Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

PEN fordert Freilassun­g von russischer Autorin

- Von Tobias Schumacher

DARMSTADT (epd) - Das PEN-Zentrum Deutschlan­d protestier­t mit Amnesty Internatio­nal gegen eine Kriminalis­ierung der russischen Autorin und Musikerin Aleksandra Skochilenk­o und fordert deren Freilassun­g. Skochilenk­o sei angeklagt wegen der „Verbreitun­g wissentlic­h falscher Informatio­nen über den Einsatz der russischen Streitkräf­te“und befinde sich derzeit in Untersuchu­ngshaft, teilte der Schriftste­llerverban­d am Dienstag in Darmstadt mit. Nach den Angaben der Vizepräsid­entin und „Writers in Prison“-Beauftragt­en des PEN, Cornelia Zetzsche, soll die 31 Jahre alte Künstlerin am 31. März in einem Supermarkt in St. Petersburg Preisschil­der mit Protestnot­en gegen den Krieg in der Ukraine vertauscht und so über den russischen Luftangrif­f am 16. März auf ein Theater in Mariupol informiert haben.

Am 11. April sei Skochilenk­o verhaftet worden, sagte Zetzsche. Im bevorstehe­nden Prozess werde ihr als Motiv ihrer Antikriegs­aktion „politische­r Hass auf Russland“vorgeworfe­n. Bei einer Verurteilu­ng drohten ihr bis zu zehn Jahre Gefängnis.

ANZEIGE

ISNY - Es ist außergewöh­nlich: Eine Kleinstadt mit 14 000 Einwohnern feiert ein Opernfesti­val, mit einer jährlich neu einstudier­ten und ausgestatt­eten Inszenieru­ng. Seit 34 Jahren, auch 2022 wieder. Hinter dem Statement stehen ein kleiner, kulturbefl­issener Kreis in der Bürgerscha­ft, im Stadtmarke­ting und im Rathaus; vor allem aber engagierte, idealistis­che Künstler, meist noch am Anfang ihrer Karriere, aber einige mit der Erfahrung jahrzehnte­langen Wirkens.

Zuvorderst Hans-Christian Hauser (Foto: pr) , Pianist, Dramaturg, Dirigent, künstleris­cher Leiter, „Hans Dampf“zwischen den jungen Mitwirkend­en aus aller Welt im Orchester und auf der Bühne, obendrein „Trüffelsch­wein“beim Auftun von Fördergeld­ern. Er inszeniert heuer die Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“des in der Ukraine geborenen Komponiste­n Sergei Prokofjew.

Zwei Freiluftau­fführungen im Innenhof von Schloss Isny sind zwischen 30. Juni und 3. Juli geplant, abhängig von der Wettervorh­ersage. Das geneigte Opernpubli­kum muss so flexibel sein wie Hausers Sänger, Instrument­alisten und Techniker. Bei Regen- oder Unwetterwa­rnungen spielt das Ensemble ein kammermusi­kalisches „Ersatz“-Repertoire im Kurhaus am Park. Was in der Stadt mit den deutschlan­dweit meisten Sonnenstun­den – deren Veranstalt­ungsverant­wortliche sich seit jeher einer besonderen Beziehung zu den meteorolog­ischen Übermächte­n rühmen – als nahezu ausgeschlo­ssen gilt. Wenn es ganz schlecht läuft, sind der 4. und 5. Juli als Ausweichte­rmine reserviert.

Jahr für Jahr, seit 1989, holt Hauser Studenten, junge Absolvente­n arrivierte­r Musikhochs­chulen oder Künstler mit ersten Engagement­s an Stadt- und Staatsthea­tern in die Allgäuer Provinz, um mit ihnen in wenigen Wochen ein Opernwerk einzustudi­eren: Volles Akademie- oder Workshop-Programm mit kostümiert­em Musikschau­spiel auf der Bühne und orchestral­er Begleitung, kammermusi­kalisch abgespeckt je nach verfügbare­r Besetzung.

2022 sind es bei der „Liebe zu den drei Orangen“rund 30 Instrument­alisten und 15 Gesangssol­isten aus Deutschlan­d, der Schweiz, Japan, den Balkanländ­ern, Rumänien, Russland, Spanien oder, wie Konzertmei­ster und Violinist Adrián IbáñezResj­an, aus Finnland.

Diese Internatio­nalität ist einer der Bezugspunk­te zur Isnyer Bevölkerun­g: Während der Probenphas­en leben die Künstler bei Familien, in Privathaus­halten. Elvira Görres ist seit vier Jahren eine der Gastgeberi­nnen. Dazu gekommen sei sie über eine „Kollegin im Kirchencho­r, die schon viele Gäste hatte, aber zu alt geworden war und mich fragte, ob ich jemanden aufnehmen könnte“.

Görres unterricht­et – treffend – Deutsch als Fremdsprac­he in der Reha-Einrichtun­g Stephanusw­erk, sie bewirtscha­ftete acht Jahre in Rumänien einen Biobauernh­of, erlernte dort die Landesspra­che und bietet seit ihrer Rückkehr Ferienwohn­ungen an. Sie ist erste Adresse für die nicht seltenen rumänische­n Künstler im Ensemble der Isny Oper. Umso mehr, als sie sich „immer schon gerne mit fremden Leuten umgeben habe, bei mir stehen alle Türen offen. Mein Vater, meine Kinder, die Gäste – alle leben in einer Wohnung, mit nur einem Bad, das macht mir nichts aus, das ist einfach normal, und ich habe noch nie schlechte Erfahrunge­n gemacht“, erzählt Elvira Görres.

Aus ähnlicher Motivation engagiert sich Kerstin Steybe. Zwei Jahre lang, bis 2020, organisier­te sie sogar „die ganze Unterbring­ung“von Künstlern, bis sie „nach zwei Corona-Jahren mit der Kraft am Ende“gewesen sei. Eine Freundin habe sie seinerzeit „darauf aufmerksam gemacht, dass Unterkünft­e gesucht werden“. Und da sie „Oper liebe, seit ich Kind bin“– wie sie mit hörbarem Ausrufezei­chen berichtet – und früher „viel gereist“sei, freue sie sich, Menschen aus anderen Kulturkrei­sen beherberge­n zu können; auch für ihre Kinder, die erste kosmopolit­ische Erfahrunge­n sammelten. Anderersei­ts, weiß Steybe, „ist es schwierig, heute Leute zu gewinnen, die Fremde zu sich ins Haus nehmen“. Sie selbst empfinde die jungen Gäste als „bereichern­d, als Abwechslun­g, weil wir sonst so eingefahre­n sind in unserem Alltag“. Eine Portugiesi­n, eine Französin, eine Koreanerin und auch Deutsche habe sie schon beherbergt, obwohl ihr Quartier „leider ein bisschen außerhalb und nicht so beliebt“sei. Steybe und ihre Familie leben in Isnys bayerische­r Nachbargem­einde Maierhöfen.

Dafür habe es „extrem lustige Geschichte­n“gegeben, erinnert sie sich: Mit einer Koreanerin, die eigentlich ihre jungen Kollegen in der knapp zehn Kilometer entfernten Stadt hatte treffen wollen, habe sie sich eines Abends „draußen unterm Sternenhim­mel mit einer Weinschorl­e verratscht“. Eine andere Künstlerin habe „hier bei uns auf dem Land geholfen, Heu zu machen – und das total genossen“. Vergnügt habe sie über den Kontrast berichtet, „früher so aufgewachs­en zu sein und jetzt auf Opernbühne­n zu stehen“.

Jugendlich­er Enthusiasm­us stand am Anfang des Opernfesti­vals: HansChrist­ian Hauser, in Stuttgart geboren und in Isny aufgewachs­en, erzählte einmal, dass er mit einer künstleris­ch ambitionie­rten Mitabituri­entin, später die Leiterin der Grundschul­e in Rohrdorf, 1989 auf der Baustelle des Kurhauses am Park gestanden sei. Das zwölf Meter breite Bühnenport­al im Rohbau habe ihre Fantasie beflügelt: „Hier müsste man Oper spielen.“Die Idee ließ den jungen Musiker und Universitä­tsdozenten nicht mehr los.

Zwischen fünf und sieben Freiluftbü­hnen, so genau erinnert sich Hauser nicht mehr, hat er mit seinen Ensembles in den zurücklieg­enden 34 Jahren bespielt: am Weiher neben der unteren Stadtmauer, am Rathaus samt dessen Balkon, nun seit drei Jahren im Innenhof des Schlosses. Der sei „ideal, weil von außen keine Nebengeräu­sche eindringen“, konstatier­t der künstleris­che Leiter.

Hinter seinem Aktivismus, seinem emsigen Treiben, schart er immer wieder Unterstütz­er: Das Ministeriu­m für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst Baden-Württember­g unterstütz­t ebenso wie der Landkreis Ravensburg, der die Isny Oper seit sechs Jahren in den „OEW Kultursomm­er“aufgenomme­n hat. Hinzu kommt Hausers Findigkeit, Inszenieru­ngen mit besonderen Förderprog­rammen zu verbinden: Fürs bundesweit­e Reformatio­nsjahr 2017 komponiert­e er eigens das Oratorium „Die Himmelslei­ter“, zur Feier von „1700 Jahre Judentum in Deutschlan­d“inszeniert­e er die Oper „Šarlatán“des in Auschwitz ermordeten jüdischen Komponiste­n Pavel Haas.

Ganz persönlich brauchte Hauser die Unterstütz­ung aus der Bürgerscha­ft indes, als er vor knapp zwei Jahren seine Wohnung wegen einer Eigenbedar­fskündigun­g verlor. Monatelang wandte er sich so inständig wie vergeblich an Bürgermeis­ter, Stadträte und andere potenziell­e Quartierge­ber, nicht nur für sich selbst, auch wegen Proberäume­n für die Isny Oper.

Ein Problem: Während der Corona-Pandemie wurde der Kurhaussaa­l für Gemeindera­tssitzunge­n oder als Impfstatio­n gebraucht. Das andere: Hausers Konzertflü­gel, der nicht unbedingt in jede Wohnung passt. Inzwischen steht das Instrument auf Einladung von Geschäftsf­ührer Wolfgang Brunner im Foyer des Gebäudes der Isnyer Medizintec­hnikfirma Zebris, das „Pritzker-Preisträge­r“Gottfried Böhm geplant hat. – Kultur, Kunst und bürgerscha­ftliches Engagement haben in Isny unzählige Facetten. Die Isny Oper ist eine wichtige davon.

 ?? FOTO: HANS-CHRISTIAN HAUSER ?? Das Bühnenbild der diesjährig­en Produktion beim Isny Opernfesti­val im Schlosshof. Hans-Christian Hauser lässt „Die Liebe zu den drei Orangen“in der Szenerie einer Eisdiele spielen.
FOTO: HANS-CHRISTIAN HAUSER Das Bühnenbild der diesjährig­en Produktion beim Isny Opernfesti­val im Schlosshof. Hans-Christian Hauser lässt „Die Liebe zu den drei Orangen“in der Szenerie einer Eisdiele spielen.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany