Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Habeck hat zu lange gezögert
Im Grunde war es absehbar. Denn dass der bisherige Staatssekretär Patrick Graichen Mühe hat, sauber zwischen privaten Verbindungen und beruf lichen Netzwerken zu unterscheiden, war allzu offensichtlich. Es war also nur eine Frage der Zeit, dass weitere Verstöße gegen die AntiFilz-Regeln im Wirtschaftsministerium auftauchen. Das hätte auch Minister Robert Habeck ahnen – und schneller die Reißlinien ziehen können. Doch er hielt an seinem Vertrauten fest, bis „der eine Fehler zu viel“offenbar wurde. Auch bei der geplanten Förderung eines Projekts des BUND-Landesverbands Berlin gab es eine familiäre Verbindung.
War es klug, dass Habeck gezögert hat? Nein, das war es nicht. Es mag ihn zwar menschlich ehren, dass er sich, solange es geht, vor einen Mitarbeiter stellt. Aber politisch hat der Wirtschaftsminister seinem Haus, seinen Vorhaben, sich selbst und auch dem Ansehen der Grünen geschadet. Vielleicht brauchte es die Wahl in Bremen, um ihm vor Augen zu führen, dass sich Vertrauensverlust in Zahlen niederschlägt.
Habecks Lage ist ziemlich vertrackt. Eigentlich müsste er 100 Prozent geben, um die wirtschaftliche Transformation Deutschlands voranzubringen. Stattdessen kümmert er sich nun um Aufklärung in eigener Sache. Dass er nebenbei von vielen nicht mehr als Wirtschaftsminister, sondern als Heizungskellerminister wahrgenommen wird, macht die Situation nicht besser. Für Habeck persönlich mag es zweitrangig sein, dass auch seine Beliebtheitswerte im Keller sind. Aber die Ängste der Menschen, die sich darin ausdrücken, können ihm nicht egal sein. Denn Klimaschutz lässt sich nicht gegen die Bevölkerung in der Gesellschaft verankern.
Was Habeck nun tun kann, um über Wasser zu bleiben? Er muss vor allem schnell aus den Fehlern lernen, die in seinem Ministerium gemacht wurden und die er selbst gemacht hat. „Bevor du dich daran machst, die Welt zu verbessern, geh dreimal durch dein eigenes Haus“, heißt es in einem asiatischen Sprichwort. Zugegeben ein Kalenderspruch – und eines Philosophen sicherlich nicht würdig. Aber verkehrt wäre es nicht, wenn sich Habeck daran hielte – auch mit Blick auf die Nachfolge Graichens.