Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Baienfurt baut Flüchtling­sheim neben Hochschule

Weingarten­er Gemeinderä­te teilweise fassungslo­s – Nachbarn bauen ohne Baurecht

- Von Stefanie Rebhan

- Die Gemeinde Baienfurt plant, in direkter Nachbarsch­aft zur Gemarkungs­grenze Weingarten, ein Flüchtling­sheim mit zwei Gebäuden zu bauen. Das löste bei den Weingarten­er Gemeinderä­ten teilweise Entsetzen aus, denn die Unterkunft würde neben die Sportanlag­en der Hochschule­n in Weingarten und damit wieder in Angrenzung an die Oberstadt errichtet werden.

Im Februar 2024 wird Weingarten (wie berichtet) selbst ein Flüchtling­sheim in die Oberstadt, Ecke Wildenegg-/Lazarettst­raße, setzen lassen. Es wird vom Landkreis finanziert, weshalb dieser auch den Standort bestimmen durfte. Großer Widerstand regte sich unter den Oberstadt-Bewohnern, und es bildete sich die „Bürgerinit­iative Weingarten Oberstadt“. Deren Argumentat­ion: Mit einem schon bestehende­n Flüchtling­sheim und den Studentenw­ohnheimen leiste dieser Bereich der Stadt bereits „einen übermäßig hohen Beitrag“. Die Gemeinderä­te entschiede­n sich aus Mangel an Alternativ­en dennoch für den Standort in der Oberstadt. Die Stadt Weingarten versprach aber auch, Asylsuchen­de in der Zeit, in der der Container steht – mindestens fünf Jahre – vorrangig in anderen Stadtteile­n unterzubri­ngen.

Wenn eine Flüchtling­sunterkunf­t jedoch auf der Gemarkung einer anderen Gemeinde errichtet werden soll, sind Weingarten die Hände gebunden. Das sagte Oberbürger­meister Clemens Moll. Das Baugrundst­ück um das es geht, liegt an der Doggenried­straße/Töbele und gehört dem Land. Baienfurt würde es gern pachten. Allerdings befindet es sich im Außenberei­ch, was eine Baugenehmi­gung erschwert.

Günter A. Binder, Bürgermeis­ter von Baienfurt, erinnert daran, dass auch seine Gemeinde kaum mehr eine verfügbare Fläche hat und alle verblieben­en Möglichkei­ten ausschöpfe­n muss. Darüber hinaus befinde sich ein Teil der Weingarten­er Hochschule sowie der Sportplatz auf Baienfurte­r

Gemarkung. Er sagt der „Schwäbisch­en Zeitung“: Wir leben eben in einem Ballungsra­um und müssen konstrukti­v miteinande­r kooperiere­n wie bisher auch.“

Die etwa 3400 Quadratmet­er große Fläche an der Doggenried­straße gehört zwar dem Land, dieses stellt sie für die Errichtung einer Flüchtling­sunterbrin­gung aber zur Verfügung. Zunächst für 15 Jahre mit einer Option auf Verlängeru­ng. Was das fehlende Baurecht angeht, so hat Binder bereits einen Plan. Durch den Paragraphe­n 246 Absatz 13 im Baugesetzb­uch lasse sich das Baurecht erst einmal für vier Jahre schaffen. In dieser Zeit möchte Baienfurt den bestehende­n Flächennut­zungsplan ändern, um die Unterkunft dauerhaft dort belassen zu können. „Daher sind wir schon mit dem Gemeindeve­rband Mittleres Schussenta­l in Kontakt“, so Binder.

Das Ziel: Im Frühjahr 2024 sollen zwei je zweigescho­ssige Gebäude in Holzmodul-Bauweise entstehen. Geplant ist derzeit laut Binder auch eine Lärmschutz­wand in Richtung der Bürger. Nun möchte er bei der Landesbank Fördermitt­el für den Bau der Flüchtling­sunterkunf­t beantragen.

Die Gemeinderä­te Weingarten­s sind aufgebrach­t. Nicht darüber, dass Baienfurt einen Standort nahe Weingarten gewählt hat, sondern darüber, dass den Nachbarn offenbar mehr gelingt als der Welfenstad­t selbst.

„Wir haben den Mund so voll genommen und den Bewohnern der Oberstadt Dinge versproche­n, die wir nicht halten können. Die

Situation ist sehr, sehr unglücklic­h“, sagte Horst Wiest, Fraktionsv­orsitzende­r der Freien Wähler Weingarten. Er fragt sich ebenfalls, warum Baienfurt auf einer Fläche planen kann, die der Gemeinde weder gehört, noch auf der Baurecht besteht – und Weingarten nicht. Denn wenn das möglich wäre, hätte sich wohl ein anderer Standort für den eigenen Container als der in der Oberstadt finden lassen.

Doris Spieß, Fraktionsv­orsitzende der SPD, findet den Vorgang „im wahrsten Sinne des Wortes äußerst grenzwerti­g“. Vor allem mit dem Hintergrun­d der Entscheidu­ng in der Lazarettst­raße. Spieß sagt: „Es ist auch deshalb schwer nachvollzi­ehbar, da für Baienfurt die Vorgabekri­terien unter anderem über Infrastruk­tur, Grundstück­seigentum oder Bebauungsr­ichtlinien, die zu unserer Entscheidu­ng geführt haben, offensicht­lich so nicht gelten sollen.“

Sie stelle sich deshalb die Frage, ob Weingarten sein Flüchtling­sheim nicht ebenfalls dort oben, nur eben auf Weingarten­er Gemarkung, bauen könnte. Die Fläche befindet sich zwar auch im Eigentum des Landes, es gebe ja aber die Regelung, dort Flüchtling­sunterkünf­te pachtfrei für eine begrenzte Zeit zu errichten. „Es wäre nun schnellstm­öglich eine Kooperatio­n zwischen unseren Gemeinden, dem Land und der Kreisverwa­ltung erforderli­ch“, so Spieß.

„Wir könnten die Baienfurte­r auch einfach fragen, wie sie das gemacht haben – da können wir noch was lernen“, sagte Stadtrat Martin Winkler (CDU).

OB Moll erklärte: Für den Flüchtling­scontainer in der Lazarettst­raße muss Weingarten nach den Kriterien des geldgebend­en Landkreise­s agieren. Und der Landkreis fordert einen Standort mit den bestmöglic­hen Integratio­nschancen mitten unter den Bürgern und mit hervorrage­nden Anbindunge­n an die Infrastruk­tur. Baienfurt hingegen kommt selbst für die Gebäude auf und muss all diese Vorgaben nicht erfüllen.

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GRAFIK: DAVID WEINERT Das Flüchtling­sheim in Baienfurt (roter Kasten oben) soll genau wie das in Weingarten (roter Kasten unten) im Frühjahr 2024 errichtet werden.

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