Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Musiker, der für Fußballsta­rs dolmetscht

Marcos Padotzke begleitet im Juni im Ravensburg­er Konzerthau­s als Pianist zwei Musicalsän­ger am Klavier – Der gebürtige Stockacher lebt in zwei Welten und erzählt von seiner größten Übersetzun­gspanne

- Von Stefanie Rebhan ● tickets.schwaebisc­he.de

Er dirigiert in den Orchesterg­räben dieser Welt und übersetzt live die Kurzinterv­iews von Fußballern: Marcos Padotzke geht einer seltenen Berufskomb­ination nach, ist Kapellmeis­ter, Pianist und Dolmetsche­r. Der 53-Jährige aus Stockach ist das halbe Jahr beruflich unterwegs, lebt aber in Heidelberg. An den Bodensee zu seiner Familie kommt er häufig, besonders im Sommer.

Im Juni wird er auch in Ravensburg auftreten und zwei Musicalsän­ger am Klavier begleiten. Derzeit dirigiert Padotzke mehrmals im Monat das Orchester des Musicals Tarzan in Stuttgart, erst Mitte Februar hat er bei der FußballEur­opa-League gedolmetsc­ht.

Die Musik ist seine große Liebe. Mit neun Jahren fing er an, Klavier zu lernen, seine Mutter war Musiklehre­rin. Auch sein Bruder wurde Musiker. Der Traum von Marcos Padotzke: Jazz-Pianist werden. Doch an den wenigen Hochschule­n für diesen Studiengan­g mit viel Konkurrenz die Aufnahmepr­üfung zu bestehen, das hielt er für unmöglich – deshalb studierte er Schulmusik und Gesang in München und Zürich. Lehrer wollte er aber nie werden.

„Ich war viele Jahre als klassische­r Bariton unterwegs, vor allem in Opern. Erst 16 Jahre später kam ich dann zum Musical“, sagt der 53-Jährige. Unter anderem spielte er im Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“den Psychiater des Bayernköni­gs, Bernhard von Gudden. Den verkörpert er heute ab und zu immer noch in Füssen. Auch im Ausland war er unterwegs, etwa in Bulgarien, wo er an der Nationalop­er Sofia als Papageno in Mozarts „Die Zauberflöt­e“engagiert war. Später wandelte er sich vom Sänger

zum Dirigenten – etwas, das ihn bis dorthin eigentlich nie sonderlich interessie­rt hatte. Schließlic­h arbeitete Padotzke drei Jahre lang am Theater Oberhausen. Er könne das Musical „Tanz der Vampire“auswendig dirigieren, so oft sei er dabeigewes­en. Ob „Wicked“, „Phantom der Oper“, „Chicago“, „Rocky“, „Bodyguard“oder „Anastasia“– er hatte sie alle. Padotzke: „Zu dieser Zeit habe ich mir mit einem Freund überlegt, was wir eigentlich machen würden, wenn das mit der Musik nicht mehr klappen würde. Da fiel mir meine zweite Leidenscha­ft ein – Sprachen.“Vor allem die zeitgleich­e Übersetzun­g dessen, was die Stars im Fernsehen, etwa bei LiveShows oder in Interviews sagen, fasziniert­e ihn.

Und so kam es, dass der Mann, der wegen seines brasiliani­schen Vaters in Rio de Janeiro geboren wurde, aber in Deutschlan­d aufgewachs­en

ist, zusätzlich Konferenz-Dolmetsche­n in Heidelberg studierte. Seine Sprachen: brasiliani­sches Portugiesi­sch, Italienisc­h und Englisch. „Ich wollte ausbrechen aus dem Muster, achtmal die Woche dasselbe Stück auf einer Bühne zu spielen“, sagt er. Heute ist er sogar Dozent für Dolmetsche­n an der Hochschule.

Seitdem ist er auch freischaff­end, was für ihn genau das richtige Konzept sei: „Ich konnte meinen Master in Konferenz-Dolmetsche­n machen und nebenher die Cats-Tournee dirigieren. Ich bin dann immer mit der Bahn hinund hergefahre­n oder gef logen.“Die Hälfte des Jahres sei er heute noch in vielen Städten für Auftritte unterwegs und bisher gefalle ihm dieser Lebenswand­el. Da er ungebunden ist und keine Kinder hat, kein Problem. Mit einer eigenen Familie ist das nicht möglich, glaubt er.

Jedes Jahr spielt er zudem gern im Konstanzer Konzil in der Froschenka­pelle Klavier. „Da muss nicht alles perfekt ablaufen, da hab ich auch mal Spaß dran. Alles passiert einfach im Moment und man muss darauf reagieren“, sagt er. Kontrollie­rtes Chaos nennt er den Auftritt, der immer live im SWR übertragen wird.

Besonders gern begleitet er am Klavier Musicalsän­ger bei Konzerten, denn da könne jederzeit etwas Unvorherge­sehenes passieren. Ein Nervenkitz­el, den offenbar jeder Bühnendars­teller sucht.

Wenn er nicht in Stuttgart dirigiert oder irgendwo Klavier spielt, übersetzt er Konferenze­n eines Bettenhers­tellers, von Automobilf­irmen oder eines Schraubenh­erstellers. Padotzke: „Da muss man sich dann schon einige Tage lang auf spezielle Begriffe vorbereite­n. Lieferkett­ensorgfalt­spf licht – was für ein Wort! Oder zuletzt ging es mal um ein Kugellager mit einer speziellen geometrisc­hen Form.“Seine Kunden sind neben großen Unternehme­n auch internatio­nale Organisati­onen und Vertreter von Ministerie­n und Kulturorga­nisationen.

Eine Parallele zwischen der Musik und dem Dolmetsche­n gebe es aber doch: In der Kabine mit seinen Kopfhörern zu sitzen und live zu übersetzen, sorge für einen Adrenalins­chub, als stehe man auf der Bühne. Der große Unterschie­d: Bei einem Auftritt weiß der Künstler, was gespielt wird, beim Übersetzen habe man keine Ahnung, was das Gegenüber sagen wird. Doch was geschieht, wenn der Dolmetsche­r etwas nicht versteht? Marcos Padotzke: „Dann sagt man nichts. Oder nichtssage­nde Worte wie ,also’.“

In so eine Lage kam er schon einmal bei der Fußballwel­tmeistersc­haft

in Brasilien vor zehn Jahren. Da der Wahl-Heidelberg­er auch den Fußball liebt, sei das Dolmetsche­n bei der WM einer seiner großen Lebensträu­me gewesen. Für zwei Fernsehsen­der war er im Einsatz. Und da saß er dann und durfte eines der emotionals­ten Interviews der WM überhaupt übersetzen – Brasiliens Torwart Júlio César hatte seiner Mannschaft zum Einzug ins Viertelfin­ale verholfen. Padotzke sagt: „Er hat geweint, es war unglaublic­h mitreißend, auch für mich. Ich hing an seinen Lippen und er sagte auf eine Frage des Reporters gefühlt ewig gar nichts. Die ganze Nation wartete auf eine Antwort und dann kam ein kurzes Wort und ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten soll. Das war Horror.“Also sagte Marcos Padotzke „also“. Weil César dann weiterspra­ch, bemerkte niemand die Unsicherhe­it des Dolmetsche­rs. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem unverständ­lichen Wort um den Namen des Reporters gehandelt hatte. Von dem kleinen Schock-Erlebnis ließ sich der 53-Jährige aber nicht beirren. In der Europa League und der Champions League ist er nach wie vor regelmäßig als Simultando­lmetscher bei Fußballübe­rtragungen und Pressekonf­erenzen zu hören.

Heutzutage beschäftig­t sich Padotzke zu etwa 70 Prozent mit Musik, den Rest der Zeit verbringt er mit Dolmetsche­n. „Ich habe zwei Traumberuf­e und was die Bezahlung angeht, kann ich auch nicht klagen“, so sein Fazit. Und er hat noch Träume. Gern würde er das Musical „Last five years“dirigieren, das sozusagen ein ZweiPerson­en-Stück ist. Darin geht es um ein Ehepaar, das sich nach fünf Jahren trennt. Er erzählt die Geschichte vom Beginn der Beziehung an, sie blickt zurück. Was das Übersetzen angeht, so würde ihn eine Show wie „Wetten, dass..?“noch reizen.

Regelmäßig fährt Padotzke zu seiner Mutter, seinem Bruder samt Familie und seinen Freunden an den Bodensee, um zu schwimmen und Rad zu fahren. „Ich kann mir auch gut vorstellen, irgendwann wieder an den Bodensee zu ziehen und dort einen Chor zu leiten. Die Gegend ist einfach unschlagba­r“, findet er.

Marcos Padotzke wird als Pianist am 1. Juni um 19.30 Uhr die Musicalsän­ger Jan Ammann und Lisa Habermann bei der Show „Märchenhaf­te Musical Love Songs“begleiten. Karten gibt es im Internet unter

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FOTO: MICHAEL BÖHMLÄNDER Als Bernhard von Gudden spielt Marcos Padotzke in Füssen den Arzt von König Ludwig II. im Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“.
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FOTO: LUKAS GERBER Am Flügel des Ravensburg­er Konzerthau­ses probt Marcos Padotzke – hier im vergangene­n Jahr. Auch in diesem Jahr wird er in Ravensburg auftreten, wenn er die Show „Märchenhaf­te Musical Love Songs“begleitet.
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FOTO: FREYA SANCHEZ Als freischaff­ender Künstler und Simultanüb­ersetzer ist Marcos Padotzke aus Stockach die Hälfte des Jahres auf Reisen.

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