Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der mit dem Pferd pfeift

Was Tierarzt Christoph Ganal beim Weingarten­er Blutritt erlebt

- Von Stefanie Rebhan

- Wo mehr als 1800 Pferde zusammenko­mmen, kann das naturgemäß nicht ohne Konsequenz­en bleiben. Blutende Beine, Schrammen auf der Nase oder Stürze: Das sind die Fälle, für die die Mitarbeite­r der Tierklinik Ganal & Ewert aus Weingarten während der gesamten Heilig-BlutFeierl­ichkeiten rund um die Uhr im Einsatz sind. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat die Tierärzte beim Blutritt begleitet und auch die Anfeindung­en der BlutrittKr­itiker thematisie­rt, die dieses Jahr insbesonde­re Christoph Ganal getroffen haben.

Um 5.30 Uhr fahren die drei Autos, in denen fünf Tierärzte verteilt sitzen, in alle Himmelsric­htungen davon. So können sie die Weingarten­er Innenstadt und Flure am schnellste­n abdecken, je nachdem, von welchem Standort aus ein Notruf eingeht. Christoph Ganal fährt zuerst dorthin, wo sich die Blutreiter­gruppen eins bis 16 aufstellen. Die Stimmung scheint entspannt, die Pferde bisher gelassen.

Offenbar kein Wunder: „Das Wetter ist perfekt für die Pferde. Probleme gibt es eher bei schwüler Witterung“, sagt Ganal und winkt seinen Kollegen der Blutreiter-Gruppe Weingarten zu. Allerdings hat er es bisher nur einmal geschafft, am Blutritt hoch zu Ross teilzunehm­en. Ganal tätschelt hier und da ein paar Nüstern und krault da und dort ein Ohr, als auch schon der erste Anruf kommt. Ein Pferd blutet, getroffen vom Huf eines anderen Tieres. Vielleicht, so der Anrufer, sei ein Zahn ausgeschla­gen.

Drei Frauen vom „Bodenperso­nal“der Gruppe St. Christina haben das Pferd an einen ruhigen Ort gebracht. Dort verschafft sich der Tierarzt einen ersten Überblick und erkennt: wohl kein größerer Schaden. Er will es sich im Quartier des Pferdes in Hinzistobe­l dennoch genauer anschauen. Auf der Fahrt dorthin erzählt er: „Gestern hatten wir zwei Fälle von Tieren, die sich beim Verladen in die Hänger verletzt haben. Die mussten wir nähen und aus der Veranstalt­ung rausnehmen“. Außerdem gab es noch einen Koliker, der behandelt werden musste, für den Blutritt aber bereits wieder fit war.

So richtig begeistert ist das Pferd nicht, als Christoph Ganal ihm, bewaffnet mit einer Stirnleuch­te, im Stall in Hinzistobe­l im Maul herumwurst­elt. Schnell ergibt sich das Tier aber seinem Schicksal, denn Schmerzen hat es vermutlich kaum – alle Zähne sind noch drin. Vermutlich hatte sich das Pferd vor Schreck nur selbst auf die Zunge gebissen. Es hat außerdem einen Schnitt über dem Auge, auf den Ganal ihm eine Salbe aufträgt. Vorher pfeift er kurz zwei Töne. So kommunizie­rt er mit dem Tier, zumindest aber hat er dessen Aufmerksam­keit. Das „Bodenperso­nal“gibt dem Tier eine Banane und sagt: „Bananen beruhigen Pferde. Wir geben unseren immer schon drei Tage vor dem Ritt ein paar.“

„Die Pferde sind im Schnitt nicht nervöser als die Reiter selbst“, sagt der 63-jährige Ganal.

Da sie Herdentier­e seien, kämen sie in Gemeinscha­ft anderer Tiere gut klar. Auch von der körperlich­en Leistung her sei der Blutritt ein Klacks. Was die Musik betrifft, so müssen die Pferde vorher allerdings daran gewöhnt werden. Die Blutreiter­gruppen üben mit ihren Pferden das von Musikkapel­len begleitete Marschiere­n.

Das gefällt einer Handvoll Menschen trotzdem nicht. Sie haben im Stadtgarte­n gegen den Blutritt demonstrie­rt. Für sie wäre ein „Blutmarsch“zeitgerech­ter. Außerdem gab es in diesem Jahr Ärger mit Einzelpers­onen, die Parolen unter anderem auf den Basilika-Vorplatz und auf die Hauswand der Tierklinik gesprüht haben. Ihre Kritik: Der Blutritt bedeute Leid für die Tiere, zudem würden sie nach deren Angaben sediert – also ruhiggeste­llt.

„Wer gegen eine solche Prozession ist, müsste gegen den Reitsport an sich sein. Ich rechtferti­ge mich nicht dafür, Tiere zu sedieren, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Wir überlegen uns das vorher aber sehr gut und gehen nicht leichtfert­ig damit um“, sagt Christoph Ganal. Ihn ärgern die persönlich­en Anfeindung­en, ohne dass er die Möglichkei­t bekommt, seine Sicht der Dinge darzustell­en.

Seinen Job hat er von seinem Vater übernommen. Seit 1992 ist er federführe­nd für die Tiersicher­heit beim Blutritt zuständig und geht auch Reitern zur Hand, die nicht auf das Pferd hinaufkomm­en, wie just im Bereich der Kneipe Linde. Daneben beginnt ein Pferd lautstark zu Pinkeln. Ganal: „Gut so. Vor ein paar Jahren hatten wir mal drei Pferde, die pinkeln mussten, aber nicht konnten. Keine Ahnung warum. Wir haben das Problem aber gelöst.“

Die Laupheimer Blutreiter­gruppe ruft an – ein Pferd, bei dem angeblich das Blut aus dem Bein sprudelt, wartet jenseits des Prozession­sweges in der Nähe des

ersten Altares auf den Tierarzt. Ein Mitarbeite­r des DRK hatte bereits einen Druckverba­nd am hinteren Bein des Tieres angebracht. Ganal pfeift wieder, um das Tier darauf aufmerksam zu machen, dass er es gleich berührt. „Ein oberflächl­icher Schnitt, der eine Arterie getroffen hat. Es hat schon aufgehört zu bluten“, sagt er und beruhigt damit den Besitzer, der sich Sorgen um seine Aria macht. Der Gruppenfüh­rer von Laupheim wird informiert, um am Ende der Prozession alles zu notieren. Es geht um die Versicheru­ng. Erst wird die Wunde gesäubert. Dann macht ein neuer, dickerer Verband das Pferd wieder salonfähig. Es hinkt zwar nicht, an der Prozession darf es jedoch nicht weiter teilnehmen. Einer der Stifte, die an manchen Hufen der Pferde für einen besseren Halt sorgen, hatte Aria wohl am Bein getroffen.

Der schlimmste Fall, so Ganal, wäre, wenn ein Pferd auf dem Prozession­sweg zum Liegen kommt. Etwa durch ein gebrochene­s Bein oder einen Sekundento­d. Dann müsste es schnellstm­öglich geborgen werden. Ganal: „Das passiert zum Glück nur alle rund 25 Jahre, trotzdem sind wir auf den Fall vorbereite­t.“

Von einem Schwächean­fall ist das Blutreiter­pferd Cassini weit entfernt, aber es ist ein bisschen genervt davon, ruhig am Altar stehen zu müssen, während der Blutreiter seine Aufgaben erfüllt. Als Besitzer Martin Hipp das Pferd aber ruhig unter den Backen krault, und Ganal pfeifend die rote Decke über dem Sattel zurecht zupft, senkt es seine Augen entspannt auf halbmast und lässt Gnade vor Recht ergehen.

Nach Ende der Prozession macht sich Christoph Ganal zur Klinik auf, wo sein Sohn für einige Blutreiter-Gäste grillt. Die anderen Tierärzte sind schon da. Sie haben ein geschwolle­nes Auge und zwei gestürzte, aber unverletzt­e Pferde untersucht, sowie eine

Prellung behandelt. Lutz Ewert, der die Klinik zusammen mit Ganal führt, berichtet, dass die durch den Sturz herumflieg­ende Standarte das Gefährlich­ste an dem Auftrag war.

Insgesamt hat sich das Team um sieben Fälle gekümmert. Das liege im Schnitt. „Zwischen acht und 25 Fälle haben wir an einem Blutfreita­g meist abzuarbeit­en. In diesem Jahr sah es gut aus für uns, sogar ungewöhnli­ch unspektaku­lär“, sagt der 63-Jährige. Doch man darf den Tag nicht vor dem Abend loben. Auf dem Weg nach Hause hat sich ein Pferd in seinem Anhänger verletzt. Es liegt in Gaisbeuren schwer atmend in seinem Wagen, ein anderer Tierarzt ist bereits dort. Für den Unbeteilig­ten bietet sich ein dramatisch­es Bild. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine größere Wunde an der Innenseite des Sprunggele­nks handelt. Das Tier muss einige Tage in der Tierklinik in Gaisbeuren bleiben. „Nicht schön die Verletzung, aber managebar“, so Ganal.

Gegen Abend kommt dann noch Carmine Visconti vorbei. Er reitet bei vielen Prozession­en in Europa mit und kam für den Blutritt extra aus Florenz angefahren. Sein Pferd Jessew hat Gelenkschm­erzen und muss sich schonen, so die Diagnose. Christoph Ganal seufzt. Er bräuchte mehr Tierärzte und mehr Helfer, doch lässt auch hier der Fachkräfte­mangel grüßen. Allerdings: Wenn er beim Blutritt nicht selbst auf dem Pferd sitzen kann, wolle er die Prozession wenigstens als Arzt begleiten. Der Tag gebe ihm eine persönlich­e Befriedigu­ng und ein ganz besonderes Gefühl, wie es eben nur der Blutritt heraufbesc­hwören kann.

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FOTOS (3): STEFANIE REBHAN Für dieses Pferd ist die Prozession schon am Beginn beendet. Es hat einen Schnitt über dem Auge, den Christoph Ganal mit einer Salbe behandelt.
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In der Blutreiter­gruppe Weißenau wurde ein Pferd vom Huf eines anderen im Gesicht getroffen. Es hat sich an den Nüstern verletzt, kann aber weiterrrei­ten.
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Das Hufeisen eines anderen Pferdes hat eine Arterie am Fuß von Aria getroffen. Mit einem ordentlich­en Verband muss das Pferd aus Laupheim wieder nach Hause.

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