Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie ein frühes Saint-Tropez
Das slowenische Izola erscheint überaus malerisch und trotz Touristen durchaus authentisch
Ich glaube, meine Großeltern wären glücklich und stolz“, sagt Tina Steffè Božnik. Stolz auf diese Enkelin, die Inhaberin der Fischhalle Levante in Izola. In einem Straßencafé gleich gegenüber von ihrem Geschäft nippt sie am Espresso und winkt ein paar Bekannten zu, die zwischen Izolas kleiner Altstadt und dem Hafen unterwegs sind. Am Handgelenk hat Tina eine kleine Tätowierung: ein Fisch. Schon ihre Großmutter verkaufte den Fang ihres Mannes. Ein eigenes Boot hatte dieser Großvater, arbeitete aber auch auf Sardinenfängern. 1976 fuhr er auf jenem, der in jenem Jahr die meisten Sardinen von allen Schiffen Jugoslawiens aus dem Wasser zog. „Mein Vater half seinen Eltern, aber er arbeitete als Polizist. Er unterbrach die Familientradition, ich setze sie fort.“Wenn auch nicht als Fischerin; dieser Beruf ist immer schwerer geworden. Ihr Vater übernahm das Boot seines Bruders nach dessen Tod; fortan beschäftigte er sechs Mitarbeiter, musste aber nach einigen Jahren aufgeben. „Die Kosten waren höher als die Erträge“, so Tina. 2012 eröffnete sie das Geschäft, als sie gerade 24 war. Ihre Ware bezieht sie von Fischern aus Izola, aus dem nahen Koper, aber auch aus Kroatien und Italien. Die Großeltern schauen ihr von ihren Porträts in der Fischhalle aus zu.
Die gewundenen Gassen der einstmals auf einer Insel gelegenen Altstadt, der Hafen voller funkelnder Yachten und schaukelnder Fischerboote, die von Restaurants gesäumte Promenade, auf der abends das Geplauder der Flaneure summt, Izola erscheint wie ein frühes Saint-Tropez: überaus malerisch und noch immer authentisch. Es ist nicht lange her, dass sich hier ganz ohne Glamour alles um den Fisch drehte. Nur der Umgang mit ihm änderte sich: Hatte man den Fang einst mit dem an derselben Küste gewonnenen Salz haltbar gemacht, landete er später in der Fabrik am Hafen in Dosen. Frauen aus Fischerfamilien arbeiteten hier, unter ihnen viele junge Mädchen, die Geld für ihre Aussteuer sparten und die Fabrik bald wieder verließen.
Tina Steffè Božnik, Mutter von zwei Kindern, begreift ihr Geschäft eher als Lebensaufgabe. In Kroatien werde der Fisch noch immer viel billiger verkauft als in Slowenien, sagt sie, obwohl die Preise mittlerweile dort etwas anzögen. Zudem ist Überfischung auch in der Adria ein Problem. Auch im nahen Triest liegen nur noch drei große Fischerboote im Hafen. Fischen ist ein Saisongeschäft,
das nicht immer nachhaltig betrieben wird. „Wenn im Oktober weißer Fisch da ist, fahren manche dreimal am Tag raus.“Sie schüttelt den Kopf. „Dann sinken die Preise, zugleich hat man hohe Kosten, weil so viel Fisch zu verarbeiten ist.“Es ist schwierig geworden, als Fischer seinen Lebensunterhalt fürs ganze Jahr zu verdienen. Viele arbeiten nebenbei im Tourismus, bieten im Sommer
Touren für Urlauber an und fahren nur von Oktober bis Dezember und zwischen März und Mai zum Fischen.
Auch Davor Ivković steckt die Leidenschaft fürs Fischen in den Genen. „Mein Vater fuhr 30 Jahre lang auf großen Sardinen- und Sardellenfängern, das war ein Riesengeschäft in Jugoslawien“, erzählt der 40-Jährige. Er fuhr als Teenager zum ersten Mal hinaus und lernte das Fischen in seiner Freizeit. Vor zehn Jahren kaufte er ein eigenes Fischerboot. „Es ist ein kleines Boot, ich fische nur in Küstennähe. Aber wer sich reinhängt, bekommt eine Menge zurück. Wenn man mit Leidenschaft dabei ist, bedeutet das Fischen, das Leben auf dem Wasser immer noch Freiheit.“Aber auch er hat einen Zweitjob als Hafenarbeiter. Denn nicht nur die Überfischung ist ein Problem, obwohl Sardellen, einst der Hauptfang, hier praktisch nicht mehr vorkämen. „Wir liegen in einer Ecke der Adria“, erklärt er. „Der Fisch muss durch Italien und Kroatien, ohne gefangen zu werden, bevor wir Zugriff haben.“
Slowenien besitzt nur 46 Küstenkilometer. Vier Städte – Ankaran, Koper, Izola und Piran – säumen sie. Die nach Bürgerkrieg
und Zerfall Jugoslawiens gezogene Seegrenze in der Mitte der Bucht von Piran ließ der jungen Republik keinen Zugang zu internationalen Gewässern und gereichte ihr somit kaum zum Vorteil, fand man hier. „Wir hätten das nicht zulassen dürfen“, sagt Marko Starman, einst stellvertretender Umweltminister Sloweniens und heute Direktor des 428 Hektar großen Nationalparks Strunjan, dessen Salzpfannen und Salinen sich südlich an das Städtchen anschließen. Denn die slowenischen wurden von italienischen und kroatischen Staatsgewässern begrenzt; Slowenien besaß somit lediglich Zugang zur Adria vor der Haustür. Es folgte jahrelanges Ringen, bis ein Schiedsgericht Slowenien 2017 drei Viertel der Bucht von Piran und einen Korridor durch kroatische Gewässer zusprach – was der Nachbar allerdings nicht akzeptierte. Seither köcheln die Animositäten weiter, allerdings auf kleiner Flamme. Schließlich ist schon seit Langem in der Region alles im Fluss. Noch 1954 war unklar, wer wohin gehörte; in Triest lebten in jener Zeit mehr Slowenier als in Ljubljana. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit haben das Bewusstsein für den Wert sprachlicher
Vielfalt und individueller Freiheit geschärft. Zugleich haben sie bewiesen, dass geografische Grenzen die Realitäten des Lebens nur unzureichend abbilden. Schulen und Kindergärten sind zweisprachig, die italienischsprachige Minderheit stellt stets Izolas Vizebürgermeister.
Die Politik endet, wo die Kochkunst beginnt. 2003 übernahm der im kroatischen Zagorje geborene Koch Ivek Evačić die Küche im Restaurant des Hotels Marina am Hafen. Mit seiner Leidenschaft für die Küche des Mittelmeers und einer klaren Vision unverfälschter, lokal geprägter Kochkunst hob er das Restaurant auf eine neue Ebene und etablierte es als Gourmet-Adresse. Der Guide Michelin lobt denn auch seine unwiderstehliche „regionale und traditionelle Seemannsküche“. Von seinem Restaurant aus sieht der 47-jährige Küchenchef das Meer, dem er seine wichtigsten Produkte – neben dem kaltgepressten Olivenöl aus eigener Herstellung – verdankt. Er verarbeitet sie zu Genüssen wie Pasta mit Scampi und Jakobsmuscheln, Polenta mit Stockfisch und Jakobsmuschelcreme und Fischplatten mit perfekt zubereiteten Beilagen. Im Wasser schaukeln Boote. Strandgänger sind unterwegs zum Pinienwäldchen, wo sie ihre Handtücher im Schatten ausbreiten, bevor sie ins Meer tauchen. „Ich liebe, was ich mache“, sagt Evačić. „Dies ist ein guter Ort.“