Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nach Schicksalsschlag zurück ins Leben
34-jähriger Familienvater erleidet Querschnittlähmung – Wie er damit zurechtkommt
(kep) - Stephan Rückgauer erlebte ein schweres Schicksal. Es hat ihn ganz unvermittelt getroffen, als sein Leben auf einem Höhepunkt war.
Der gebürtige Weingärtler und IT-Systemkaufmann arbeitete erfolgreich als kaufmännischer Leiter und Prokurist bei der Firma meco IT in Weingarten. Auch privat lief es bestens. Glücklich verheiratet wohnte er mit seiner Frau Annika in Schmalegg. Tochter Elena kam zur Welt. Das Glück schien perfekt. Doch nur kurze Zeit später, am 14. September 2022, seine Tochter ist gerade erst vier Wochen alt, änderte sich das Leben von Stephan Rückgauer schlagartig.
Der damals 32-Jährige verspürte morgens in der Dusche plötzlich starke, stechende Brustschmerzen. „Ich dachte im ersten Moment an einen Herzinfarkt“, erinnert er sich. Der Notarzt habe zunächst keine Diagnose stellen können. Alles sei unauffällig gewesen. „Ich wurde zur genaueren Untersuchung ins Krankenhaus gefahren. Der Gang zum Krankenwagen waren meine letzten Schritte, die ich gemacht habe“, erzählt der 34-Jährige.
Kurz nach der Einlieferung im Krankenhaus habe er plötzlich seine Finger nicht mehr spüren können. Später, noch während des MRTs im St.-Elisabethen-Klinikum (EK) in Ravensburg, sei dann zuerst das rechte, dann das linke Bein „ausgefallen“. Wie sich dann später herausstellte, litt Stephan Rückgauer an einer sogenannten Myelitis transversa, einer seltenen neuroimmunologischen Erkrankung, bei der es zu einer Entzündung des Rückenmarks kommt. „Durch die Entzündung der Nerven werden diese beschädigt“, erklärt er. Die Ursache sei bis heute nicht klar.
Erst stand eine Autoimmunerkrankung im Raum, später vermuteten die Ärzte einen Impfschaden, verursacht durch eine Vierfach-Impfung, die er etwa sechs Wochen vor dem Vorfall erhalten hatte. Seit diesem Tag im September 2022 ist der junge Familienvater querschnittgelähmt. „Mein Körper ist ab dem Wirbel C4, also im Halsbereich, betroffen. Ab dort kann ich weder Kälte noch Wärme und kein spitz oder stumpf empfinden. Druck spüre ich mittlerweile wieder.“
Der Schock sitzt tief, auch bei seiner Frau Annika. Nach einem sechswöchigen Aufenthalt im EK wird er ins Querschnittgelähmten-Zentrum der Orthopädischen Universitätsklinik Ulm (RKU) verlegt.
Dort verbringt er insgesamt ein ganzes Jahr. „Zum Glück konnte meine Frau mit unserer Tochter Elena mit in ein Familienzimmer ziehen. Ohne die beiden hätte ich es nicht geschafft, mit allem klarzukommen“, meint er.
Es sei eine sehr schwere Zeit gewesen. Seine Frau Annika erzählt: „Ich war ja quasi noch im Wochenbett, als das alles passiert ist. Es hat sich angefühlt wie ein Albtraum, aus dem man aber nicht mehr aufwacht.“Sie habe auf Überlebensmodus geschaltet, habe einfach nur funktioniert. Die ganze Situation sei nicht nur an persönliche Grenzen gegangen, sondern habe auch die Beziehung auf eine Belastungsprobe gestellt.
„Wir sind seit über zwölf Jahren glücklich zusammen und haben eine solide Basis. Trotz aller Herausforderungen hat uns das
alles noch näher zusammengebracht. Wir schaffen das gemeinsam“, ist Annika Rückgauer überzeugt.
Natürlich frage man sich oft, warum man selbst gerade von solch einem Schicksal getroffen wurde, wie ein negativer Sechser im Lotto. „Die Ärzte können mir nicht beantworten, ob die Nerven bei mir durch die Entzündung quasi nur beleidigt sind und sich eventuell wieder erholen können, oder ob sie irreparabel beschädigt wurden. Ich habe die Hoffnung, dass es stetig besser wird“, meint der 34-Jährige.
Man habe ihm erklärt, dass sich der Zustand innerhalb der ersten drei Jahre verbessern könne. Danach seien die Chancen gering, weitere Fortschritte zu machen. Stephan Rückgauer bemerke stetige Verbesserungen, die
auch durch sein Umfeld bestätigt werden. Es sei für ihn enorm wichtig, diesen Input von außen zu bekommen. „Unsere Familien und Freunde helfen uns sehr. Wir sind so dankbar dafür“, betont das Ehepaar.
Geschwister und deren Partner haben gemeinsam eine Spendenkampagne über „gofundme“ins Leben gerufen. Er erhalte zwar durch das Sozial- und Inklusionsamt finanzielle Unterstützung, diese reiche jedoch nicht aus. Aktuell zahle er monatlich aus privaten Rücklagen hinzu. Das Geld aus den Spenden soll nur für Dinge eingesetzt werden, die ihm das Leben erleichtern. „Zum Beispiel wäre es toll, die Wohnung zu digitalisieren, da ich ja noch nicht mal die Heizung andrehen kann. Außerdem benötige ich Pf lege und Betreuung 24/7, also rund um die Uhr. Aktuell beschäftige ich sieben Pflegekräfte, die sich abwechseln.“
Er wolle nicht, dass seine Frau ihn pflege. Er könne nicht mal ein Glas Wasser halten oder Zähneputzen, brauche für alles eine Assistenz. Seine Intimsphäre habe er damals im Krankenhaus an der Pforte abgegeben, witzelt er. Psychisch besonders schwer zu ertragen seien Situationen, in denen er seine Vaterrolle nicht so ausüben könne, wie er es sich immer erträumt hatte. „Wenn wir auf einem Spielplatz sind, würde ich so gerne mit Elena rutschen. Wenn sie hinfällt und weint, kann ich sie nicht auf den Arm nehmen zum Trösten. Solche Situationen sind extrem schwer für mich zu ertragen“, sagt er betroffen.
Trotz allem sei er selten pessimistisch. Er habe Ziele. Bald möchte er wieder arbeiten gehen. „Kognitiv bin ich immer noch der gleiche, im Kopf bin ich f it. Ich habe meinen Job geliebt. Wir sind mit der Firma und dem Arbeitsamt dran, Lösungen zu finden, damit ich bald wieder ins Büro gehen kann.“Ihm sei der Kontakt zu Kollegen und das Umfeld in der Firma schon immer wichtig gewesen. Zu arbeiten sei wichtig für eine gute Alltagsstruktur und das gesamte Lebensgefühl.
Ende Februar dieses Jahres konnte die junge Familie wieder eine eigene Wohnung beziehen. Nach dem Aufenthalt in der Klinik in Ulm kamen die Rückgauers vorerst bei Annikas Eltern unter. Es war ihnen nicht möglich, in ihre ursprüngliche Wohnung zurückzukehren, da diese im ersten Stock lag. „Wir hatten großes Glück mit dieser Wohnung. Vor uns hat sie eine Dame bewohnt, die ebenfalls im Rollstuhl saß. Die Räumlichkeiten sind entsprechend dafür ausgelegt, was super ist!“, schwärmt Annika Rückgauer.
Wieder in eigenen vier Wänden zu leben, gebe beiden ein gutes Gefühl. Sie wollen sich nicht davon abhalten lassen, ihr Leben möglichst frei zu gestalten. „Ich war sogar schon auf einem Eishockey-Spiel im Stadion!“, erzählt er stolz. Das Paar blicke optimistisch nach vorne. Es werde kein leichter Weg, aber Hoffnung und Liebe habe schon manche Berge versetzen können.
Eine Spendenkampagne der Familien Rückgauer-Golle-Kopinec für Stephan Rückgauer ist online unter gofundme.com zu finden: Hilfe für querschnittgelähmten Familienvater.