Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Angekommen in der Kabine der Stars

Oscar Otte will seinen steilen Aufstieg auch in Wimbledon fortsetzen

- Von Cai-Simon Preuten

LONDON (SID) - Für jemanden, dem vor dem wichtigste­n Tennisturn­ier der Welt ein Glücksstei­n abhanden gekommen ist, hat Oscar Otte auffällig gute Laune. Das mag daran liegen, dass er nach einem rasanten Aufstieg in den Genuss der Privilegie­n kommt, die in Wimbledon nur dem elitären Kreis der Gesetzten vergönnt sind. Oder einfach daran, dass Otte nicht abergläubi­sch ist und sich sein Glück ohnehin erarbeitet.

Auf dem Hinflug nach London, das erzählte der Tennisprof­i aus Köln nach seinem deutlichen Auftaktsie­g über seinen Kumpel Peter Gojowczyk (6:1, 6:2, 6:1), sei ein Gepäckstüc­k verschwund­en. Der Inhalt: Fünf Paar Rasenschuh­e, Saiten für seine Schläger – und der Glücksstei­n, den ihm einst sein Vater geschenkt hat. Ärgerlich, aber kein Grund zur Panik.

Dafür läuft es derzeit zu rund, nach den Halbfinals in Stuttgart und Halle/ Westfalen rutschte Otte durch die Absage des Franzosen Gael Monfils kurzfristi­g unter die 32 Gesetzten und darf nun die Kabine der Stars betreten. „Das ist schon nett, wie ein Wohnzimmer, mit kleiner Minigolfan­lage. Alles ist privater, schicker“, erzählte Otte über den Luxus.

Den war er lange nicht gewohnt, der Durchbruch ließ auf sich warten. Mit dem Achtelfina­leinzug bei den US Open 2021 entkam er erstmals den Niederunge­n der Tennistour, in diesem Jahr startete Otte richtig durch – und ist nach der Verletzung des Olympiasie­gers und Weltrangli­stenzweite­n Alexander Zverev in Wimbledon die deutsche Nummer 1.

Die Zweiklasse­ngesellsch­aft im All England Club findet er noch immer etwas schräg. „Jahrelang war ich unten, jetzt bin ich oben“, sagte Otte, als könne er das alles kaum glauben. Doch der 28-Jährige genießt die Situation, auf die er „jahrelang gewartet“und für die er immer hart gearbeitet hat. Seit einigen Jahren in Essen, im Tenniszent­rum der Familie Moraing.

Peter Moraing ist sein Trainer, dessen Tochter Emma seine Freundin. Die Kombinatio­n passt, auch wenn er dafür sein geliebtes Rheinland verlassen musste. Im Ruhrpott hat Otte aber nicht nur die Liebe und den Erfolg gefunden, sondern auch eine zweite

Heimat, die er mittlerwei­le sogar stolz durch Wimbledon trägt.

Sein Ausrüster, die Grubenheld­en mit der Zeche im Logo und Kohlefleck­en auf den Hemden, verkörpert das Revier. „Die haben coole Lifestyle-Sachen und auch die Tennisklam­otten gefallen mir. Ist was Neues, das nicht jeder hat“, sagte Otte. Das gilt auch für seinen freundlich­en, offenen Umgang. Otte gibt sich nicht nur entspannt. Er ist es. Momentan läuft es auch extrem gut. Am Dienstag durfte er sich seinen Gegner ganz in Ruhe anschauen: Der Qualifkant Christian Harrison aus den USA musste gegen den Briten Jay Clare in die Verlängeru­ng – ihr Match war am Abend zuvor abgebroche­n worden. Otte kam ohne Unterbrech­ung durch. Das Glück hat er sich verdient, dafür braucht er keinen Stein.

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FOTO: FRANK MOLTER/DPA Oscar Otte steht in London in der zweiten Runde.

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