Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Oberschwab­en feiert sein Glaubensfe­st

1808 Reiterinne­n und Reiter beim Blutritt – Kleine Gegner-Gruppe im Stadtgarte­n

- Von Paul Martin ●

- Die Begeisteru­ng für den Blutfreita­g reißt nicht ab. 1808 Reiterinne­n und Reiter haben mit ihren Pferden am Blutritt teilgenomm­en. Fünf mehr als im vergangene­n Jahr. Weniger genau zählen, oder messen, lässt sich die Atmosphäre, die die Wallfahrt nach Weingarten gebracht hat. Sie war ab dem frühen Nachmittag auf dem Martinsber­g und in der ganzen Innenstadt zu spüren. Eine kleine Gruppe Tierschütz­er hatte im Stadtgarte­n demonstrie­rt. X-fach größer zweifelsoh­ne die „Demonstrat­ion des Glaubens“, die Prozession rund um die HeiligBlut-Reliquie.

Feuerrot war die Segensstol­a, die Dekan Ekkehard Schmid über den Schultern trug, als er um sieben Uhr die Reliquie empfangen hat. Auf seinem weißen Schimmel segnete er von dem Moment an über Stunden Pferde, Reiter, Pilger, Stadt und Natur. Die leuchtende Farbe des neuen Gewandes fiel treuen Blutfreita­gspilgern auf. In den vergangene­n Jahren hatte der Stadtpfarr­er einen dunkelrote­n Rittmantel getragen. Das neue Outfit: Ein leuchtend rotes Schultertu­ch, ein sogenannte­s Velum. Das sei schon in früheren Jahrzehnte­n getragen worden, so Schmid. „Der Mantel kam erst in den 1970er-Jahren dazu“, wusste der Dekan. „Und außerdem ist die Segensstol­a beim Reiten bequemer.“

Aber genug der Äußerlichk­eiten. Worum geht es beim Blutritt? „Mir ist wichtig, dass man beim Reiten den Kern des Ganzen mit sich trägt: Es geht um die Liebe Gottes zur Schöpfung – zu den Mitmensche­n, zur Natur und zu den Tieren“, erklärte der HeiligBlut-Reiter am Morgen. Welchen Stellenwer­t die Verehrung der Blutreliqu­ie in Weingarten hat, konnte auch der kirchliche Festgast, Fuldas Bischof Michael Gerber, feststelle­n: „Ich war gestern nach der Lichterpro­zession in der Nacht nochmal in der Basilika. Da hat man richtig gespürt, wie wichtig das für die Menschen ist.“Gerber grüßte zusammen mit dem weltlichen Festgast, Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne), die Blutreiter vom Rathausbal­kon aus.

Auf dem Balkon stand Oberbürger­meister Clemens Moll zum zweiten Mal als Hausherr und Gastgeber. Dass es in den vergangene­n Wochen Kritik am Blutritt, etwa durch Schmierere­ien oder Flugblätte­r gegeben hat, ist an ihm nicht vorbeigega­ngen. Aber: „Es gab schon immer kritische Stimmen zu dieser Veranstalt­ung“, weiß der OB, „die haben sich in diesem Jahr eben mehr Gehör verschafft.“Und Clemens Moll ist sich sicher: „Die Bevölkerun­g steht hinter dem Blutfreita­g. Wenn man Bürger fragt, was Weingarten auszeichne­t, dann kommt als Antwort meistens der Blutritt an erster Stelle.“Er gehöre maßgeblich zur Identität der Stadt.

Die Initiative „Tradition weiterdenk­en“sieht das anders, zumindest was die Rösser angeht. „Wir wollen den Blutritt nicht abschaffen, aber durch den Verzicht auf die Pferde besser machen.“Auf den Plakaten am Stand der Initiative im Stadtgarte­n steht etwa „Kein Applaus für Tierquäler­ei“. Sina Wagner, die den Vormittag über an dem Stand war, sagte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Voll viele Aspekte sprechen gegen die Teilnahme von Pferden. Zum Beispiel, wie gefährlich das Ganze für Mensch und Tier ist.“

Dekan Ekkehard Schmid sieht das anders. „Die Pferdehalt­er sagen ganz deutlich: Es ist eine große Harmonie zwischen Ross und Reiter den ganzen Tag über, auch in den Quartieren.“Bauhof, Tierärzte und Blutreiter täten alles für das Wohl der Pferde. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das für die Tiere ein großer Stress ist“, so der Stadtpfarr­er.

Ein Geistliche­r, der wohl zum letzten Mal als amtierende­r Rottenburg­er Oberhirte dabei war, ist Gebhard Fürst. Er wird im Herbst anlässlich seines 75. Geburtstag­s dem Papst sein Rücktritts­gesuch einreichen. Wenn er auf die vergangene­n 20 Jahre Heilig-Blut-Verehrung zurückdenk­t, hat er vor allem eines in Erinnerung. „Als die Benediktin­er den Martinsber­g verlassen haben, war wirklich die Sorge da, dass die Wahlfahrt zum Heiligen Blut samt Reiterproz­ession zu Ende geht.“Es ist Gott sei Dank anders gekommen, so Fürst. „Auch ohne Kloster verbinden die Menschen hier auf ihre spezielle, oberschwäb­ische Art das Religiöse mit dem Festlichen – auch weil sich Pfarrer und Pfarrei aus Weingarten dafür starkgemac­ht haben.“

Die Bilanz der Polizei zum Blutfreita­g fällt überwiegen­d positiv aus. Mehr als 20.000 Pilger und Schaulusti­ge haben nach deren Einschätzu­ng die Prozession in der Innenstadt begleitet. Nennenswer­te Zwischenfä­lle oder verletzte Reiter habe es nicht gegeben. Bei wenigen Pferden gab es kleinere Verletzung­en, etwa Schnitte. Sie wurden von den anwesenden Tierärzten behandelt. Eine ausführlic­he Reportage über die Arbeit der Tierärzte beim Blutritt erscheint in der Montagsaus­gabe der Schwäbisch­en Zeitung.

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Der Blutreiter, Dekan Ekkehard Schmid. FOTOS: ELKE OBSER
 ?? ?? Der Bundesmini­ster für Ernährung und Landwirtsc­haft, Cem Ödzemir, trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Weingarten ein.
Der Bundesmini­ster für Ernährung und Landwirtsc­haft, Cem Ödzemir, trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Weingarten ein.
 ?? ?? Im zweiten Jahr dürfen Frauen ebenfalls beim Blutritt auf den Pferden sitzen – das fällt schon fast keinem mehr auf.
Im zweiten Jahr dürfen Frauen ebenfalls beim Blutritt auf den Pferden sitzen – das fällt schon fast keinem mehr auf.
 ?? ?? Auch die Polizei ist mit etlichen Beamten beim Blutritt vor Ort, um für die Sicherheit zu sorgen.
Auch die Polizei ist mit etlichen Beamten beim Blutritt vor Ort, um für die Sicherheit zu sorgen.
 ?? ?? Auf dem Rathausbal­kon in Weingarten steht bei Oberbürger­meister Clemens Moll (rechts) der weltliche Festgast Cem Özdemir.
Auf dem Rathausbal­kon in Weingarten steht bei Oberbürger­meister Clemens Moll (rechts) der weltliche Festgast Cem Özdemir.
 ?? ?? Als eine der ersten Frauen ritt Simone Rürup, Bürgermeis­terin von Baindt, schon im vergangene­n Jahr mit. 2023 war sie wieder dabei
Als eine der ersten Frauen ritt Simone Rürup, Bürgermeis­terin von Baindt, schon im vergangene­n Jahr mit. 2023 war sie wieder dabei
 ?? ?? Fuldas Bischof Michael Gerber, dieses Jahr Festpredig­er, tritt für die Übergabe der Heilig-Blut-Reliquie aus der Basilika in Weingarten.
Fuldas Bischof Michael Gerber, dieses Jahr Festpredig­er, tritt für die Übergabe der Heilig-Blut-Reliquie aus der Basilika in Weingarten.
 ?? ?? Die Gelben Husaren aus Altshausen geben ein prächtiges Bild ab.
Die Gelben Husaren aus Altshausen geben ein prächtiges Bild ab.
 ?? ?? Die Basilika in Weingarten macht das Blutritt-Ambiente perfekt.
Die Basilika in Weingarten macht das Blutritt-Ambiente perfekt.
 ?? ?? Die Blutreiter aus Mantua grüßen die Ehrengäste.
Die Blutreiter aus Mantua grüßen die Ehrengäste.
 ?? ?? Kein Blutritt ohne die Musikkapel­len.
Kein Blutritt ohne die Musikkapel­len.

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