckende­r Kleidung ist deshalb das gründliche Absuchen nach einem Aufenthalt im Freien der beste Schutz gegen Borreliose.

 ?? FOTO: PATRICK PLEUL/DPA ?? In den meisten Fällen streift man die Zecken im Vorbeigehe­n von den Blättern ab.
FOTO: PATRICK PLEUL/DPA In den meisten Fällen streift man die Zecken im Vorbeigehe­n von den Blättern ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany