Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Surbeck: Es wird Jahre dauern, bis wieder Sirenen heulen
Wenige Anbieter müssen Auftragswelle abarbeiten – Kreisbrandmeister verweist auf lange Vernachlässigung dieser Infrastruktur
- In Ravensburg verschiebt sich der Aufbau neuer Sirenen zur Warnung der Bevölkerung um mindestens ein Jahr – und nicht nur in der Großen Kreisstadt stellt sich die Lage so dar. Von allen Kreiskommunen haben bisher nur drei ihre Sirenen zurück. Dass es nicht schneller geht, ist wenig überraschend für Kreisbrandmeister Oliver Surbeck.
Es gibt bundesweit nur eine Handvoll Firmen, die Sirenen zugleich entwickeln, produzieren und aufbauen – „weil Sirenen jahrzehntelang niemanden interessiert haben“, sagt Surbeck. „Diese Firmen sind heillos überlastet.“Zwei dieser Spezialfirmen bestätigten auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“, dass ihre Auftragsbücher voll sind und die Abarbeitung mindestens bis Ende 2024 oder noch länger dauern wird.
Surbeck betont, dass es auch nicht nur darum gehe, Sirenen aufs Dach zu schrauben. Vielmehr müsse man planen, wie viele Sirenen man brauche und wo man sie aufstelle, damit der Schall im Notfall alle Ecken der
Stadt erreicht. Im Landkreis Ravensburg haben nach Angaben des Kreisbrandmeisters folgende drei Kommunen ihre Sirenennetze schon wieder aufgebaut: Isny, Amtzell und Schlier. Ravensburg wollte neun Sirenen schon 2023 aufgebaut haben, den Rest dann 2024 ergänzen – doch dieser Zeitplan lasse sich nicht halten, hatte der Pressesprecher der Stadtverwaltung mitgeteilt.
Warum überhaupt will man die Sirenen zurück? Nach einem gescheiterten Warntag in 2020, als die bundesweite Warnapp NINA des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nicht so funktioniert hat, legte der Bund ein Förderprogramm auf, um wieder Sirenen zu installieren. Die Flut im Ahrtal 2021 hat ebenfalls die Frage aufgeworfen, wie man die Bevölkerung im Katastrophenfall effektiv warnen kann.
Jetzt gibt es Nachfrage nach Sirenen von Städten und Gemeinden aus ganz Deutschland. Das Bundesförderprogramm musste schon zweimal verlängert werden, weil der Ausbau nicht so schnell vorankommt, wie von der Politik gewünscht. Surbeck enttäuscht oder überrascht das nicht. „Das System wurde jahrzehntelang runtergewirtschaftet. Es wäre utopisch, wenn es in kürzester Zeit wieder steht“, sagt er. „Die Sirene ist ja nicht das einzige Warnmittel.“Andere Elemente im Mix zur Warnung der Bevölkerung funktionierten ja auch jetzt schon. Er nennt das Warnsystem NINA oder die Technologie Cell Broadcast, mit der Warnmeldungen auf Mobiltelefone aller Art geschickt werden können.
Surbeck ist trotz aller Schwierigkeiten froh, dass die Sirenen zurückkommen. Er spricht von einem „Weckeffekt“durch das Signal. Es gehe darum, die Menschen dazu zu animieren, auf ihren Handys zu schauen und im Radio zu hören, was genau sich ereignet hat und was ihnen geraten wird. Diese Art der Bürgerinformation funktioniere auch im Katastrophenfall noch relativ lange. „Mobilfunknetze sind in den ersten Stunden relativ stabil, weil Mobilfunkanlagen mit Notstrom ausgestattet sind“, erklärt er.
Die Firma Helin aus Hagen in Nordrhein-Westfalen ist nach eigenen Angaben der älteste Sirenen-Bauer Deutschlands. Vertriebsleiter Uwe Koperwas arbeitet seit 30 Jahren bei der Firma – zum Zweck der Sirenen erklärt er genauer: „Die Sirene hat die Aufgabe, Menschen schnellstmöglich von der Straße zu holen, aber nicht, sie in den Häusern zu erreichen. Heute sind die Gebäude so isoliert, das schafft die Sirene gar nicht.“
Er hat beobachtet, wie die Ahrtalflut Unruhe bei Bürgermeistern erzeugt hat. Dass jetzt der Ausbau im Eiltempo funktionieren soll, sorgt bei ihm für Unmut – zum Beispiel, „wenn lax gesagt wird, wir bauen da mal ein paar Sirenen auf “.
Dafür müssten erst einmal Pläne gemacht werden, etwa von Feuerwehren, Ordnungsämtern oder Planungsbüros. Doch freiwillige Feuerwehren seien damit oftmals überfordert und Planungsbüros gebe es zu wenige, sodass die Hersteller zum Teil die Planung mitübernehmen. „Man muss einen Beschallungsplan machen, egal, ob eine Kommune eine oder zwei oder hundert Sirenen bestellt“, erklärt Koperwas.
Eine weitere Schwierigkeit seiner Erfahrung nach: „Man muss oft neue Standorte suchen, weil niemand mehr eine Sirene auf dem Dach haben will.“Bis die Sirenen im Kreis Ravensburg flächendeckend heulen können, werden nach Einschätzung von Kreisbrandmeister Surbeck mehrere Jahre vergehen. In der Stadt
Ravensburg hofft man allerdings darauf, 2024 Sirenen zur Warnung der Bevölkerung zur Verfügung zu haben.