Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Vom 7-Uhr-Moment des Blutfreitags
Festprediger Bischof Michael Gerber über Momente „von Herz zu Herz“
- Der Festtag beginnt am Vorabend: Weingarten ist schon geschmückt, die Vorbereitungen für den Blutfreitag sind praktisch abgeschlossen. Zeit für die Gläubigen, sich innerlich vorzubereiten auf die große Wallfahrt rund um die kleine Reliquie, die der Überlieferung nach das Blut Jesu birgt: Zu Hunderten strömen sie an diesem Himmelfahrtsabend in die Basilika. Sie wollen dort das Wort Gottes hören – und sind neugierig, wie es der Festprediger Bischof Michael Gerber aus Fulda auslegt.
„Jedes Mal, wenn ich es mit Oberschwaben zu tun habe, ist das eine tiefe Erfahrung“, beginnt Bischof Gerber seine Ansprache in der vollbesetzten Barockkirche: „Sie sind in ihre Heimat verliebt, in dieses wunderbare Stück Erde zwischen Bodensee, Donau und Allgäu.“Diese „Diagnose Heimatliebe“könnten Außenstehende der schönen Landschaft wegen gut nachvollziehen.
Am Blutfreitag gehe es aber um mehr: „Das Geniale an diesem Fest in Weingarten ist“, so Gerbers Feststellung, „dass die Liebe zu Gemeinschaft, die Liebe zur Natur, die Liebe zur Heimat den Kern des Glaubens treffen.“Auch wenn, wie der Kirchenmann feststellt, dieses Fest „für manch aufgeklärte Zeitgenossen aus anderen Regionen Deutschlands“vielleicht etwas unverständlich sein mag.
Der Oberhirte aus Fulda wirft an diesem Donnerstagabend, während über dem Schussental schon die Sonne untergeht, den Blick auf den nächsten Morgen. Ein ganz zentraler Moment sei die Übergabe der Heilig-Blut-Reliquie, mit der der Heilig-Blut-Reiter dann in der Prozession startet. Denn: „Die Übergabe der Reliquie erst macht aus dem großen Zusammentreffen vieler Reiter eine Reiterprozession.“Jeder Pilger wisse ab dieser Sekunde: „In unserer Mitte ist diese Reliquie, sie wurde dem Blutreiter und damit uns übergeben.“Schon die Apostel hätten mit der Gewissheit gelebt: „Ich trage in meiner Seele so etwas wie diese Blutreliquie.“Sprich: einen Teil von Jesus.
Für Bischof Gerber geht es bei der Heilig-Blut-Vereehrung um die Frage: „Wo in Deiner Lebensgeschichte ist Dein persönlicher 7-Uhr-Moment des Blutfreitags, an dem Dir das Herzblut Jesu nahegekommen ist?“Gemeint sei die Erinnerung an Begegnungen „von Herz zu Herz“.
Von solchen Begegnungen sei, wie der Festprediger erzählt, die Selige Ulrika Nisch getragen gewesen. Die inzwischen seliggesprochene Ordensschwester lebte um die Wende des 20. Jahrhunderts in Oberschwaben und am Bodensee. „Diese einfache Frau hat ihren persönlichen Blutfreitag
erlebt, als sie als junges Mädchen schwer krank war und eine Erfahrung gemacht hat, die ihrem Leben eine innere Richtung gegeben hat.“Als einfache Küchenschwester habe sie gewirkt. „Aber dort, wo sie war, bei den Menschen, hat sie unglaublich Atmosphäre geweckt durch eine tiefe, innere Freude, die sie ausgestrahlt hat, bei all ihren sonstigen Begrenzungen.“
Er glaube, sagt Gerber, dass es viele Menschen wie Ulrika Nisch in Oberschwaben gebe, die ihre Grenzen erfahren haben, aber zugleich auch das, was der Bischof den „persönlichen Blutfreitag“nennt: Momente des „Ganz-nah-bei-Jesus“-Seins.
Diese könnten Stärke geben, beim „Gefühl der permanenten Überforderung“. Letzteres führt Gerber zurück auf den Krieg in der Ukraine und an anderen Orten, Migration, Klimawandel, Fragen um Energie und wirtschaftlichen Wettbewerb. All das baue Druck auf, welcher gesellschaftlichen Spannungen produziere.
Um diese zu überwinden braucht es, so Gerber, Momente und Menschen der Mitte. Das aus der Mitte Kraft komme, zeige der Blutritt: „Mögen die Stürme auch toben, mögen auf unserem Lebensritt auch manche Pferde scheu werden“, ruft Bischof Gerber den Gläubigen in der Basilika zu: „Uns leitet die Botschaft, die seit Jahrhunderten hier von Weingarten ausgeht. Er, Jesus Christus, gibt sich in unser Herz, morgen, am Blutfreitag, um 7 Uhr, und gerade in den Momenten unseres Lebens, in denen wir es nicht erwarten.“
So ermutigt verlassen Hunderte die Basilika, zünden eine Kerze an und stimmen mit weiteren hunderten Gläubigen, die schon vor dem Münster warten, Lieder und Gebete an. Gemeinsam ziehen sie in der Lichterprozession zum Kreuzberg. Und mancher ist wohl gedanklich schon – mit dem Fuldaer Bischof gesprochen – beim 7-Uhr-Moment des nächsten Tages, dem Blutfreitag mit seiner großen Reiterprozession.
Der Blutritt wird live auf Schwäbische.de übertragen. Der Stream ist unter go.schwaebische.de/blutrittlive oder über den QR-Code zu finden.
„Sie sind in ihre Heimat verliebt, in dieses wunderbare Stück Erde zwischen Bodensee, Donau und Allgäu.“Bischof Michael Gerber aus Fulda