Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Erfahrung aus der Jugend gibt Impulse
Direktor des Archäologischen Welterbes Pompeji zu Besuch im Heimatort Wilhelmsdorf
- Erst umlagerter Autor auf der Leipziger Buchmesse und kurz darauf Gast auf der Bühne der Kulturscheune in Wilhelmsdorf: Gabriel Zuchtriegel, Direktor des Archäologischen Welterbes Pompeji, sprach in seinem Heimatort. Lothar Riehmann, Vorsitzender des Wilhelmsdorfer Kulturvereins, konnte nicht einschätzen, wie groß der Zuspruch für diese Gesprächsrunde sein würde. Doch dann mussten kleine Tischgruppen immer mehr Stühlen weichen, um den Zuhörern an diesem Abend Ende April Platz zu bieten.
Gabriel Zuchtriegels Mutter war gekommen, frühere Mitschüler und Lehrer von Grundschule und Gymnasium Wilhelmsdorf sowie Freunde, um den 41 Jahre alten Mann wiederzusehen, der seit zwei Jahren Direktor des Archäologischen Welterbes Pompeji ist. Dort sorgt er für frischen Wind in der wichtigsten Ausgrabungsstätte Italiens nahe Neapel. Sein Ziel ist es, die antiken Kulturstätten im Süden des Kontinents für alle Menschen erlebbar zu machen. Dabei hat er seine Erinnerungen an seine Heimatgemeinde Wilhelmsdorf und seine damaligen Begegnungen mit Menschen mit Behinderungen immer im Blick.
Sein eben erschienenes Buch trägt den Titel „Vom Zauber des Untergangs. Was Pompeji über uns erzählt“. Gabriel Zuchtriegel, geboren in Weingarten und Sohn eines Klavierlehrers, verbrachte die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens in Wilhelmsdorf. Schon immer kulturell interessiert, war er Mitglied der Theater-AG am Gymnasium Wilhelmsdorf, die damals sein Lehrer Lothar Riehmann leitete. Unter anderem war er Akteur des unvergessenen Musicals „Joseph“, das 1999, ein Jahr vor seinem Abitur, gemeinsam mit US-Schülerinnen und Schülern in der Gemeinde aufgeführt wurde.
Von 2001 bis 2006 studierte er an der Humboldt-Universität Berlin Klassische Archäologie. Nach weiteren Stationen promovierte er an der Universität Bonn über Ausgrabungen eines Heiligtums in Gabii, eine antike italische Stadt etwa 20 Kilometer östlich von Rom. Direktor des Archäologischen Parks von Pompeji ist er seit 1. April 2021, was für einen Deutschen, der erst seit 2020 die italienische Staatsbürgerschaft hat, außergewöhnlich ist. Eigentlich sah der Reiseplan von Gabriel
Zuchtriegel vor, von der Leipziger Buchmesse direkt weiter zu Terminen in Berlin und Hamburg zu fahren. Doch er sah ein Zeitfenster für einen Heimatbesuch, wie er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“verriet. Kurz entschlossen fragte er bei seinem früheren Lehrer Lothar Riehmann an, ob er nicht eine Veranstaltung in der Kultur-Scheune organisieren wolle.
Auch wenn er nach seinem Wegzug nicht allzu oft in seiner Heimatgemeinde war, sieht er doch enge Verbindungen. Die Landschaft sei für ihn gedanklich präsent, das Ried, der Höchsten, das Rotachtal. Er sei dankbar, dass er in dieser eindrucksvollen Landschaft aufwachsen durfte. Eingeprägt habe sich bei ihm auch die Begegnungen mit den Menschen mit Behinderung, die in Wilhelmsdorf an der Tagesordnung
sind. „Wilhelmsdorf hat mir mitgegeben, dass diese Menschen zu uns gehören.“Aus diesem Wissen heraus war es ihm wichtig, unter anderem einen antiken Tempel so zugänglich zu machen, dass dieser auch für Menschen im Rollstuhl erlebbar sein kann.
„Es geht nicht, dass Menschen von unserem kulturellen Erbe ausgeschlossen werden“, sagt er. Zuchtriegel könnte sich durchaus vorstellen, einmal eine Gruppe behinderter Menschen aus Wilhelmsdorf in Pompeji zu begrüßen, sollte eine solche Exkursion organisiert werden.
Bevor Zuchtriegel auf der Bühne Platz nahm, verriet er, dass er nervöser sei, als bei den Auftritten der Leipziger Buchmesse. Der Abend gestaltete sich dann kurzweilig. Im Gespräch mit Lothar Riehmann gab der Gast Einblicke in seine Arbeit in Pompeji. Dabei zeigte sich der Chef des Kulturvereins belesen. Er habe das neueste Buch von Zuchtriegel regelrecht verschlungen. Entsprechend sachkundig gestaltete sich die Frage-und Antwortrunde.
Dargelegt wurden Aspekte des Zusammenlebens der Menschen sowohl in der antiken als auch in der Zeit früherer Jahrhunderte in Oberschwaben. Bei Zitaten aus seinem Buch nahm er sein Publikum faszinierend mit in die Zeit des ersten Jahrhunderts nach Christus, als Pompeji durch einen Vulkanausbruch vernichtet wurde. Durch Ausgrabungen ist die Stätte für die heutige Welt erlebbar gemacht worden.