Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Baienfurt baut Flüchtlingsheim neben Hochschule
Weingartener Gemeinderäte teilweise fassungslos – Nachbarn bauen ohne Baurecht
- Die Gemeinde Baienfurt plant, in direkter Nachbarschaft zur Gemarkungsgrenze Weingarten, ein Flüchtlingsheim mit zwei Gebäuden zu bauen. Das löste bei den Weingartener Gemeinderäten teilweise Entsetzen aus, denn die Unterkunft würde neben die Sportanlagen der Hochschulen in Weingarten und damit wieder in Angrenzung an die Oberstadt errichtet werden.
Im Februar 2024 wird Weingarten (wie berichtet) selbst ein Flüchtlingsheim in die Oberstadt, Ecke Wildenegg-/Lazarettstraße, setzen lassen. Es wird vom Landkreis finanziert, weshalb dieser auch den Standort bestimmen durfte. Großer Widerstand regte sich unter den Oberstadt-Bewohnern, und es bildete sich die „Bürgerinitiative Weingarten Oberstadt“. Deren Argumentation: Mit einem schon bestehenden Flüchtlingsheim und den Studentenwohnheimen leiste dieser Bereich der Stadt bereits „einen übermäßig hohen Beitrag“. Die Gemeinderäte entschieden sich aus Mangel an Alternativen dennoch für den Standort in der Oberstadt. Die Stadt Weingarten versprach aber auch, Asylsuchende in der Zeit, in der der Container steht – mindestens fünf Jahre – vorrangig in anderen Stadtteilen unterzubringen.
Wenn eine Flüchtlingsunterkunft jedoch auf der Gemarkung einer anderen Gemeinde errichtet werden soll, sind Weingarten die Hände gebunden. Das sagte Oberbürgermeister Clemens Moll. Das Baugrundstück um das es geht, liegt an der Doggenriedstraße/Töbele und gehört dem Land. Baienfurt würde es gern pachten. Allerdings befindet es sich im Außenbereich, was eine Baugenehmigung erschwert.
Günter A. Binder, Bürgermeister von Baienfurt, erinnert daran, dass auch seine Gemeinde kaum mehr eine verfügbare Fläche hat und alle verbliebenen Möglichkeiten ausschöpfen muss. Darüber hinaus befinde sich ein Teil der Weingartener Hochschule sowie der Sportplatz auf Baienfurter
Gemarkung. Er sagt der „Schwäbischen Zeitung“: Wir leben eben in einem Ballungsraum und müssen konstruktiv miteinander kooperieren wie bisher auch.“
Die etwa 3400 Quadratmeter große Fläche an der Doggenriedstraße gehört zwar dem Land, dieses stellt sie für die Errichtung einer Flüchtlingsunterbringung aber zur Verfügung. Zunächst für 15 Jahre mit einer Option auf Verlängerung. Was das fehlende Baurecht angeht, so hat Binder bereits einen Plan. Durch den Paragraphen 246 Absatz 13 im Baugesetzbuch lasse sich das Baurecht erst einmal für vier Jahre schaffen. In dieser Zeit möchte Baienfurt den bestehenden Flächennutzungsplan ändern, um die Unterkunft dauerhaft dort belassen zu können. „Daher sind wir schon mit dem Gemeindeverband Mittleres Schussental in Kontakt“, so Binder.
Das Ziel: Im Frühjahr 2024 sollen zwei je zweigeschossige Gebäude in Holzmodul-Bauweise entstehen. Geplant ist derzeit laut Binder auch eine Lärmschutzwand in Richtung der Bürger. Nun möchte er bei der Landesbank Fördermittel für den Bau der Flüchtlingsunterkunft beantragen.
Die Gemeinderäte Weingartens sind aufgebracht. Nicht darüber, dass Baienfurt einen Standort nahe Weingarten gewählt hat, sondern darüber, dass den Nachbarn offenbar mehr gelingt als der Welfenstadt selbst.
„Wir haben den Mund so voll genommen und den Bewohnern der Oberstadt Dinge versprochen, die wir nicht halten können. Die
Situation ist sehr, sehr unglücklich“, sagte Horst Wiest, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Weingarten. Er fragt sich ebenfalls, warum Baienfurt auf einer Fläche planen kann, die der Gemeinde weder gehört, noch auf der Baurecht besteht – und Weingarten nicht. Denn wenn das möglich wäre, hätte sich wohl ein anderer Standort für den eigenen Container als der in der Oberstadt finden lassen.
Doris Spieß, Fraktionsvorsitzende der SPD, findet den Vorgang „im wahrsten Sinne des Wortes äußerst grenzwertig“. Vor allem mit dem Hintergrund der Entscheidung in der Lazarettstraße. Spieß sagt: „Es ist auch deshalb schwer nachvollziehbar, da für Baienfurt die Vorgabekriterien unter anderem über Infrastruktur, Grundstückseigentum oder Bebauungsrichtlinien, die zu unserer Entscheidung geführt haben, offensichtlich so nicht gelten sollen.“
Sie stelle sich deshalb die Frage, ob Weingarten sein Flüchtlingsheim nicht ebenfalls dort oben, nur eben auf Weingartener Gemarkung, bauen könnte. Die Fläche befindet sich zwar auch im Eigentum des Landes, es gebe ja aber die Regelung, dort Flüchtlingsunterkünfte pachtfrei für eine begrenzte Zeit zu errichten. „Es wäre nun schnellstmöglich eine Kooperation zwischen unseren Gemeinden, dem Land und der Kreisverwaltung erforderlich“, so Spieß.
„Wir könnten die Baienfurter auch einfach fragen, wie sie das gemacht haben – da können wir noch was lernen“, sagte Stadtrat Martin Winkler (CDU).
OB Moll erklärte: Für den Flüchtlingscontainer in der Lazarettstraße muss Weingarten nach den Kriterien des geldgebenden Landkreises agieren. Und der Landkreis fordert einen Standort mit den bestmöglichen Integrationschancen mitten unter den Bürgern und mit hervorragenden Anbindungen an die Infrastruktur. Baienfurt hingegen kommt selbst für die Gebäude auf und muss all diese Vorgaben nicht erfüllen.