Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neues Gesetz macht Wenigen Freude
In Hinzistobel dürften am Freitag die Korken geknallt haben – wenn es denn im Gefängnis Schampus gäbe. Nachdem die Bundesländer den Weg für die Legalisierung von Cannabis freigemacht haben, muss bald mindestens ein Häftling in Ravensburg freigelassen werden. Denn das umstrittene Gesetz gilt auch rückwirkend. Heißt: wer für ein Vergehen einsitzt, das sich im Rahmen dessen bewegt, was ab 1. April an Drogenbesitz erlaubt ist, ist ein freier Mann – oder eine freie Frau.
An anderer Stelle wird das weit weniger Freude ausgelöst haben. Viele Experten, darunter Ärzte, Juristen, Polizisten, raten seit Monaten dringend ab von der eingeleiteten Wende der Ampel-Koalition in der Drogenpolitik. Noch viel weniger amüsiert sind die Staatsanwaltschaften. Die können schon ganz grundsätzlich selten über Langeweile klagen, werden mit dem neuen Gesetz jetzt aber vor eine zusätzliche Herkulesaufgabe gestellt. 1000 alte Fälle muss alleine die Ravensburger Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang neu prüfen. In jedem einzelnen Fall muss sie eruieren, ob die vorgeworfene Tat jetzt straffrei wäre.
Das Gesetz regelt nun, dass der Besitz und Konsum von bis zu 25 Gramm Cannabis in der Öffentlichkeit straffrei wird. Im privaten Raum sind es sogar 50 Gramm. In 215 Fällen sind im Bereich der Ravensburger Staatsanwaltschaft Geldstrafen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt worden, in 735 Fällen sitzen die Verurteilten im Gefängnis – oft allerdings nicht ausschließlich wegen Cannabis, sondern sie sind in Kombination mit anderen Delikten verurteilt worden.
Heißt: Die Staatsanwälte müssen zunächst herausfinden, welcher Anteil der Strafe überhaupt auf den Drogenbesitz entf iel, um sie dann entsprechend reduzieren zu können. Alexander Boger, Leiter der Staatsanwaltschaft, und seine Kollegen haben sich auf diesen Freitag schon vorbereitet, doch die Arbeit muss getan werden – und wäre an anderer Stelle vielleicht nötiger. Zumal die neue Regelung Gerichte, Polizei und die Staatsanwaltschaften in Deutschland eigentlich entlasten soll. Vorerst sieht es erst einmal nicht danach aus.
Und die möglichen negativen Folgen für die Gesellschaft insgesamt sind da noch gar nicht eingerechnet. Ravensburgs Polizeichef Uwe Stürmer beispielsweise befürchtet gar, dass die Legalisierung zu einem „Konjunkturprogramm für die organisierte Kriminalität wird“. Und dass in diesen Kreisen am Freitag die Korken geknallt haben, kann nun wirklich niemand wollen.
Ihnen ein schönes Wochenende!