Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gesundheitsamt bereitet sich auf Corona-Herbst vor
Experten halten Maskenpflicht in Innenräumen für hilfreich und „mildestes Mittel“
KREIS RAVENSBURG - Nach zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie hat das Ravensburger Gesundheitsamt schon eine gewisse Routine bei der Eindämmung des Virus entwickelt. Auch wenn die derzeit kursierende Omikron-Untervariante der Behörde im Landratsamt weniger Kopfzerbrechen bereitet als das ursprüngliche Wuhan-Virus und die folgenden Alpha- und Delta-Mutanten, bereiten sich die Mitarbeiter dennoch auf ein Worst-Case-Szenario im kommenden Herbst vor. „Wir müssen schauen, welche Mutanten dann zu welcher Krankheitsschwere führen. Dummerweise haben wir immer noch keine Glaskugel, die uns das zeigt“, meint der Erste Landesbeamte Andreas Honikel-Günther.
Als am 5. März 2020 der erste Coronafall im Kreis Ravensburg bekannt wurde, arbeiteten im Gesundheitsamt keine 40 Mitarbeiter. Die chronisch unterbesetzte Behörde war plötzlich mit der Verfolgung von Kontakten beschäftigt, denn immer mehr Skifahrer kehrten aus Norditalien und Österreich mit dem Virus im Gepäck heim und steckten andere an. Zu einem Zeitpunkt, als es noch nicht genügend Schutzmasken in hoher Qualität für alle gab und die Pandemie von der Weltgesundheitsorganisation noch gar nicht als solche bezeichnet wurde.
Auch im Gesundheitsamt selbst kam es früh zu Ansteckungsfällen – obwohl die dortigen Mitarbeiter stärker sensibilisiert für die Gefahren waren als Nichtfachleute. „Anfangs wurde ja sogar von manchen behauptet, dass Masken schädlich seien“, erinnert sich Simone Meiners, stellvertretende Gesundheitsamtsleiterin. Ihr Chef, Michael Föll, feiert gerade die in zweieinhalb Jahren angesammelten Urlaubstage und unzählige Überstunden ab – das ist mittlerweile möglich, weil die Behörde jetzt 100 Mitarbeiter mehr hat als noch zu Beginn der Pandemie. „Zu Spitzenzeiten, als wir selbst noch die Impfzentren betrieben haben, waren es sogar über 200“, sagt Martin Sommer, der das Sachgebiet
Pandemiebekämpfung im Landratsamt leitet.
Noch aus einem anderen Grund war die erste Welle – auch wenn sie sich im Nachhinein von der absoluten Fallzahl her am harmlosesten herausstellte – die schlimmste im Empfinden der Amtsmediziner. „Die letzte große Pandemie lag ja 100 Jahre zurück. Niemand lebte mehr, der damit eigene Erfahrungen gemacht hatte“, begründet das Meiners. Belastend sei neben der Ungewissheit auch der komplette Lockdown auf allen Ebenen gewesen, sowohl fachlich wie persönlich.
Da sich das Virus und die Maßnahmen der Politik darauf ständig veränderten, konnten die Verantwortlichen vor Ort „immer nur auf das reagieren, was wir vorgefunden haben“, beschreibt Honikel-Günther die Schwierigkeit, für die Zukunft zu planen. Manchmal seien neue Corona-Verordnungen vom Landessozialministerium erst sonntags erlassen worden, mussten aber ab Montag umgesetzt werden. „Mit der Zeit haben wir da eine gewisse Routine entwickelt“, sagt der stellvertretende Landrat. „Aus meiner Sicht haben wir das mit einem hohen Personaleinsatz sehr gut bewältigt.“
Stolz ist Honikel-Günther vor allem auf das Impfmanagement, das im Kreis Ravensburg besser gelaufen sei als anderswo. Zunächst im eigenen Impfzentrum an der Oberschwabenhalle. Dann, als sich im Herbst 2021 herausgestellt habe, dass die Hausärzte doch nicht allein mit der Flut an Boosterwilligen zurechtkommen würden, mit den neuen Impfstationen in Weingarten und Wangen. Honikel-Günther hofft zwar, dass in diesem Herbst das Spiel nicht wieder von vorne beginnt und die niedergelassenen Mediziner mit dem vermutlichen Run auf den angepassten Impfstoff zurechtkommen – zur größten Not könnten die Impfzentren mit dem Unternehmen „Gemeinsam Neue Wege“aber wieder aufgebaut werden. Wobei ihm die andere Lösung lieber wäre. Derzeit wird ermittelt, wie viele Hausärzte,
Kinderärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker impfen können, um einen Überblick zu bekommen.
Alle Beteiligten rechnen zumindest damit, dass wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen eingeführt werden muss, selbst wenn das Worst-Case-Szenario nicht eintritt und die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist: also relativ viele Infizierte, die aber nicht so schwer erkranken, dass sie ins Krankenhaus oder gar auf die Intensivstation müssten. Nachdem die Kontaktnachverfolgungen wegen der schieren Masse an Erkrankten spätestens bei Omikron weitgehend eingestellt wurden, hat sich die Behörde stärker auf die vulnerablen Gruppen konzentriert.
Tatsächlich hat der Landkreis Ravensburg vergleichsweise niedrige Zahlen an Covid-Toten. Bislang starben dort 224 Menschen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion, im Bodenseekreis, der fast 70 000 weniger Einwohner hat, hingegen 334. „Das kann aber einfach Glück oder Pech sein“, meint HonikelGünther
bescheiden. An der Zählweise liege es jedenfalls nicht. In die Statistik fließen laut Meiners alle Todesfälle ein, bei denen zuvor ein positiver PCR-Test vorlag. Dabei gebe es „Unschärfen in beide Richtungen“. Es wurden sowohl Menschen hinzugerechnet, die eigentlich an etwas anderem gestorben sind, wie etwa an einer zugrunde liegenden Krebserkrankung. Andererseits wurden beispielsweise Altenheimbewohner, die zwar mitten in einer Welle an eindeutigen Symptomen gestorben sind, nicht dazugezählt, wenn vorher kein PCR-Test gemacht wurde. Meiners: „Die meisten Verstorbenen waren schon alt und vulnerabel.“
Was die Verantwortlichen nicht verstehen können, ist, dass es ernsthaft Menschen gibt, die die Wiedereinführung einer Maskenpflicht ablehnen oder einfach von vorneherein ausschließen wollten, obwohl sie noch gar nicht wüssten, was im Herbst kommt. „Händewaschen oder Maskentragen ist doch ein vergleichsweise mildes Mittel im Gegensatz zum Lockdown, der auch schweren wirtschaftlichen Schaden anrichtet“, so die promovierte Medizinerin. Sie hofft dennoch, dass die nächste Mutante auf eine schon stark immunisierte Bevölkerung trifft – sei es durch Impfung oder überstandene Infektion – und weniger Schaden angerichtet wird als in den beiden vorhergegangenen Wintern. Entscheidend wird dann laut Martin Sommer auch sein, was die Stiko empfiehlt und wie viele Menschen sich wieder impfen lassen. Denn nach wie vor biete die Impfung den besten Schutz vor schweren Verläufen und Tod. Aber auch Arbeitgeber könnten mit strengeren Regeln als gesetzlich vorgeschrieben dazu beitragen, dass sich ihre Belegschaft nicht so leicht ansteckt – und dann wieder reihenweise ausfällt. Im Landratsamt selbst waren wegen Omikron teilweise bis zu 70 Mitarbeiter gleichzeitig krank, weshalb dort strengere Regeln in Bezug auf Homeoffice und Masken am Arbeitsplatz gelten würden. „Vorbei“, meinen alle drei, „ist die Pandemie noch nicht.“