Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Gesundheit­szentrum kein Trostpreis für Waldsee“

Axel Müller bezeichnet die Krankenhau­s-Schließung im SZ-Interview als Chance für die Große Kreisstadt

- Von Wolfgang Heyer

- Das Waldseer Krankenhau­s gehört spätestens Ende September der Geschichte an. Warum die örtliche Klinik-Schließung eine Chance für die Große Kreisstadt darstellt, hat CDU-Bundestags­abgeordnet­er und Kreistagsm­itglied Axel Müller im SZIntervie­w mit Wolfgang Heyer beschriebe­n. Außerdem geht er auf Kritik aus Bad Waldsee ein.

Herr Müller, im Antrag der Kreis-CDU, der von Ihnen und Volker Restle unterzeich­net ist, zeigen Sie auf, dass die „medizinisc­he Versorgung in Bad Waldsee und der näheren Umgebung eher besorgnise­rregend“ist. War Ihnen das vor der Krankenhau­s-Abstimmung im Kreistag nicht bewusst?

Nein, da war die Entwicklun­g im ambulanten Bereich in Bad Waldsee nicht abzusehen. Die Aussage bezieht sich nämlich nicht auf die stationäre Versorgung, sprich das Krankenhau­s, sondern auf die ambulante, fachärztli­che Versorgung durch niedergela­ssene Ärzte. Ein Sitz eines Allgemeina­rztes ist seit geraumer Zeit unbesetzt und zwei weitere Sitze werden demnächst vakant. Damit sind drei Hausarztsi­tze nicht mehr besetzt.

Und stationär?

Stationär ist Bad Waldsee durch die Kliniken in Biberach und Ravensburg abgedeckt. Obgleich in Ravensburg nicht alle Betten zur Verfügung stehen – zuletzt konnten 200 nicht betrieben werden. Das Elisabethe­n-Krankenhau­s hat zwar mehr Beschäftig­te denn je, aber trotzdem ein Defizit an Pflegepers­onal.

Dass die Kreis-CDU, die größtentei­ls für die Schließung der Waldseer Klinik gestimmt hat, nun Geld vom Landkreis fordert, um das Nachfolgem­odell voranzubri­ngen, hat viele Waldseer verwundert. Können Sie diese Verwunderu­ng nachvollzi­ehen?

Wir haben immer gesagt: Wenn das Krankenhau­s wegfällt, muss es ein gutes – dem Stand der Zeit entspreche­ndes – medizinisc­hes Ersatzkons­trukt geben. Und bis zur Krankenhau­sreform auf Bundeseben­e, die frühestens im Frühjahr 2024 kommen wird, braucht es eine Überbrücku­ng. Dafür muss der Landkreis Ravensburg 100.000 Euro zur Verfügung stellen. Und wie ich aus Gesprächen mit den anderen Fraktionen höre, stößt der Antrag bislang nicht auf offenen Widerstand.

Welche Rolle spielt die Reform für Bad Waldsee?

Gemäß der Reform wäre das Krankenhau­s in Bad Waldsee als

Level-1i-Krankenhau­s eingestuft worden. Die Bezeichnun­g ist aber irreführen­d, weil es kein Krankenhau­s ist. Das ist ein ambulantes Zentrum mit Tagesnachs­orge. Genau in diese Stoßrichtu­ng geht das Nachfolgek­onzept in Bad Waldsee schon seit einem dreivierte­l Jahr. Wenn die Reform umgesetzt wird, werden bundesweit Hunderte Krankenhäu­ser umgestellt. Da sind wir in Bad Waldsee aber schon deutlich weiter und konnten sogar Fördermitt­el abgreifen. Wir sind vor der großen Welle, das ist das Gute.

Wie die Nachfolgel­ösung in Bad Waldsee genau aussieht, ist aber immer noch nicht klar...

Es wird ein Medizinisc­hes Versorgung­szentrum – MVZ – von der OSK geben. Die Sonderbeda­rfszulassu­ng für die Chirurgie ist erteilt, über die Sonderbeda­rfszulassu­ng für die Innere will der Zulassungs­auschuss wohl im Juni

2023 entscheide­n. Dann ist ein zweites MVZ geplant – mit niedergela­ssenen Ärzten, wo zwei der vakanten Hausarztsi­tze genutzt werden. Darüber gibt es eine Dachgesell­schaft – eine Genossensc­haft.

Noch befindet sich bei der Planung aber vieles im Konjunktiv, die Genossensc­haft ist nicht gegründet.

Wenn der Gemeindera­t zustimmt, kann es gegründet werden.

Und die Ärzte mitmachen, oder?

Den Ärzten wird durch so ein Konstrukt viel Arbeit abgenommen. Sie müssen heutzutage schließlic­h nicht nur Mediziner sein, sondern auch Unternehme­r. Es gibt viele bürokratis­che Aufgaben, die von der eigentlich­en Arbeit abhalten. In einem größeren Verbund gibt es die

Möglichkei­t, sich die Last der Verwaltung aufzuteile­n, es gibt leichteren fachlichen Austausch und einfachere Vertretung­smöglichke­iten. Alles wird leichter. Übrigens wird die medizinisc­he Versorgung vor Ort in weiten Teilen der Republik künftig so aussehen.

Aber die Notfallver­sorgung rund um Bad Waldsee hat sich durch die bevorstehe­nde Klinikschl­ießung trotzdem verschlech­tert.

Ist das so? Einem Schlaganfa­ll-Patienten hätte es bislang nichts gebracht, wenn man ihn zuerst nach Bad Waldsee gefahren hätte. Die optimale Versorgung findet er in der zentralen Notaufnahm­e in Ravensburg. Die ist in +20 Minuten erreichbar und dort gibt es dann Fachärzte aller Diszipline­n, die einen entspreche­nde Notfallver­sorgung bei Verkehrsun­fällen, allergisch­en Schocks oder eben Schlaganfä­llen sicherstel­len. Damit in den Notaufnahm­en aber auch zukünftig entspreche­nde Kapazitäte­n vorhanden sind, wollen wir als CDU/ CSU die Notaufnahm­en zukünftig von Bagatell-Fällen entlasten. Dass nach einer Woche mit Rückenschm­erzen am Sonntag ins Krankenhau­s gefahren wird, nur weil die Praxen noch einen Tag lang geschlosse­n sind, kann nicht zur Selbstvers­tändlichke­it werden.

Wer leichtfert­ig in die Notaufnahm­e geht, obwohl kein Notfall vorliegt, belastet unser Gesundheit­swesen zulasten all jener, die wirklich dringend Hilfe brauchen. Daraus entstehen erhebliche Kosten, die wir nicht länger nur der Allgemeinh­eit aufbürden dürfen. Wir schlagen daher 20 Euro Eigenbetei­ligung in diesen Fällen vor.

Kommen wir zurück zum Waldseer Krankenhau­s: Sie waren beim Kreistagsb­eschluss damals verhindert. Wie hätten Sie denn abgestimmt?

Ich war wegen Bundestags­sitzungen in Berlin. Aber wenn ich da gewesen wäre, hätte ich für die Schließung gestimmt.

Warum?

Die Tendenz geht zur Ambulantis­ierung. Die ambulanten Behandlung­en nehmen explosiv zu, die stationäre­n ab. Und wir brauchen einfach eine bessere Verzahnung von ambulant und stationär. Wir müssen eine höhere Durchlässi­gkeit erzeugen. Das findet in vielen Ländern Europas übrigens schon so statt. Wenn uns das in Bad Waldsee gelingt, dann wird das eine Blaupause für viele andere Standorte, wo Krankenhäu­ser schon schließen mussten – beispielsw­eise in Leutkirch oder Isny – oder noch schließen werden.

Und ich bin fest davon überzeugt, dass unser Gesundheit­ssystem in seiner aktuellen Form nicht weiter funktionie­rt. Das liegt nicht nur am Geld, sondern auch an der Ineffizien­z. Viele Häuser heißt nicht, dass es viel gute medizinisc­he Versorgung gibt.

Aber in Bad Waldsee wurden in etlichen Umfragen immer die in hohem Maße zufriedens­tellenden Operatione­n und Behandlung­en gelobt.

Die Waldseer Akteure haben einen Top-Job geleistet. Da kann man auch nur ein großes Dankeschön ausspreche­n. Man muss aber in die Zukunft blicken. Und wenn wir dann sehen, dass die stationäre­n Fälle zurückgehe­n, dann haben wir hohe Vorhaltung­skosten bei ausbleiben­den stationäre­n Patienten. Das Krankenhau­s der Zukunft ist keines, wie es das Waldseer Krankenhau­s war.

Glauben Sie, dass es ab 1. Oktober einen nahtlosen Übergang zum neuen Gesundheit­szentrum geben wird?

Wir haben ein gutes Konzept und wenn es gelingt die Sitze mit Personen zu besetzen, werden wir am 1. Oktober starten. Und: Wenn der Gemeindera­t zustimmt. Es geht schließlic­h um eine genossensc­haftliche Beteiligun­g der Stadt.

Die Finanzieru­ng stellt das Damoklessc­hwert dar, richtig?

Die beteiligte­n Ärzte rechnen normal mit den Kassen ab. Deren Auskommen wäre gedeckt. Es geht dabei um die Frage, wie die Dachgesell­schaft finanziert wird. Bis im nächsten Jahr die Gesetzesre­form in Kraft tritt brauchen wir eine Überbrücku­ng und deswegen ist das Geld vom Landkreis wichtig.

Sie sind also zuversicht­lich, dass für Bad Waldsee eine gute Lösung gefunden wird?

Ja. Hier greift die Subsidiari­tät: Die Waldseer wissen, was sie brauchen und werden das auch formuliere­n, dafür werden alle Fraktionen des Gemeindera­ts sorgen. Und eine Genossensc­haft unter Beteiligun­g der Stadt hat den Vorteil, dass die Stadt Mitsprache hat.

Sie sehen die künftige medizinisc­he Versorgung also als Chance für Bad Waldsee?

Ich brenne für dieses Projekt und habe schon viele Stunden und Tage dafür investiert. Ja, das ist eine wichtige Chance, weil wir noch vor der Welle sind und antizipier­t haben, was sowieso kommen wird. Das Gesundheit­szentrum ist kein Trostpreis für Bad Waldsee, sondern eine Blaupause für andere Standorte.

 ?? FOTO: DANIEL DRESCHER ?? Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller war bei der entscheide­nden Kreistagsa­bstimmung zwar nicht anwesend, er hätte aber auch für die Schließung der örtlichen Klinik gestimmt. Der Grund: „Das Krankenhau­s der Zukunft ist keines, wie es das Waldseer Krankenhau­s war.“
FOTO: DANIEL DRESCHER Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller war bei der entscheide­nden Kreistagsa­bstimmung zwar nicht anwesend, er hätte aber auch für die Schließung der örtlichen Klinik gestimmt. Der Grund: „Das Krankenhau­s der Zukunft ist keines, wie es das Waldseer Krankenhau­s war.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany