Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Jugendliche treten auf ihr Opfer ein
Amtsgericht Tettnang verhängt Bewährungsstrafe und Arbeitsstunden
- Wie und warum eine verbale Auseinandersetzung zwischen zwei Heranwachsenden und einem 56-Jährigen dermaßen eskaliert ist, dass der Mann am Ende zahlreiche Hämatome und Schürfwunden davontrug, konnte vor dem Amtsgericht Tettnang nicht abschließend geklärt werden. Fest steht jedoch, dass die beiden jungen Männer aus dem Bodenseekreis den Mann mehrfach getreten haben, als dieser bereits am Boden lag.
Richter Christan Pfuhl verurteilte die beiden Angeklagten nach Jugendstrafrecht wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe und jeweils 60 Arbeitsstunden. Der 16jährige Angeklagte muss lediglich die Arbeitsstunden ableisten. Wohingegen sein 19-jähriger Mitangeklagter, der bereits einschlägig vorbestraft ist, zusätzlich eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten erhielt. Zudem muss er einen Anti-Aggressionskurs besuchen.
Oberstaatsanwalt Martin Hengstler und die Jugendgerichtshilfe hatten sich beide für einen mehrwöchigen Dauerarrest ausgesprochen. Diesem Antrag folgte Richter Pfuhl nicht. Er gab dem 19-Jährigen eindringlich mit auf den Weg: „Aber du musst dich bewähren.“
Laut Anklageschrift waren die beiden Jugendlichen in den Abendstunden des 3. August 2022 gemeinsam mit der jüngeren Schwester des 19-jährigen auf dem Nachhauseweg vom Baden, als sie an dem Grundstück des 56Jährigen vorbeikamen. Dieser saß gemeinsam mit seiner Ehefrau auf der Terrasse des Wohnhauses. Das Ehepaar fühlte sich laut Anklage durch das mehrmalige Ausspucken des 19-jährigen auf den Gehweg provoziert und es entbrannte eine verbale Auseinandersetzung mit Beleidigungen.
Als der 56-jährige die beiden jungen Männer zur Rede stellen wollte, soll ihn der 16-jährige von hinten so getreten haben, dass der Mann zu Boden fiel. Dort sollen dann beide mehrfach auf ihn eingetreten haben. Erst als die Ehefrau mit dem Stiefsohn des Opfers hinzukam sollen die beiden aufgehört haben.
Bis heute leidet das Opfer unter den Folgen der Attacke, da bei den Tritten auch sein Hörimplantat im Kopf getroffen wurde. So berichtete es der 56-Jährige, der als Zeuge vor Gericht aussagte. Entgegen der Aussagen der beiden Angeklagten habe er diese weder rassistisch beleidigt noch direkt angegriffen. Vielmehr hätten die jungen Männer ihn und seine Frau als „Drecksdeutsche“und „Hure“beschimpft. Er habe sich ihnen lediglich entgegengestellt, um sie zu fragen: „Jungs, müssen solche Beleidigungen sein?“.
Der 19-jährige Angeklagte schildert diese Situation anders. Demnach habe sich der 56-Jährige ihm mit den Worten „Willst du auf die Fresse?“in den Weg gestellt, ihn geschubst und geschlagen. Eigentlich habe er aufgrund seines Vorstrafenregisters keine neuen Probleme bekommen wollen. Als ihm der 56-Jährige aber „die Faust gegeben hat“, seien bei ihm „die Sicherungen durchgebrannt“. Folglich habe er zurückgeschlagen und auch getreten, gestand der 19-Jährige.
Auch sein 16-jähriger Freund räumte die Tat vollumfänglich ein. Auch er sei zuvor von dem Ehepaar als „Drecksausländer“und „Hurensohn“beschimpft worden. Als die beiden Fotos von den Verletzungen ihres Opfers gesehen haben, reagierten sie geschockt und entschuldigten sich bei ihrem Opfer, der diese auch annahm: „Hut ab vor der Entschuldigung.“